Film | SALTO Weekend

Im Sommer geht die Welt zugrunde

Der Silberne Bär der diesjährigen Berlinale ging an Christian Petzold und seinen Film "Roter Himmel". Das Werk ist ein warnender Weckruf des deutschen Films.
Zwei Menschen am Meer
Foto: Christian Petzold
  • Man fühlt sich an die Filme von Eric Rohmer erinnert, insbesondere an das Lebensgefühl von Pauline am Strand. Einige junge Menschen kommen zusammen, tummeln sich am Meer, zwischen Arbeit und Urlaub, reiben sich aneinander. Christian Petzolds neuer Film schlägt in diese Kerbe, fügt dem sommerlichen Idyll aber eine ganz und gar reale Bedrohung hinzu.

  • Die Arbeit lässt es nicht zu

    Der junge Autor Leon fährt mit seinem Freund Felix an die Ostsee, wo die Familie von Letzterem ein Haus im Grünen besitzt. Dorthin fahren sie, um zu arbeiten, insbesondere Leon, der kurz vor einer Manuskriptabgabe steht. Felix lässt sich hingegen allzu leicht von den Annehmlichkeiten des Ortes (ein Haus am Meer) und der Zeit (Sommer) ablenken. Er vernachlässigt die Arbeit an seiner Bewerbungsmappe für die Kunstakademie, und geht stattdessen lieber an den Strand. Gleich nach ihrer Ankunft müssen die beiden Berliner Männer aber feststellen, dass sie nicht allein im Haus sein werden. Die Nichte einer Freundin von Felix Mutter wohnt ebenfalls zeitweise dort, Nadja ist ihr Name, eine vermeintliche Russin, wie Leon schätzt, und die bald schon mit nächtlichem Besuch inklusive lautstarker Schäferstündchen auffällt. Felix freut sich über die zusätzliche Gesellschaft und nimmt deren Angebot, gemeinsam die Zeit totzuschlagen, auch gerne an. Nur Leon wirkt abweisend, er fühlt sich gestört und schiebt seinen Unwillen, sich in die Gemeinschaft aus Felix, Nadja und ihrem Flirt Devid einzufügen, auf sein unfertiges Manuskript. Immerhin wird der Verleger aus Berlin in wenigen Tagen zu ihm stoßen und ihm das Buch „um die Ohren hauen“.

  • Foto: Christian Petzold
  • Worüber macht die sich denn Sorgen?

    Der scheinbar immerzu gereizte und griesgrämige Leon, wunderbar authentisch verkörpert vom Österreicher Thomas Schubert, wirft trotz seiner anfänglichen Abneigung recht schnell ein Auge auf die mysteriöse Najda, ebenfalls perfekt besetzt mit Petzold-Liebling Paula Beer. Eisverkäuferin scheint sie zu sein, und interessiert an Leons Buch. Der versteckt sein eigenes Interesse für ihre Person recht geschickt hinter hohem Arbeitswillen, Schlaflosigkeit und patzigen Kommentaren. Erst nach und nach schafft er es, sich ihr zu öffnen und ihre Gedanken zu hören. Nadjas Sorgen erfährt Leon hingegen erst über Dritte, namentlich seinen Verleger. Die nahen Waldbrände machen der jungen Frau zu schaffen, ebenso wie Teilen der Bevölkerung naher Städte und Dörfer, die evakuiert werden müssen. Doch der Wind weht in die richtige Richtung, heißt es, die jungen Protagonisten des Films scheinen keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt. Es ist eine trügerische Sicherheit, in der das Drehbuch seine Figuren wiegt, ebenso wie wir die Klimakrise aus der Entfernung mit einem Schulterzucken abtun, so lange, bis sie uns brennend und rauchend und vernichtend erreicht.

  • Dem Sommer geht die Poesie verloren

    Während der Großteil des Films überraschend humorvoll und liebenswürdig daherkommt, nimmt das Drehbuch im dritten Akt eine überraschende tonale Wendung. Die Sommer des eingangs erwähnten Eric Rohmer sind passe, sie sind einer allgemeinen Trockenheit gewichen, werden gestört von den Sirenen der Feuerwehren, der Unfähigkeit der Figuren, zu kommunizieren, kurz: Der Sommer hat seine Unschuld verloren. Petzold kleidet seine Geschichte in gewohnt schlichte, doch wohl überlegte Bilder, einem einzelnen, wiederkehrenden Lied und viel Atmosphäre. Sein Schauspielerensemble, zu dem sich außer Schubert und Beer noch Langston Uibel, Matthias Brandt und Enno Trebs gesellen, tun ihr Übriges. Lebensnah geschrieben und gespielte Dialoge erlauben sich keinen Pathos, und lassen selbst drastische Wendungen nach kurzem Stirnrunzeln ganz und gar echt wirken. Die Drastik des Films gegen Ende hin lässt alles, was bis dahin geschah, vergessen. All die Dispute, all die zwischenmenschliche Achterbahnfahrt, all die vernichtende Kritik eines Verlegers und die eigenen Selbstzweifel werden nichtig angesichts der Katastrophe, die uns früher oder später auch hierzulande erwartet. Die Waldbrände werden nur der Anfang sein. Christian Petzold ist ein hervorragendes Stück Gegenwart gelungen, das aktueller und warnender nicht sein könnte, dabei aber nicht zum reinen Politikum verkommt. Der Film stellt die kleinen Krisen des Alltäglichen prominent in den Vordergrund, belässt sie jedoch lange im Schatten des in Flammen stehenden, roten Himmels, bis es die Gegenwart nicht mehr zulässt.

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