Kultur | Salto Afternoon

„Die hohe Kunst des Weinlesens“

Literarische Kostproben, feiner Wein und Klosterambiente: Die Festivalmacherin und Schriftstellerin Sabine Gruber im Gespräch.
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Foto: Copyright Sabine Gruber

Salto.bz: Das Festival WeinLESEN geht in die zweite Runde. Es bewegt sich wieder zwischen Klostermauern und Weinkellern. Wird Wein gepredigt? Wasser getrunken?
Sabine Gruber: Das Heine-Zitat geht ja andersrum „sie tranken heimlich Wein / Und predigten öffentlich Wasser“ – gepredigt wird bei WeinLESEN gar nicht, es wird gelesen und diskutiert und das an einem Ort, der meines Erachtens zu den schönsten Südtirols zählt, das hat im Übrigen schon Pasolini bemerkt. Weil wir schon bei Heinrich Heine sind: „Ein neues Lied, ein besseres Lied, / O Freunde, will ich euch dichten!“ lauten die Anschluss-Verse. Darum geht’s: um großartige Dichtung und Literatur, um neue Texte und um ausgezeichnete Autorinnen und Autoren. Wein wird dabei auch verkostet, ganz offiziell – es geht eben auch um die hohe Kunst des Weinlesens. Man muss zum Verkosten der edlen Tropfen nicht einmal in einen Keller, und man kann auch Wasser trinken!

Erri De Luca und Andreas Pfeifer werden das Festival eröffnen. Sie werden das Gespräch im Anschluss führen. Um welche Themen wird es sich drehen? Können Sie bereits etwas verraten?
Es gibt jedes Jahr einen Südtiroler Eröffnungsredner, dieses Mal ist das Andreas Pfeifer, außenpolitischer Ressortleiter des ORF. Er hat gerade erst den Franz-Grabner-Preis der Grazer Diagonale für die Doku „Flucht in die Freiheit“ erhalten – ein äußerst sensibler Film zum 60. Jahrestag des Ungarnaufstandes. Was Erri De Luca erzählen wird, ist eine Überraschung. Ich bin mit ihm in New York aufgetreten, auch dort hat er frei zum Publikum gesprochen. De Luca zählt zu  den mutigen Intellektuellen Italiens, er ist des Althebräischen mächtig, Bibel-Kenner, Sprachrohr der Unterdrückten, Rechtlosen. Vielleicht wird Andreas Pfeifer ein paar Fragen stellen, vielleicht erübrigen sie sich – wir überlassen die Dramaturgie dieses Abends mit Absicht De Luca.

Am Freitag (9.6.) steht das Festival ganz im Zeichen der verstorbenen Schriftstellerin Anita Pichler. Unter anderem mit Robert Schindel und Katja Lange-Müller. In welcher Beziehung standen sie zu Anita Pichler?
Katja Lange-Müller war schon in Ost-Berlin mit Anita Pichler und deren Ehemann befreundet. Robert Schindel, der auch als Lyriker beim Festival auftreten wird, war nicht nur ein Verlagskollege Anita Pichlers bei Suhrkamp, er hat auch als Freund frühe Texte von ihr redigiert. Heuer im April jährte sich Anitas Todestag zum 20. Mal, kommenden Jänner hätte sie ihren 70. Geburtstag gefeiert – ich wollte unbedingt an sie und ihre Literatur erinnern. Es wird auch die Gelegenheit geben, die Vertonung von Anita Pichlers Text „Das Herz“ durch den früh verstorbenen Tiroler Komponisten Haimo Wisser zu hören. 

Am Samstag (10.6.) wird es mit Karl-Markus Gauß und Friedrich Orter spannende kulturpolitische Statements zum Thema Sterbende Europäer geben. Wie kann Ihrer Meinung nach Literatur den europäischen Geist wachhalten? 
Es ist nicht Aufgabe der Literatur, politische Ziele zu verfolgen, aber es ist schön, wenn Veranstaltungen dieser Art – und ich meine damit auch die verschiedenen Lesungen, nicht nur die Diskussionsveranstaltung am Samstag – unser kulturelles Selbstverständnis hinterfragen.Die Frage ist viel mehr, wie kann man ein solches Festival noch internationaler gestalten – was ein finanzielles Problem ist, da man mit zahlreichen Übersetzern arbeiten müsste  –, wie kann man noch stärker von der eigenen Ethnozentriertheit, die in Südtirol ja bekanntlich besonders ausgeprägt ist, absehen und über den eigenen Horizont hinausschauen. 
Friedrich Orter kennt die Krisenherde der Welt aus eigener Erfahrung, er sieht durch die Veränderung der Weltordnung unsere europäische Freiheit in Gefahr, plädiert für mehr Widerstand. Karl-Markus Gauß ist ein erfahrener Reisereporter und Schriftsteller, der viel aus Mittel- und Südosteuropa berichtet. Er weiß von europäischen Völkern zu erzählen, die ohne eigenes Land leben wie etwa die Aromunen, die in Griechenland, Albanien, Mazedonien, Bulgarien und Rumänien zuhause sind. Ich habe erst durch Gauß erfahren, dass es die Aromunen gibt, dass sie eine eigene Sprache, nämlich das Aromunische, sprechen. 
Wenn man so will, zeigt allein schon die Herkunft vieler Autorinnen und Autoren von WeinLESEN, wie pluralistisch unser Europa längt ist – weder Dinev noch Gorelik noch meine Wenigkeit passen in nationale Kategorien, in all unseren radikal subjektiven Texten wird der „europäische Geist“ erfahrbar, er ist aber kein ideologisches oder politisches Programm.

