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Das vergessene Referendum

Stellen Sie sich vor, es ist Volksabstimmung und keiner geht hin. Am 29. März entscheiden die Wählerinnen und Wähler, ob das Parlament verkleinert wird oder nicht.
Referendum
Foto: upi
In knapp vier Wochen steht in Italien ein Urnengang an. Doch das wissen die Wenigsten. 
Die Schuld dafür trägt nur zu einem kleinen Teil das Coronavirus. Denn bereits in den Wochen als die Bedrohung noch weit weg war, wurde die für den 29. März angesetzte Volksbefragung kaum thematisiert. In den Südtiroler Medien kommt die Volksbefragung bisher nicht vor.
Auch die Parteien – allen voran die  Südtiroler Volkspartei – haben sich bisher nicht zum anstehenden Referendum geäußert. Das dürfte kein Zufall sein. Geht es bei der Volksbefragung vor allem darum, einige hundert gutbezahlte Sitze im Parlament abzuschaffen.

Die Verfassungsänderung

 
Nach einer über ein Jahrzehnt andauernden Diskussion hat die Regierung Conte I die Verkleinerung der beiden Kammern des italienischen Parlaments entschieden. Die Abgeordnetenkammer soll von 630 auf 400 Mitglieder und der Senat von 315 auf 200 Mitglieder verkleinert werden.
Weil die Stärke der beiden Kammern Teil der Verfassung ist, bedarf es zur Umsetzung der Reform eine Verfassungsänderung. Dafür ist aber ein besonderer Genehmigungsweg vorgeschrieben. Die Verfassungsänderung muss in doppelter Lesung genehmigt werden. Das heißt: Sowohl die Abgeordnetenkammer wie auch der Senat müssen jeweils in einem Abstand von mindestens drei Monaten gleich zweimal dem Gesetzestext zustimmen.
Diese Verabschiedung ist im vergangenen Jahr im Parlament über die Bühne gegangen.
Bisher bestand die Kammer aus 630 Abgeordneten. Seit 2001 werden davon zwölf Mitglieder in Auslandswahlkreisen gewählt. Der Senat hingegen hat 315 Mitglieder. Ein Sitz für das Aostatal, zwei für Molise und mindestens sieben Sitze für jede andere Region, sowie sechs Senatoren aus dem Ausland.
 
 
Mit der Reform wird die Abgeordnetenkammer auf 400 Mitglieder, davon acht für Auslanditaliener verkleinert. Der neue Senat soll 200 Sitze haben: einen für das Aostatal, zwei für Molise und mindestens drei für jede andere Region und jede autonome Provinz. Konkret heißt das, dass Südtirol aber auch das Trentino weiterhin jeweils drei Sitze im Senat bekleiden wird. Im neuen Senat werden vier Auslanditaliener sitzen.
Dass diese Verkleinerung des Parlaments aber noch nicht in trockenen Tüchern ist, liegt an einem wichtigen Detail.

Bestätigende Volksabstimmung

 
Die Bestimmungen sehen vor, dass es für eine Verfassungsänderung bei den Endabstimmungen einer Zweidrittelmehrheit bedarf. Bei der zweiten Abstimmung über die Verkleinerung des Parlaments wurde am 11. Juli 2019 im Senat diese Zweidrittelmehrheit aber nicht erreicht.
In diesem Fall können 500.000 Wahlberechtigte, ein Fünftel der Mitglieder einer Parlamentskammer oder die Regionalräte von fünf Regionen innerhalb von drei Monaten nach Veröffentlichung der Verfassungsänderung ein Referendum beantragen.
Die verabschiedete Verfassungsänderung tritt dann nur in Kraft, wenn sie auch beim Referendum eine Stimmenmehrheit erhält.
Weil viele Politiker nach dieser Reform  – durchaus zu Recht - um den eigenen gutdotierten Platz im Parlament fürchten müssen, haben 71 Senatoren eine Volksbefragung zu dieser Verfassungsänderung beantragt. 
Der Staatspräsident hat am 28. Jänner den Abstimmungstermin auf den 29. März 2020 festgelegt. An diesem Tag werden die Wählerinnen und Wähler von 7 bis 23 Uhr über die Verkleinerung abstimmen können. Für Auslanditaliener ist – wie bei allgemeinen Wahlen – die Briefwahl vorgesehen.
Wie in Italien üblich, wird auf dem Wahlzettel eine sperrige juridische Frage stehen, die kaum jemand versteht.  
 
