Politik | Gemeinden

Perverses System

Zwei Südtiroler Gemeinden klagen gegen die gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote im Ausschuss. Eine davon hat als Anwalt den SVP-Parlamentarier Manfred Schullian.

Manfred Schullian kann lachen. „Nein hier geht es nicht um SVP gegen SVP oder irgendwelche parteiinternen Scharmützel“, sagt der Kalterer Kammerabgeordnete, „sondern um eine eklatante Ungerechtigkeit“.
Manfred Schullian redet in diesem Fall nicht als Politiker, sondern als Anwalt. Schullian vertritt zusammen mit Hartmann Reichhalter die Gemeinden Kurtinig in einen Rechtsstreit gegen die Landesregierung.
Es ist ein Prozess in dem es um eine Grundsatzentscheidung und die Auslegung einer neuen Bestimmung im Gemeindewahlgesetz geht.
Bereits am 25. August werden sich Manfred Schullian und die Anwälte des Rechtsamtes des Landes in der Aula der Bozner Gerstburg gegenüberstehen.
Schullian also gegen Arno Kompatscher? War das nicht einmal eine politisch bestens funktionierende Seilschaft? Was ist da passiert?
Die Antwort darauf ist schnell gegeben: Die Landesregierung muss sich auf ein Verfahren einlassen, von dem kaum jemand überzeugt ist, dass man es gewinnen sollte. Demnach dürften Arno Kompatscher und Manfred Schullian vor Gericht formell zwar Gegenparteien sein, politisch aber dieselbe Position vertreten.

Schullian also gegen Arno Kompatscher? War das nicht einmal eine politisch bestens funktionierende Seilschaft? Was ist da passiert?


Das Gesetz

Ausgangspunkt des Gerichtsstreites ist das regionale Gemeindewahlgesetz.
Genauer gesagt Artikel 3 diese Gesetzes mit dem Titel „ Gleichberechtigung beim Zugang zum Gemeindeausschuss“. In diesem Artikel heißt es:

Im Gemeindeausschuss müssen beide Geschlechter vertreten sein. Der Anteil des unterrepräsentierten Geschlechts muss mindestens im Verhältnis zu seiner Stärke im Gemeinderat garantiert werden.“

Im Gesetz wird auch genau festgelegt, was passiert wenn eine Gemeinde sich nicht an diese Vorgabe hält.

„Wird ein Gemeindeausschuss ernannt oder gewählt, in dem die beiden Geschlechter nicht gemäß Abs. 1 vertreten sind, so fordert die Landesregierung die Gemeinde unverzüglich auf, sich binnen dreißig Tagen anzupassen. Nach Ablauf dieser Frist löst die Landesregierung den Gemeinderat ...(...)...auf.“

Beide Artikel wurden erst im Jänner 2013 in das Gesetz eingefügt. Die SVP-Fraktion hat damals im Regionalrat geschlossen für diese Bestimmungen gestimmt. Es gab keinerlei Kritik.
Nach den Gemeinderatswahlen 2015 wird die Bestimmung jetzt zum ersten mal angewandt. Dabei kommt aber zu Tage, dass das Gesetz seine Tücken hat. Das Problem liegt im Wörtchen „mindestens“ und dessen Interpretation.

Kurtinig und Glurns

Es ist ein perverses System, das absolut skurrile Konsequenzen hat“, urteilt Manfred Schullian hart. Augenscheinlich wird das Problem an der Gemeinde, die der SVP-Parlamentarier jetzt als Anwalt vertritt: Kurtinig.
In der Unterlandler Gemeinde setzt sich der Gemeinderat aus 7 Männer und 5 Frauen zusammen. Demnach beträgt der Frauenquotient im fünfköpfigen Ausschuss 2,08. In allen Wahlgesetzen in denen Quoten vorgesehen sind, gilt eine klare Regel. Bis 2,49  wird abgerundet, danach wird aufgerundet. Demnach müsste Kurtinig 2 Referentinnen ernennen.
Laut dem neuen Wahlgesetz müssen es aber drei sein. Denn das Wort „mindestens“ wird so interpretiert, dass auf jeden Fall aufgerundet werden muss. Gegen diese absurde Bestimmung wehrt man sich jetzt. Weil auch der ethnische Proporz eingehalten werden muss, würde die SVP in Kurtinig nur mehr einen Mann in den Ausschuss entsenden können.
So hat man in Kurtinig einen Ausschuss gebildet in dem nur zwei Frauen sitzen.


