Kultur | Salto Afternoon

Vor mir der Süden

Pepe Danquart überprüft in seinem Dokumentarfilm Pier Paolo Pasolinis Spurensuche in Italien aus dem Jahr 1959. Die Bilder der Gegenwart reichen weit über Italien hinaus
pepe danquart
Foto: filmpresse

salto.bz: Sie laden zu einer filmischen Reise in den Süden – in einem "Fiat Millecento" und mit Pier Paolo Pasolini als imaginären Reisebegleiter. Wie entsteht ein Film, der sich einerseits an historische Aufzeichnungen hält, andererseits die Gegenwart abbilden will?

Pepe Danquart: Sehr spontan. ich habe bewusst keine Recherchereise unternommen, sondern bin bewusst in das Risiko gegangen, wahrhaftig auf die Wirklichkeit Italiens heute zu treffen. Natürlich hatte ich die Reiseroute, die Reiseberichte von Pier Paolo Pasolini und bestimmte Fragen im Kopf. Durch meine Beschäftigung mit Pier Paolo Pasolini war ich geschult die Fragen, die diesen vor 60 Jahren beschäftigt haben, erneut aufzugreifen, also: Migration, Konsumismus und der überbordende Tourismus. Waren diese Phänomene vor 60 Jahren noch in den Anfängen, so explodieren seine Auswüchse heute in allen drei Feldern: Migration aus Afrika, Tourismus wie auf Elba oder Venedig, der Konsumismus auf der ganzen Welt und im Internet. So gesehen war Pier Paolo Pasolini ein Visionär und Italien das Spiegelbild Europas.


Vor wenigen Tagen stoppte Italiens Politik das Anti-Homophobie-Gesetz. Der Kinostart in Italien könnte mit einem Pasolini-Film nicht besser in unsere Zeit passen...

Pasolini wäre zur Hochform aufgelaufen in seiner Kritik an den Zuständen Italiens, die sinnbildlich die Probleme Europas widerspiegeln. Er hatte schon damals seine Homosexualität offen ausgelebt, da waren die Sanktionen noch bedeutend schärfer und auch die gesellschaftliche Akzeptanz zur diverser Identität noch nicht vorhanden – siehe seinen film Comizi d’amore. Im Film sagt ein Mitglied der Band Tre Allegri Ragazzi Morti, dass Italien nie rassisch war, weil es das nie sein musste. Jetzt, wo Italien Haltung zeigen soll, zeigt es sie nicht.

Solange der egoistische Kapitalismus nicht aufhören wird, immer wachsen zu wollen, die Doktrin des immer größeren Profits unser Dasein bestimmt und wir nicht Verzicht üben in vielem, wird unsere Umwelt kollabieren...

Wie blicken Sie auf das gegenwärtige Italien?

Nach wie vor ist es ein von mir geliebtes, offen diskutierendes Land mit Menschen, die Charakter haben und die Widersprüche leben können. Mit Mario Draghi hat Italien vielleicht auch einen Ministerpräsidenten, der zu dringend notwendigen Reformen fähig ist. Es ist ein Land mit tiefer Kultur, herausragender Küche und noch immer mit einem erheblichen Nord-Süd-Problem. Wenn man will, kann man all dies in meinem Film sehen.


​​​​​​​Aufzeichnungen zu Italienreisen gibt es viele. Was fasziniert an Pasolinis Reise? 

Dass er in einer Zeit fuhr, in der Italien im Umbruch war. Anfang der 60iger Jahre, als sich Italien als moderner Industriestaat konsolidierte, als sich Millionen von Süditalienern auf den Weg in den Norden machte und somit die größte Migrationsbewegung in Europa auslösten, als Urlaub auch für die Arbeiterklasse möglich und somit ans Meer gefahren wurde, als die deutschen Touristen nach dem verheerenden zweiten Weltkrieg wieder nach Italien fuhren, als sich das Fernsehen einer Gleichschaltung der Sprache anschickte: all das war Zeitgeist, den Pasolini erkannte und seine Gefahren benannte. Auch die Gleichschaltung der Sprache, das Verschwinden der Dialekte, der hedonistische Faschismus – ergo Konsumismus –, der eine Veränderung der Gesellschaft zunichte machte. All das gab es nur in dieser Reisebeschreibung.

Wie würden sie die Sichtweise auf Italien – durch die Ihre und durch Pasolinis Brille – beschreiben? Wie weitsichtig oder kurzsichtig erscheint Ihnen Ihre Momentaufnahme im Nachhinein?

Ich denke, dass die Momentaufnahme eine lange Gültigkeit haben wird. Afrika wird nicht aufhören, ein Stück vom Kuchen abhaben zu wollen, Europa wird nicht aufhören, sich wie im Mittelalter von Eindringlingen von außen erobern zu lassen und die Welt mit seinem Globus geht an der Gier der Menschen – an ihrem Konsum  zugrunde. Das ist keine Momentaufnahme.


Ihr Film beginnt am Strand, mit Sonnenschirmen und Meer-Feeling und endet am Meer bei Lazzaretto. Wird Italien – wie Ihr Film – von den Meeren eingeklemmt? Oder wird es von den Meeren zusammengehalten?

Das ist eine gute Frage. Ich denke, Italien wird durch die Meere zusammengehalten, weil die Meere die Identität der Bewohner dieser Halbinsel bestimmen. Ein ehemals seefahrendes Volk mit großen Häfen wie Genua und Neapel ist in ihren Genen vorhanden und auch das Entdecken und Niederlassen auf anderen Kontinenten ist nicht zu übersehen. Wer hat die Pasta entdeckt? Die Chinesen oder waren es Italiener? Die Frage nach dem Huhn und dem Ei.
 
„Davanti a me il Sud / Vor mir der Süden“ ist auch ein Film über Europa. Ist Europa in Italien bereits angekommen? Welchen Eindruck hatten Sie bei den Dreharbeiten?

Klar ist, dass der Film am Beispiel Italiens den Zustand Europas erzählt. Klar ist, wenn Europa sich nicht einigt auf eine gemeinsame Strategie im Umgang mit zum Beispiel Flüchtlingen aus Afrika, wird sich nichts ändern am Bestehen zweier Welten: der sogenannten dritten Welt und der ersten. Solange der egoistische Kapitalismus nicht aufhören wird, immer wachsen zu wollen, die Doktrin des immer größeren Profits unser Dasein bestimmt und wir nicht Verzicht üben in vielem, wird unsere Umwelt kollabieren wird – all das ist ein europäisches, ein sogar weltumfassendes Problem – kein spezifisch italienisches.


Pasolini hasste Gleichgültigkeit... so heißt es in einem Schlussstatement Ihres Filmes. Und in diesem Zusammenhang nun meine Schlussfrage: Italien bietet traumhafte Orte und Plätze: an welchem Ort wäre es Ihnen gleichgültig, wenn Ihrem Oldtimer der Sprit ausgeht?

Ich habe mich ja bereits eingerichtet in Italien. Am Lago di Como habe ich mein Paradies gefunden. Jedoch könnte der Sprit meines Fiat Millecento auch im Süden, in Kalabrien oder Sizilien ausgehen, denn dort beginnt das Abenteuer, wie Pasolini es einmal ausdrückte: Zauberhafter Süden mit all seinen Geheimnissen.

 

Südtirolpremiere von Davanti a me il Sud (ital) ist am Donnerstag (4.11.) im Filmclub. Die Version Vor mir der Süden (deu) wird von Freitag bis Sonntag gezeigt.