Books | Buchvorstellung

„Es war ja immer präsent“

Erstmals die Lesende bei einer Lesung war in der Teßmann-Bibliothek gestern Abend Christine Vescoli. Mit „Mutternichts“ legt sie im Otto Müller Verlag ihr Roman Debüt vor
Christine Vescoli, Mutternichts, erste Lesung, Teßmann Bibliothek
Foto: SALTO
  • Rund 160 Seiten ist das ungewöhnliche Buch schlank, das die Autorin im Gespräch mit Katrin Hillgruber erstmals einem Publikum präsentierte. Gleich zu Beginn rollte man der Autorin, die als Gastgeberin immer darauf bedacht ist, ein schmeichelhaftes Licht auf ihre Gäste zu werfen, aus einer kürzlich im Deutschlandfunk erschienen Besprechung von „Mutternichts“ zitierend, den Teppich aus.

    Gewissermaßen ist es für Vescoli nur ein Seitenwechsel oder so etwas wie ein Umblättern, da sie schon lange der Literatur und Literaturwissenschaft treu ist. Die Leiterin von Literatur Lana und Kuratorin der Literaturtage Lana ist in literarischen Kreisen hinlänglich so bekannt, dass sie keiner Vorstellung bedurfte, womit man rasch in medias res übergehen und - etwas ungewöhnlich - bevor das Publikum den Text als solchen gehört hatte, über den Text zu sprechen begann. Nur, dass die für die frischgebackene Autorin vertraute Rolle Hillgruber übernahm. Vescoli näherte sich der Aufgabe souverän an und hatte in der Münchner Literaturkritikerin eine Verbündete, die den Abend zu Gunsten der Autorin zu leiten und immer wieder verstand im rechten Moment vom Gespräch zum Textauszug zu wechseln.

  • Mutternichts: Eine asymptotische Annäherung an eine schreckliche Lücke versucht die Autorin in ihrem Debütroman, auf den wohl schon einige Zeit gewartet wurde. Foto: Otto Müller Verlag/Umschlaggestaltung: wir sind artisten

    Hier war Christine Vescoli hundertprozentig souverän und befand sich ganz in ihrem Element, im Literarischen. Hier merkte man auch, dass Vescoli mit Mitte Fünfzig das klassische Bild der literarischen Debütantin sprengte. Angetrieben von einer inneren „Zug- oder Schubkraft“ ging Vescoli zum literarischen Schreiben über, indem sie sich autofiktional an das „Mutternichts“ annäherte. In diesem Schreiben nimmt das fiktionale Schreiben an den Rändern und in den Unsicherheiten der Recherche zu, dort wo sich ein literarischer Spielraum auftut. Dennoch ist dieses Ding, oder Nicht-Ding um das es gehen soll, ein zutiefst persönliches für Christine Vescoli, die dessen Existenz mit einem fast beiläufigen „Es war ja immer präsent“ quittiert.

    Das „Nichts“, über das gesprochen und um das auch herumgesprochen wird, ist die Kindheit der Mutter, das Unausgesprochene und Verborgene der „überflüssigen" Kindheit eines 1940 geborenen und an einen fremden Hof abgegebenen Mädchens, eine Neubewertung ob des Todes der Mutter. Deren Abwesenheit und die Vorstellung einer toten Mutter ist für Vescoli, die sich die Mutter in verschiedensten Lebensstadien auch vor ihrer Zeit vorzustellen vermag, doch ein Ding der Unmöglichkeit. Das „Nichts“ bei Vescoli ist ein hungriges, bedrohliches Etwas, das es auch zu sättigen gilt, vielleicht mit Sprache. Es ist nicht, wie in der italienischen Poesie ein Gegenstand des Entdeckergeistes und des Gefühls, sondern ein zurückzudrängendes, ein zu durchleuchtendes und mit dem Verstand zu erfassendes oder notfalls auch mit der Metapher zu greifendes.

  • Christine Vescoli: Ein Debüt, das in gewisser Weise keines mehr ist, spart sich viele Kinderkrankheiten, mit denen ansonsten auf einer ersten Lesung zu rechnen ist. Die Autorin war bereits als fixe Größe in der Literatur bekannt, nur in einer anderen Rolle. Foto: SALTO

    Auch wenn Vescoli in ihrer Einschätzung dem „rationalen Gedanken nicht trauen“ zu können und daher auf Bilder zurückzugreifen, wohl übertreibt, so ergänzen doch diese Bilder den rationalen Diskurs am Rande des sprachlich noch Sagbaren. Etwa, wenn wir in einer mit geometrischen Formen verfahrenden Passage um eine Leerstelle zwischen „nichts sein und nicht sein“ kreisenden Textabschnitt, mit einem Mal „Mutterwollknäuel“ ins Bild rollen sehen, aus dem Vescoli katzengleich Fäden zupft. Leben und Tod der Mutter interessieren gleichermaßen und werden im Text zum engmaschig verwobenen Textil.

    Der Tod findet auch in starke Bilder, etwa auch das schleichende Wachsen einer Krankenakte, so lang bis ein letztes Stück Leben zum Papiermüll werde. Vescoli schreibt dem Sterben Rituale und Regelmäßigkeiten zu, begrenzt es damit in seiner Position. Vielleicht ist auch dies die „Zug- oder Schubkraft“, die Christine Vescoli am Ende des Abends noch einmal als „starke, innere Notwendigkeit“ beschreibt. Jedenfalls lässt Vescoli in einer Sprache, die ebenso kalt und karg wie empathisch und vermittelnd sein kann, der Mutter-Tochter Beziehung ein kraftvolles Zeugnis da. Vescoli verhandelt Geschichten und Leben der Mutter neu und lässt mit Abstechern zu Nebenfiguren die Mutter jedenfalls nicht gelassen in die gute Nacht gehen, um den Waliser Dylan Thomas zu paraphrasieren. 

    Vescoli versucht, den Tod in Worten eine Form zu geben. Ob „Mutternichts“ in gewisser Weise ein „psychosomatisches Buch“ sei, möchte Hillgruber einmal von Vescoli wissen. Die Autorin winkt ab, esoterisch sei sie jetzt wirklich nicht. Der Abend hat mich persönlich gespannt gemacht, ob aus diesem „Nichts“ auf den Seiten von „Mutternichts“ am Ende noch „etwas“ wird, beim Lesen. 

  • Auf die von der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Künstlerbund organisierte Lesung folgen zwei weitere Termine mit Christine Vescolis „Mutternichts“. Am Donnerstag, 7. März wird Christine Vescoli ab 18 Uhr im Museion das Buch zusammen mit  Saxophonistin Helga Plankensteiner und Moderatorin Heidi Hintner vorstellen. Gastgeberin ist die Frauengruppe Tanna. Ebenfalls donnerstags findet die Vorstellung des Buches in der Stadtbibliothek Brixen statt, die für den 13. März um 18.30 Uhr angesetzt ist und von Alma Vallazza moderiert werden wird. Organisiert wird die Lesung in gemeinsamer Zusammenarbeit von ZeLT und dem Verein Heimat Brixen Bressanone Persenon.