Kultur | Salto Afternoon

Die Schüler und die Schwalbe

Im April gewann der Film „Die Schwalbe“ den Preis der Euregio Schülerjury. Der Spielfilm wurde jetzt im Projekt Kino & Schule vorgestellt.
Die Schwalbe
Foto: Die Schwalbe

9 Uhr früh am Dienstag in der Dr. Streiter-Gasse in Bozen. Vor dem Capitolkino eine große Schar aufgeregt plaudernder Schülerinnen und Schüler. Freiwillig gehe man eher ins Cineplexx, aber heute seien sie mit der Schule da. Von der WFO Schlanders kämen einige, um den Film Die Schwalbe anzuschauen, sagt die begleitende Lehrperson und dass sie den Film aus dem Programm Kino & Schule ausgewählt hätte, weil er versprach, die höchst aktuelle Thematik Migration und Flucht, die auch die Jugendlichen gerade sehr bewegt, zu behandeln.
Später im Kinosaal herrscht gespannte Aufmerksamkeit, in einem Vorfilm erfahren die Jugendlichen, dass der Film, den sie gleich sehen werden, im April auf dem Film Festival Bozen prämiert wurde. Eine Schüler-Jury bestehend aus 9 Jugendlichen aus Südtirol, Tirol und Trentino habe den Film unter 5 anderen ausgewählt. Erstmals in der Geschichte des Bozner Film Festivals habe es in diesem Jahr eine Schüler-Jury gegeben, die neben den bereits bewährten professionellen, erwachsenen Jurys, Preise an die Filme in den Wettbewerben um den besten Spielfilm und den besten Dokumentarfilm vergaben.
Für die Jury 2017 können sich Schüler und Schülerinnen noch bis 20. Februar 2017 über die Homepage des Festivals bewerben. Die Jugendlichen im Saal spitzen die Ohren. Ein 4.-Klässler müsse man sein, das habe sich die Organisation des Festivals so ausgedacht, weil die Jugendlichen über mehrere Tage hinweg mitarbeiten und dazu im Bestfall auch in Bozen übernachten sollten. Das Projekt Euregio Schüler-Jury ist zwischen dem Anspruch, Sprachbarrieren zu überwinden und sprachbegabte Jugendliche an die Welt des Films abseits von Popkorn und Megaplex anzunähern, gefinkelt ausgedacht und in der kurzen Zeitspanne seines Bestehens zu einem Vorzeigeprojekt der Euregio avanciert.


…die Welt des Films abseits von Hollywood und Mainstream näher bringen

Die Ausarbeitung des Projekts unter Einbeziehung der drei regionalen Schulämter war ein harter Brocken Arbeit. Nicht, weil man irgendjemanden der Beteiligten von der Sinnhaftigkeit und vom Vorbildcharakter des Projektes, das, könnte man sagen, ja geradezu exemplarisch den Euregio-Gedanken verkörpert, hätte überzeugen müssen. Begeistert waren alle schnell davon, dass man mit diesem Projekt nicht nur Jugendlichen die Welt des Films abseits von Hollywood und Mainstream näher bringen kann und sie für das Medium Film als einer künstlerischen Ausdrucksform sensibilisieren kann, sondern dass die Zusammenführung von Jugendlichen aus den drei Regionen natürlich bestens geeignet ist, um den verbindenden Charakter des Euregio-Gedankens zu untermauern. Allerdings möchte ich hier nicht die Stunden nachzählen müssen, die wir, das Festival zusammen mit unseren Partnern, speziell dem Bereich Innovation und Beratung im Deutschen Bildungsressort, für die detaillierte Ausarbeitung aller Abläufe und aktuell auch noch für die Betreuung des Projektes aufgebracht haben und weiterhin bringen!“ sagt Helene Christanell, die Festivalleiterin und Initiatorin des Projektes, die ob der gelungenen ersten Auflage und der Begeisterung der beteiligten Jugendlichen sichtlich zufrieden ist.