Am Samstagnachmittag folgt dann „lebendige Literatur“ aus vielen Ecken Europas, am Abend gar eine lange Nacht der Literaturen. Soll der Wein die verschiedenen Stimmen zusammenbringen?
Michael Stiller, der als Geschäftsführer des Literaturhauses Niederösterreich seit vielen Jahren Veranstaltungserfahrungen gesammelt hat und ich, die in den letzten zwei Jahrzehnten ein Dutzend Literaturfestivals kennenlernen durfte, haben für WeinLESEN ein Konzept entwickelt, das sowohl Einzellesungen als auch eine „Lange Nacht der Literaturen“ vorsieht.  Ich persönlich schätze dieses Format sehr. Es treten mit Absicht in kurzen Abständen viele, völlig unterschiedliche Dichterinnen und Schriftsteller auf. Im Disparaten liegt gerade der Reiz. Zusammenbringen muss man da gar nichts. Da steht schon jede poetische, ästhetische Position für sich.

Dimitré Dinev wird das Festival in Neustift beenden. Vor ein paar Jahren hat bei einer Lesung im Theater in Altstadt in Meran anklingen lassen, wie gut Wein und Schreiben zusammenpassen? Führt beides zu Räuschen?
Das mag für einzelne durchaus stimmen. Im Wiener Literaturmuseum findet gerade eine Ausstellung mit dem Titel „Der Rausch des Schreibens“ statt. Ist übrigens sehenswert. Die meisten Schriftsteller trinken aber keinen Tropfen, während sie schreiben. Wein, ich betone es noch einmal, ist ein Kulturgut. Dass er bei WeinLESEN nicht gesoffen, sondern genossen wird, hängt damit zusammen, dass das Publikum den Unterschied zwischen Saufgelagen und fachkundiger Verkostung sehr genau kennt. 

In Südtirol ist die höchste Form der Anerkennung das Fernbleiben...

Es gibt auch kritische Stimmen zum Festival, etwa dass sich die Weinkellereien finanziell am wenigsten beteiligen, wohl am Ende aber am meisten profitieren?
Das stimmt so nicht. Die Weinkellereien stellen ihre Weine kostenlos zur Verfügung, die Räumlichkeiten bei den Winzer-Lesungen ebenso wie ihren eigenen Einsatz. Der direkte Abverkauf während und nach den Veranstaltungen hält sich sehr in Grenzen; vor allem geht es darum, dieses Veranstaltungsformat zu unterstützen.

Finden Sie, dass dieses größte Südtiroler Literatur-Festival in das Ambiente von Kloster Neustift passt? Abgesehen dass Literaten mitunter auch mit einem „neuen Stift“ schreiben?
Es war meine Idee, in Kloster Neustift ein Literaturfestival anzusiedeln. Ich war vor über 30 Jahren Mitbegründerin der „Kulturtage Lana“, die ein gänzlich anderes Publikum ansprechen. Ich habe mit Absicht die Weinbauern miteinbezogen, nicht nur, weil ich gerne guten Wein trinke, sondern weil es auch darum geht, die üblichen, sehr eng gesteckten literarischen Zirkel zu öffnen. Literaturvermittlung sollte auch in Bereichen geschehen, wo sie in Ihren Augen vielleicht nichts verloren hat. Ich bin anderer Meinung. Ich habe im Übrigen bereits vor Jahren im Drescher-Keller in Kaltern ein kleines Lyrikfestival organisiert, es hat damals keinen gestört, dass es in einem Weinkeller stattgefunden hat. 
Neustift besitzt eine der großartigsten Bibliotheken unseres Landes, es war eine Zeitlang Wohnort des größten Dichters, den wir je hatten, des Minnesängers Oswald von Wolkenstein. Es ist ein geradezu prädestinierter Ort für eine solche Großveranstaltung. Das Publikum war letztes Jahr begeistert, die Autoren und Autorinnen waren es auch.
Viele der von Ihnen genannten „kritischen Stimmen“ haben 2016 keine einzige Veranstaltung besucht.  Man möchte ein berühmtes Zitat variieren: In Südtirol ist die höchste Form der Anerkennung das Fernbleiben...

Inwiefern beteiligt sich das Kloster finanziell am Festival? Neustift ist ja im Grunde einer der größten „Großgrundbesitzer“ des Landes?
Ich war immer für die Nutzung bestehender Infrastrukturen, das erspart eine Menge Geld, das sonst in Büroanmietungen und Saalmieten fließen würde. Die Veranstaltungen werden über Mitarbeiterinnen des Bildungshauses und des Klosters abgewickelt; die Stiftskellerei stellt die Weine zur Verfügung, und wir können die Räumlichkeiten und den Hof des Klosters nutzen. Für das Programm sind im Übrigen einzig und allein Michael Stiller und meine Wenigkeit verantwortlich.