Wirtschaft | Energiewirtschaft

Strom aus Rom oder doch autonom?

Die steigenden Strompreise und die von der italienischen Regierung beschlossenen Maßnahmen lassen die Forderungen nach einer autonomen Strompolitik wieder lauter werden.
Strommasten
Foto: Pixabay

Die internationalen und somit auch die lokalen Strompreise schießen immer weiter in die Höhe: Der durchschnittliche italienische Haushalt muss allein in diesem Jahr mit einem Plus von mindestens 600 Euro rechnen und energieintensive Betriebe - wie auch in Südtirol einige angesiedelt sind - fürchten ein Ausufern der Produktionskosten; Produktionskosten, die letztlich eine Preisinflation mit sich ziehen.

Weil der italienische Staat die hohen Strompreise mit Maßnahmen zu tilgen sucht, die auf Kosten der in Südtirol angesiedelten Produzenten von erneuerbaren Energien gehen und Südtirol selbst doppelt so viel Strom produziert, als es verbraucht, werden die Stimmen, die ein “Los von Rom” der Südtiroler Energiepolitik fordern, immer lauter: Südtirol könnte sich mit einer abgekoppelten Strompolitik zu 100% auf lokal produzierte erneuerbare Energien stützen und den Strompreis unabhängig vom fluktuierenden internationalen Strommarkt gestalten (Salto.bz hat berichtet).

Wer aber profitiert von der momentanen Situation? Wie wirken sich die geplanten staatlichen Maßnahmen tatsächlich auf die in Südtirol angesiedelten Produzenten von erneuerbaren Energien aus? Und welche Vorteile und Schwierigkeiten würde eine autonome Südtiroler Energiepolitik mit sich ziehen?

 

Wer profitiert?

 

Wie sowohl der Direktor des Südtiroler Energieverbands, Rudi Rienzner als auch der Verbraucherschützer Walther Andreaus erklären, haben die Stromproduzenten auch in Südtirol ein Interesse daran, ihren Strom auf dem italienischen Strommarkt zu verkaufen: “Die lokalen Stromproduzenten haben bisher profitiert, da sie den Strom zu relativ guten Preisen am italienischen Strommarkt verkaufen konnten”, so Andreaus. Hätte Südtirol eine eigene Strompolitik, die auf günstige Preise ausgerichtet wäre, so müssten sich die Stromproduzenten mit niedrigeren Preisen begnügen.

 

Einerseits geht es hier also um die Interessen privater Betreiber, die damit höhere Gewinne einfahren können. Andererseits versprechen sich aber auch Land und Gemeinden durch die öffentlich getragene Energiegesellschaft Alperia Vorteile auf dem italienischen Markt: “Die Gewinne der öffentlich getragenen Energiegesellschaft fließen zurück in die Kassen von Land und Gemeinden und dann über den Haushalt zurück an die Bürger”, erklärt Rienzner. Für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger seien diese Vorteile jedoch kaum beziehungsweise nur über Umwege spürbar: Südtirol bleibt von den Preisen auf dem internationalen Markt abhängig und muss mit starken Preisfluktuationen und Extremen rechnen. “Die erzielten Gewinne fließen über Umwege zurück an die Öffentlichkeit. Die Strompreise für einzelne Haushalte und Unternehmen sind durch die ‘Heimholung’ der Energie nicht betroffen”, so Rienzner. 

 

Was, wenn der Staat Rückzahlungen verlangt?

 

Während sich die lokalen Stromproduzenten also über die steil ansteigenden Strompreise der letzten Monate freuen durften, leiden Haushalte und Betriebe unter den neuen Bedingungen auf dem internationalen und nationalen Strommarkt. Vor allem energieintensive Betriebe sehen stark ansteigenden Produktionskosten entgegen.

Um diese Kosten abzufedern, hat die italienische Regierung Ende Januar ein Maßnahmenpaket zur Unterstützung energieintensiver Betriebe geschnürt. Die Kosten dieses Unterstützungspakets sollen von jenen Betrieben bezahlt werden, die bis dato von den steigenden Preisen profitieren konnten: Die Produzenten erneuerbarer Energien, die vor allem auch im wasserkraftreichen Südtirol angesiedelt sind, sollen ihre Zusatzgewinne an den Staat abgeben.

Konkret heißt das, dass der Staat im Zeitraum zwischen dem 1. Februar und dem 31. Dezember 2022 all jene Gewinne abschöpft, die sich aus der Differenz zwischen dem momentanen Marktpreis für Strom und einem durchschnittlichen Referenzpreis (der auf Basis der durchschnittlichen Strompreise vor dem 31. Dezember 2020 festgelegt wird), ergeben. Dadurch sollen Schätzungen zufolge drei bis fünf Milliarden Euro in die Staatskassen fließen, die zur Dämpfung der Strompreise für Betriebe (und in einem geplanten zweiten Schritt auch für Haushalte) verwendet werden.