Dass die 9 Schülerinnen und Schüler der Euregio Schüler-Jury in diesem Jahr unter Anleitung von zwei Filmexperten ausgerechnet einen Film prämiert haben, der zur aktuellen politischen Lage im Nahen Osten Stellung bezieht, wenn er auch eine Liebesgeschichte erzählt, beweist, dass hier mit Bedacht ausgewählt wurde: „Ein Film müsse ästhetisch überzeugen, aber auch aktuelle Probleme behandeln und als Geschichte funktionieren“ so David Frötscher, einer der jungen Juroren, der sich durchaus vorstellen kann, nach absolvierter Matura im nächsten Jahr „etwas in Richtung Film zu machen“. Dass die Erfahrungen, die er in der Schülerjury in diesem Frühjahr beim Bozner Filmfestival machen durfte, ihn darin bestärkt hätten, steht außer Zweifel, schließlich „könne er jetzt viel besser beurteilen und begründen, auf welche inhaltlichen und formalen Ursachen die Wirkung eines Films zurück zu führen sei“.

Ein Film müsse ästhetisch überzeugen, aber auch aktuelle Probleme behandeln und als Geschichte funktionieren
David Frötscher

Mit dem Spielfilm Die Schwalbe knüpft Mano Khalil, der Schweizer Regisseur mit kurdisch-syrischen Wurzeln, der mit seinen Dokumentarfilmen Unser Garten Eden (2010) und Der Imker (2013) auch schon in Bozen ausgezeichnet wurde, an die universellen Fragen nach Identität und Heimat an, die ihn als Filmemacher seit seinen Anfängen beschäftigen. In seinem Spielfilmdebüt kehrt er, der seit 20 Jahren in der Schweiz lebt, in seine konfliktgeprägte Heimatregion, das irakische Kurdistan zurück. Hier spielt die Geschichte von Mira, einer jungen Schweizerin, die auf der Suche nach ihrem Vater auf Terrorismus, Kriegsverbrechen und Selbstjustiz aber auch auf die Liebe trifft.

Die Schwalbe, Trailer zum Film von Mano Khalil 

Weil die echten Peschmerga, die kurdischen Streitkräfte, die heute gegen den IS kämpfen, sich nicht filmen lassen dürfen, habe ich Schauspieler engagiert“, erzählt der redselige, sympathische Khalil den anwesenden Schülern nach dem Film. Überhaupt hätten solche Umstände die Entscheidung, einen Spielfilm und keinen Dokumentarfilm über die Zustände im heutigen Kurdistan zu machen, mehr beeinflusst als das Drehbuch, das er seit 15 Jahren im Schreibtisch habe. Die Situation der Kurden habe sich tatsächlich aber seit 80 Jahren nicht verändert. All diese kurdischen Regionen zwischen Syrien, Irak und der Türkei, dieses teilautonome Kurdistan und all die umkämpften Grenzgebiete sind auch heute ein unberechenbares Territorium geblieben. Verwicklungen von Politik, Traditionen, Loyalitäten, Opportunismus prägen diese Grenzregion. Zu bewundern bleiben da die einzelnen Menschen, wie Ramo im Film, die das Auge um Auge irgendwann unterbrechen, sei es um den Preis, dafür ihr Leben zu opfern.

Die Komparsen, die wir aus einem Flüchtlingslager geholt haben, bekamen pro Tag 30 Franken. Nicht 300 wie in der Schweiz üblich...

Begeistert vom Film, aber auch ein bisschen verunsichert angesichts so viel Überzeugung und Empathie für die Helden auf der richtigen Seite lenken die Schüler die Diskussion schließlich auf die nackten Zahlen des Filmgeschäfts. Ob die Dutzenden Komparsen im Film auch bezahlt wurden, traut sich ein Schüler zu fragen. Mano Khalil, heute einer der bekanntesten und bestgeförderten Schweizer Filmemacher ist auch um diese Antwort nicht verlegen: „Die Komparsen, die wir aus einem Flüchtlingslager geholt haben, bekamen pro Tag 30 Franken. Nicht 300 wie in der Schweiz üblich, aber immerhin etwas, das ihren Flüchtlingsalltag verschönert hat.“