Anwalt Manfred Schullian: "Nicht das Verfassungsgericht, sondern der Gesetzgeber".

Eine ähnliche Situation gibt es auch in Hafling und Glurns. Wobei die Lage in der Vinschger Stadt noch verzwickter ist.
In Glurns besteht der Gemeindeausschuss aus vier Personen. Nach dem Gesetz liegt der Frauenanteil im Ausschuss bei 1,25. Auch hier müssen zwei Frauen in den Ausschuss berufen werden. Aber auch in Glurns hat man nur eine Referentin und drei Referenten ernannt. Der offizielle Grund: Keine der gewählten Frauen habe einen Sitz im Ausschuss annehmen wollen.
Weil man mit dieser Zusammensetzung eindeutig gegen das Gesetz verstößt, hat der zuständige Landesrat Anfang Juli diese Gemeinden aufgefordert, die Zusammensetzung innerhalb von 30 Tagen im Sinne der Quote zu korrigieren, andernfalls werden die Landesregierung den Gemeinderat auflösen.

Das Verfahren

Am 29. Juli haben beide Gemeinden beim Verwaltungsgericht gegen diesen Verfügung der Landesregierung geklagt. Die Gemeinde Kurtinig wird dabei vom Duo Reichhalter/Schullian vertreten, während die Gemeinde Glurns den Anwalt Manfred Natzler engagiert hat.
Die Gemeinden fordern das Gericht auf, eine vorläufige Aussetzung der Verfügung zu erlassen und gleichzeitig soll das Verwaltungsgericht vom Verfassungsgericht prüfen lassen, ob diese Regionalbestimmung so wie sie umgesetzt wird, rechtens ist.
Am 25. August finden die Verhandlungen über die Aussetzung statt. Auf Antrag der Gleichstellungsrätin und des Landesbeirates für Chancengleichheit hat sich die Landesregierung vorvergangenen Montag in den Gerichtsstreit eingelassen.
SVP-Politiker Manfred Schullian ist überzeugt, dass das Gesetz so wie es angewendet wird, nicht haltbar ist. Seine Argumentation: Es kann nicht angehen, dass ein Geschlecht, das 40 Prozent der Gemeinderäte stellt, 60 Prozent der Ausschussplätze bekommen muss. Genau das wäre in Kurtinig der Fall.
Dazu macht der Anwalt eine anderes absurdes Beispiel. Würde in Kurtinig ein SVP-Gemeinderat zurücktreten, dann würde als Nächstgewählte eine Frau nachrücken. Damit wäre das Verhältnis im Gemeinderat ausgeglichen 6 Männer und 6 Frauen.
Damit aber kommt diese Bestimmung, die ja auf den Begriff „des unterrepräsentierten Geschlechts“ fusst, nicht mehr zur Anwendung. In diesem Fall könnte man ohne Problem nur zwei Frauen in den Ausschuss setzen. Für Manfred Schullian eine Beweis, wie wenig durchdacht diese Bestimmung sei.
Der SVP-Parlamentarier sieht dennoch einen klaren Ausweg aus diesem Dilemma. Das Wörtchen „mindestens“ aus dem Gesetz streichen. Dann kommt auch in dieser Bestimmung die übliche Auf- oder Abrundungsmethode zum Tragen.
Ich bin davon überzeugt, dass nicht der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung korrigieren soll, sondern der Gesetzgeber“, meint Manfred Schullian. Damit wäre jetzt der Regionalrat gefragt.
Man kann davon ausgehen, dass sich spätestens in diesem Punkt, die Meinung der Gemeinden und der Landesregierung treffen.

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gorgias Di., 18.08.2015 - 07:42

In diesem Fall könnte man ohne Problem nur zwei Frauen in den Ausschuss setzen.

Oder auch nur eine. Der Paragraph sagt ja nur dass beide Geschlechter vertreten sein müssen. Da es kein unterrapräsentiertes Geschlecht gibt was auch immer das sein soll, gibt es auch nicht die Notwendigkeit einen Mindestanteil zu erfüllen.

Di., 18.08.2015 - 07:42 Permalink
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Benno Kusstatscher Di., 18.08.2015 - 08:37

In der obigen Formulierung ist nicht eindeutig, ob sich das "unterrepräsentierte Geschlecht" auf den Gemeinderat oder auf den Gemeindeausschuss bezieht. Wenn in Kurtinig nur ein Mann im Ausschuss zu sitzen käme, müsste er also mindestens dem Verhältnis 7:5 entsprechend aufgestockt werden.

Di., 18.08.2015 - 08:37 Permalink