 

Wie Rienzner erklärt, müsse der Staat vor allem deshalb eingreifen, um die Inflation, die durch die hohen Energiepreise angetrieben wird, zu stoppen: “Energiepreise sind die stärksten Inflationsantreiber”, so Rienzner. “Der Staat musste auf die eine oder andere Weise intervenieren, um die Preise abzudämpfen”.

Laut dem Direktor des Südtiroler Energieverbands dürften die auf dem italienischen Strommarkt aktiven lokalen Produzenten von erneuerbaren Energien jedoch trotz dieser Maßnahme ausgezeichnete Bilanzen erzielen können (die Alperia konnte für eine diesbezügliche Stellungnahme leider nicht erreicht werden). Das Problem an der Maßnahme sei aber, dass einerseits genau jene Betriebe abgestraft würden, die durch die Produktion von erneuerbaren Energien umwelttechnische und strategische Vorteile bergen. Andererseits könnten durch eine autonome Strompolitik punktuellere Eingriffe gemacht werden: “Die Landesregierung hat im Moment keine Möglichkeit, um in den Strommarkt einzugreifen. Man ist von staatlichen Gesetzen und Aktivitäten abhängig”, so Rienzner.

 

Hohe Preise und Klimawandel erhöhen den Druck

 

Das Thema einer autonomen Strompolitik liegt also weiterhin auf dem Tisch. Und zwar mit mehr Nachdruck als bisher: “Die hohen Strompreise einerseits und die CO2-Emissionen der Stromproduktion andererseits steigern den Druck, in Südtirol auf eine autonome und nachhaltige Strompolitik umzusteigen”, so Rienzner. Beide Probleme könnten laut Rienzner durch das Abkoppeln der Strompolitik in den Griff bekommen werden.

 

Rund ein Drittel von Italiens Stromproduzenten befinden sich in Südtirol.

 

Südtirol verfüge nämlich nicht nur aufgrund des Autonomiestatuts über eine Sonderstellung im italienischen Staatsgebiet, sondern sei darüber hinaus auch durch systematische Besonderheiten gekennzeichnet: Während Italien ein sehr zentralistisch gesteuertes Stromnetz betreibt, das italienweit auf knapp 150 Stromproduzenten fußt, befinden sich rund ein Drittel dieser Produzenten in Südtirol. Wie viele andere Gebiete im Alpenraum kann Südtirol aufgrund der Wasserkraft auf ein dichtes Netz an Produzenten zurückgreifen und produziert somit mehr als doppelt so viel Strom als es verbraucht. (Zum Vergleich: Allein die Schweiz verfügt über rund 750 Stromverteiler).

Durch eine Abkoppelung könnten der Strom - nach dem Vorbild der Stromgenossenschaften oder Fernheizwerke - in einem geschlossenen Kreislauf vor Ort produziert, verteilt und verbraucht werden und somit Maßnahmen und Preise autonom in Südtirol festgelegt werden. Damit würde Südtirol zwar auf einen Teil der eingefahrenen Gewinne verzichten, könnte sich jedoch mit stabilen Preisen und punktuellen Eingriffen brüsten, so Rienzner. Der Strom, der nicht auf dem Territorium verbraucht wird, könnte hingegen auf der Strombörse verkauft werden.

 

Stolperstein Wettbewerbsverzerrung

 

Trotzdem: Wie Rienzner anmerkt, sei das Ganze nicht “einfach so” umsetzbar. Vor allem von den staatlichen, aber auch den europäischen Institutionen könnte es wegen der möglichen Wettbewerbsvorteile, die aufgrund niedrigerer Strompreise für Südtirol entstehen könnten, Widerstand geben. Mit dem nötigen politischen Willen - ein Willen, der in den letzten Jahren vernachlässigt wurde - sei die Umsetzung einer autonomen Südtiroler Strompolitik laut Rienzner  jedoch möglich.

 

Dass eine autonome Strompolitik jedoch nicht unbedingt günstige Strompreise heißen muss, sondern auch auf andere Ziele wie Preisstabilität oder Nachhaltigkeit setzen könnte, wird unter anderem durch die Aussagen von Landeshauptmann Arno Kompatscher deutlich: Bei der Landespressekonferenz am Dienstag gab Kompatscher zu bedenken, dass die Strompreise im Moment zwar zu hoch seien und abgefedert werden müssten. Langfristig müsste jedoch eine Erhöhung der Strompreise angepeilt werden: “Strom kostet immer noch zu wenig", so Kompatscher. "Kostet die Energie zu wenig, so wird zu viel davon eingekauft und verbraucht.” Zu hohe Strompreise seien hingegen nur dann ein Problem, wenn sie durch niedrige Strompreise anderswo einen Wettbewerbsnachteil mit sich zögen oder aber einkommensschwache Personen beträfen. Hier gelte es Abhilfen zu schaffen. Er deutet an, dass für die Zukunft eine neue Handhabung der Energie nötig sei. Wie diese aussehen soll, ließ er offen.

