Gesellschaft | Basaglia

Kein Recht, diese Menschen auszusperren

Prof. Susanne Elsen im Interview über das Vermächtnis der Basaglia Reform, die vor 40 Jahren den Umgang mit psychiatrischen PatientInnen auf den Kopf stellte.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Basaglia
Foto: Photo credits: Claudio Erné

Die Freie Universität Bozen veranstaltet am Mittwoch, den 10. Oktober (13.30 bis 18.00 Uhr) den Kongress „40 Jahre Psychiatriereform Basaglia und die Arbeit am Sozialen“. StudentInnen, PraktikerInnen und interessierte BürgerInnen sind gleichermaßen zu der Veranstaltung eingeladen. Sie findet an der Fakultät für Bildungswissenschaften in Brixen statt.

 

Prof. Dr. Susanne Elsen, Studiengangsleiterin des Bachelors in Sozialarbeit hat den Kongress gemeinsam mit dem Doktoranden Livio Biasia und der Historikerin Dr. Siglinde Clementi organisiert.  Mit Salto hat sie über Basaglias Anliegen und die Herausforderungen für die Zukunft gesprochen.

 

salto.bz: Die „legge 180/1978“ bekannt als Legge Basaglia besteht seit 40 Jahren. Das erklärte Ziel der Reform war, die Ausgrenzung von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung aufzuhaben. Was hat sich seither verändert?

Susanne Elsen: Die Arbeit von Franco Basaglia und seinem Team hat eine Psychiatriereform weit über Italien hinaus erwirkt.

Vordergründig geht es darum, dass man die Leute nicht mehr festbindet, ihnen keine Elektroschocks gibt, sie nicht mit Medikamenten stillstellt. Die Methoden, mit denen die Psychiatrie früher an den Symptomen „herumgedoktert“ hat, gingen oft gegen die Menschenwürde und die Bürgerrechte.

Aber eigentlich geht es um etwas anderes: Basaglia und sein Team erkannten, dass diese Menschen in der und durch die Gesellschaft krank werden - man denke an Burn-Out in unserer Zeit. Der Gesellschaft wird abverlangt, das anzuerkennen und zu sehen: Wir haben nicht das Recht, diese Menschen aus der Gesellschaft zu entfernen, unsichtbar zu machen, stillzustellen, sondern wir müssen für sie das Recht der möglichst weitgehenden Teilhabe erwirken.

 

Was bedeutet das konkret?

Das heißt, es müssen Möglichkeiten der Arbeitsintegration gefunden werden und des würdigen Lebens und Wohnens jenseits von Anstaltssituationen. Die Menschen sollten in eine wie auch immer geartete Normalität integriert werden. Das stellt die gesamte Anstaltslogik infrage.

In der Zeit von Basaglia stammten ja die meisten Anstalten aus der Zeit des Faschismus - sie wurden als Aussonderungslager konstruiert. Die Menschen wurden weggesperrt und von Krankenwärtern bewacht. So etwas wäre heute auch dank seiner Arbeit nicht mehr möglich.

 

Was waren die wichtigsten Baustellen der Veränderung?

Zentrale Punkte sind das Verbot der Fixierung, die Auflösung von Anstaltsstrukturen hin zu unterstützenden Wohngemeinschaften. In Italien wurden im Zusammenhang mit diesem Gesetz die Sozialgenossenschaften in Italien geschaffen. Sie erlauben es diesen Menschen, in geschützten Formen sozial produktiv tätig werden.

 

Gab es auch Widerstände?

Die gibt es bis heute. Manche Akteure in der Psychiatrie sind da sicher nicht so glücklich, dass das Thema wieder aufgegriffen wird. Die Basaglia Reform wurde anfangs und bis heute von VertreterInnen von traditionellen Kräften bekämpft und abgelehnt. Und ÄrztInnen und PsychiaterInnen haben in der Gesellschaft eine große Definitionsmacht.

Basaglia konfrontiert die Gesellschaft damit, dass Abweichung normal ist. Psychiatrisch Erkrankte wecken oft Ängste in Menschen. Und ob sie versteckt und ausgesondert werden oder ob es in der Gesellschaft Fürsorge für sie gibt, ist im Grunde eine politische Frage.

Heute haben wir es auch mit sehr mächtigen Pharmakonzernen zu tun, die natürlich ein Interesse haben, dass Menschen als krank bezeichnet werden und vor allem mit Medikamenten behandelt werden. Psychopharmaka verbreiten sich immer weiter. Es ist erschütternd, wieviele Leute heute von „Happy Pills“ und Beruhigungsmitteln abhängig sind.

 

Hat die reformierte Psychiatrie bald eine Grenze erreicht? Oder anders gefragt, wie weit kann diese Entwicklung der Befreiung gehen?

Ich denke, da kann sich noch sehr viel tun. Es gibt immer wieder neue Kräfte und Ansätze, die Aussonderungssituation aufzuheben. Ein Münchner Student hat ein interessantes Experiment gewagt: Für zwei Tage haben die Kranken mit den ÄrztInnen und PflegerInnen die Rollen getauscht. Dann haben sie die Erfahrung gemeinsam ausgewertet.

Eine andere spannende Bewegung im Zusammenhang mit den Gedanken Basaglias ist die sogenannte „Community-Psychiatrie“ oder gemeindebasierte Psychiatrie. Sie gibt Menschen die Möglichkeit, sich in ihrer Gemeinde einbezogen und aufgehoben zu fühlen: Bei der Arbeit, in der Kirche, in Vereinen und Geschäften. Dazu ist natürlich Unterstützung notwendig.

Es gibt auch immer mehr Tagesstrukturen anstelle von Anstalten. Diese Menschen sind krank und brauchen professionelle Hilfe, aber sie können sich frei beschäftigen und abends nach Hause gehen.

 

Das Programm des Kongresses ist sehr vielfältig: gibt es besondere Highlights?

Besonders stolz sind wir auf die Präsenz von Tommaso Losavio und Lorenzo Toresini, zweier Zeitzeugen, die mit Franco Basaglia gearbeitet haben. Ihnen ist das Wachrufen und Weiterdiskutierten dieser Ideen ein großes Anliegen.

Toresini war hat diese Ideen übrigens auch seinerzeit als Primar in Meran umgesetzt.

 

 

Vierzig Jahre Psychiatriereform Basaglia und die Arbeit am Sozialen

10/10/18

13:30 - 18:00

Raum 2.24

Freie Universität Bozen

Fakultät für Bildungswissenschaften

Regensburger Allee, 16

39042 Brixen-Bressanone (BZ)

Auskünfte: [email protected]