 
Formal geht es um die Änderung der Artikel 56 und 57 der italienischen Verfassung, wo die zu wählenden Mitglieder der Parlamentskammern festgeschrieben werden. Die seit 1963 bestehende Jetzt-Regelung soll geändert werden.
Bei der Volksabstimmung Ende März handelt es sich um ein sogenanntes bestätigendes Referendum (referendum confermativo). In diesem Fall ist kein Quorum vorgesehen. Das heißt, die einfache Mehrheit gewinnt. Stimmen in ganz Italien nur 100 Wähler und Wählerinnen ab, und 60 sprechen sich gegen die Verkleinerung aus, ist die geplante Verfassungsänderung Geschichte.

Institutionelle Zerstreutheit

Vor diesem Hintergrund ist das allgemeine Desinteresse an dieser Volksabstimmung erklärbar.
Bedenkt man aber, dass in ganz Italien ebenso viele Wahlsitze und – sektionen eingerichtet werden müssen, wie bei jeder anderen Wahl und ein solcher Wahlgang den Staat rund 400 Millionen Euro kostet, so kann man die allgemeine Vergesslichkeit zumindest als demokratiepolitisch fahrlässig bezeichnen.
Denn dreieinhalb Wochen vor dem Referendum gibt es weder auf den institutionellen Seiten des Landes, der Landesregierung oder des Landtages irgendeinen Hinweis auf die Volksabstimmung. Auch im neuen Südtiroler Bürgernetz „Civis.bz“ kommt der Wahlgang vom 29. März nicht vor.
Dreieinhalb Wochen vor dem Referendum gibt es weder auf den institutionellen Seiten des Landes, der Landesregierung oder des Landtages irgendeinen Hinweis auf die Volksabstimmung. 
Aber selbst jene, die dafür vom Gesetz zuständig sind, scheinen noch im Winterschlaf zu sein. So findet man auf der offiziellen Homepage des Landesbeirates für Kommunikationswesen zwar die Hinweise, dass die Par Condicio für das Bozner Tramreferendum gilt, wie auch für die Gemeinderatswahlen am 3. Mai 2020. Aber auch hier keine Spur von der anstehenden Volksabstimmung. Dabei hat der staatliche Kommunikationsbeirat bereits am 13. Februar im Amtsblatt veröffentlicht, dass die Par Condico-Regelung auch für den 29. März gilt.
Deutlich aufmerksamer sind die Südtiroler Gemeinden. Sie kündigen mehr oder weniger sichtbar auf ihren Internetseiten das Referendum wenigstens an.
Dabei schadet dieses zur Schau gestellte institutionelle Desinteresse am Urnengang der Demokratie weit mehr als ein paar Wutbürger.
 
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Profil für Benutzer Alessandro Stenico
Alessandro Stenico Di., 03.03.2020 - 09:35

Si attende a giorni un decreto per rinviare la consultazione referendaria, i motivi sono ben noti: https://www.ilpost.it/2020/03/02/referendum-taglio-parlamentari-coronav…
„Se non si può andare in una chiesa per pregare, non si vede perché il 29 marzo si debba far la fila a un seggio per confermare una riforma insulsa dei Cinque Stelle, cui però si sono adeguati prima la Lega e poi la sinistra. In emergenza, si possono impiegare tempo e risorse su cose molto più utili“ titola „Linkiesta“

Di., 03.03.2020 - 09:35 Permalink