 

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Josef Fulterer Do., 03.02.2022 - 06:09

Von wegen Abfederung der zu hohen Strompreise für Minderbemittelte? Der Staat / das Land / die Gemeinden, müssen den Bürgern mindestens 3 € abknöpfen, um durch die eigenen Alles eher als effizient arbeitenden eigenen Verwaltungsaparate, "dem Bürger großzügig mit gnädiger Miene 1 € in die Hand drücken zu können."

Do., 03.02.2022 - 06:09 Permalink
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Günther Alois … Do., 03.02.2022 - 07:10

Da gibt es nur eines zu sagen,die Landesregierung hat zu lange geschlafen und nicht unbedingt ein Interesse den Strom billiger zu machen,denn sie profitiert gewaltig mit! Die Aussage des LH ist sehr bedenklich für alle Familien und Normalverdiener.

Do., 03.02.2022 - 07:10 Permalink
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Gianguido Piani Do., 03.02.2022 - 08:40

"Durch eine Abkoppelung könnten der Strom - nach dem Vorbild der Stromgenossenschaften oder Fernheizwerke - in einem geschlossenen Kreislauf vor Ort produziert, verteilt und verbraucht werden und somit Maßnahmen und Preise autonom in Südtirol festgelegt werden."
Es gibt bereits ein gut funktionierendes Referenzmodell, und zwar die deutschen Stadtwerke. Lokale Erzeugung und Verteilung und überregionaler Austausch. Was spricht dann bei uns gegen "Vinschgauer Energiewerke", "Pustertaler Strom" usw.?

Do., 03.02.2022 - 08:40 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Do., 03.02.2022 - 12:09

Also ist es laut Landeshauptmann besser, wenn ich "billiges" russisches Gas in meiner Heizung verbrenne, als mit einheimischem grünen, "teurem" Strom meine Wohnung zu wärmen?
Wo kämen wir denn hin, wenn "unser" Strom so billig würde, dass sich das auch noch rechnen würde!

Do., 03.02.2022 - 12:09 Permalink
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Peter Gasser Do., 03.02.2022 - 18:23

Antwort auf von Manfred Gasser

Mir ist dazu noch ein irrsinnigerer Gedanke gekommen: wir "müssen" in Südtirol schädliches klima-russisches Gas als Energieträger verbrennen, damit die Alperia in der Türkei und in Indien Wasserkraftwerke und in China Windparks bauen darf...
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(Warum nicht gleich bei uns die saubere Wasserkraft als Energieträger verwenden?).
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Beides zusammen ERHÖHT natürlich den Ausstoß klimaschädlicher Gase, da wird gar nichts kompensiert, sondern NUR erhöht.

Do., 03.02.2022 - 18:23 Permalink
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Emil Wörndle Do., 03.02.2022 - 18:01

Das ist ein schwieriges, wenn nicht unmögliches Unterfangen.
Seit der Reform der Verfassung von 2001 steht der Schutz des Wettbewerbes,  der Konkurrenz und der gemeinsamen Marktorganisation unter der ausschließlichen Zuständigkeit des Zentralstaates.
Exemplarisch vorexerziert wurde dies unter anderem mit dem Kodex für öffentliche Arbeiten, wo sich die Autonomie Südtirols nur noch auf die Zuständigkeit für Programmierung, die Genehmigung von Projekten zu städtebaulichen und Enteignungszwecken, die Verwaltungsorganisation, die Aufgaben und Anforderungen an den Verfahrensverantwortlichen und die Sicherheit am Arbeitsplatz beschränkt.
Diese in die Verfassung geschriebene Kompetenz wird sich der Zentralstaat auch beim Strommarkt nicht nehmen lassen.

Do., 03.02.2022 - 18:01 Permalink
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Klemens Riegler Do., 03.02.2022 - 22:22

Wenn da nicht schnell etwas passiert, dann gibts ... keine Ahnung. Lieber Ötzi-Strom-Rudi, liebe Alperia-Ponzen und auch Landesregierung: seid kreativ, bleibt ehrlich und bringt die Sache ins Lot. Gut 0,40€ pro kWh ist schlicht und einfach eine Frechheit in einem Land das doppelt so viel Green-Strom produziert als es selbst verbraucht. Zudem gehört der Strom der Südtiroler Bevölkerung, weil diese ihn mit Steuergeldern gekauft hat. Keine Ausreden wie wir hängen an den Strombörsen usw. ... es gibt immer eine Lösung wenn man in einer glücklichen Lage wie Südtirol ist!
Warum ist in den meisten Vergleichsportalen Alperia einer der teuersten Anbieter und Ötzi immer noch im oberen, teueren Sektor?
Muss ich wirklich zu Basilicata- oder Sardegna-Energia (oder wie die anderen alle heißen) wechseln die mit 40% Preisabschlag anbieten ? Das ist doch zum Schämen.

Do., 03.02.2022 - 22:22 Permalink