Gesellschaft | Fridays for Future

„An revolutionären Spirit erinnern“

Klimaangst, soziale Rechte und die Vorteile von Aktivismus: Majda Brecelj und Zeno Oberkofler haben sich mit Gewerkschaftschefin Cristina Masera ausgetauscht.
Fridays for Future 29112019
Foto: salto.bz /N.Arrigoni
Vor der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der weltweit hohen Inflation stellte sich eine junge Schwedin vor das Parlament in Stockholm und streikte für mehr Engagement im Kampf gegen die globale Erderwärmung. Der Initiative der damals 15-jährigen Greta Thunberg folgten Tausende Schüler*innen und Student*innen weltweit, um mit ihrem Streik die Einhaltung der Pariser Klimaziele einzufordern.
Vier Jahre später sieht sich Fridays for Future mit wenigen Fortschritten im Klimaschutz sowie sinkenden Teilnehmer*innenzahlen bei ihren Demos konfrontiert, die Bewegung sucht nach neuen Partnern für ihre Ziele. Sind in Berlin im September 2019 laut Veranstalter noch rund Hunderttausend Menschen auf die Straße gegangen, waren es im März 2023 beim zwölften globalen Klimastreik in der deutschen Hauptstadt noch knapp 20.000. Auch in Bozen waren im Februar 2019 3.000 Demonstrant*innen auf der Straße gewesen, heuer im März waren es noch rund 300.
Wir haben als Fridays for Future auch die Aufgabe, diese Menschen zu reaktivieren und an den revolutionären Spirit zu erinnern.
Indessen bleibt die Klimakrise ein zwar ständig präsentes, aber auch sehr hart umkämpftes Thema im politischen Tagesgeschehen. Unter diesen Rahmenbedingungen gehen Aktivist*innen neue Wege. Sie bewerfen berühmte Gemälde mit Lebensmitteln, kleben sich auf Straßen und stürmen in den Braunkohletagebau von Lützerath. Sie nennen sich „Letzte Generation“ oder „Extinction Rebellion“.
 
 
„Ich würde manche dieser Aktionen nicht umsetzen, aber ich kann diese Menschen zu 100 Prozent verstehen“, sagt Majda Brecelj von Fridays for Future South Tyrol bei der Podiumsdiskussion mit der Gewerkschaft Cgil/Agb vergangene Woche in Bozen. „Aktivistin zu sein, ist nicht immer einfach. Wir setzen uns so sehr für etwas ein und trotzdem geht alles zu langsam“, so Brecelj. Die Podiumsdiskussion im Kolpinghaus von Bozen, organisiert von „Storia e Futuro“, hat unter dem Titel „Cambiamento climatico, l’impegno dei giovani“ stattgefunden und bot einen Austausch zwischen Majda Brecelj und Zeno Oberkofler von Fridays for Future South Tyrol mit der Cgil/Agb-Generalsekretärin Cristina Masera und Gewerkschaftsmitgliedern.
 

Soziale Rechte und Klimaschutz

 
Nicht nur in Südtirol setzt Fridays for Future auf die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften. In Deutschland startete die Bewegung mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi eine Kampagne für die Verkehrswende, in Florenz wurde gemeinsam mit Arbeiter*innen ein Crowdfunding gestartet, um eine 2021 geschlossene Autozulieferfabrik von Gkn für die Produktion von Photovoltaik zu nutzen.  
In Südtirol will Cgil/Agb den Klimaaktivist*innen mehr Gehör verschaffen, unter anderem in ihrer Gewerkschaftszeitschrift für Pensionist*innen, aber auch auf der politischen Bühne: „Wir wollen mit euch in Austausch bleiben, Vorurteile abbauen und Klimaschutz auf unsere Agenda setzen, denn soziale und ökologische Nachhaltigkeit können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Gerade Schwächere sind weniger resistent, deshalb brauchen wir eine Transformation, die niemanden zurücklässt“, erklärt Cgil/Agb-Generalsekretärin Masera.
 
 
Die Südtiroler Gruppierung von Fridays for Future hat derzeit rund zehn Personen im Organisationsteam, das sich mindestens einmal im Monat trifft. „Wir sind kein eingetragener Verein und eine sehr dynamische Bewegung“, erklärt Brecelj. Die sozialen Medien sind dabei wichtige Instrumente, um die eigenen Zielgruppen zu erreichen – aber nicht nur. „Wir wollen nach den Lockdowns auf die Menschen wieder persönlich zugehen und beispielsweise in den Schulen Flyer verteilen“, sagt Oberkofler im Hinblick auf die anstehende Landtagswahl im Herbst, bei der sie für Klimaschutz mobilisieren wollen.
 

Klimaangst und Aktivismus

 
Gerade in den Schulen spiele das Thema Klimawandel eine wichtige Rolle, wie Maria Kerschbaumer von der Cgil/Agb-Fachgewerkschaft für Bildung und Wissenschaft bei der Podiumsdiskussion betont. „Es gibt Lehrkräfte, die mit ihren Klassen auf die Demos gehen und ich finde, das ist ein schönes Zeichen. Mittlerweile sind die Schüler*innen der Mittel- und Oberschulen diejenigen, die am meisten über das Thema Bescheid wissen“, sagt Kerschbaumer.
Das führe mitunter zu Frustration und Zukunftsängsten: „Es gibt auch Jugendliche, die nichts mehr darüber wissen wollen. Mittelschüler*innen kommen nach Hause und weinen, weil sie dieses Thema so beschäftigt“, berichtet die Gewerkschafterin. Klimaschutzaktivist Zeno Oberkofler bestätigt diese Entwicklung: „Unsere Generation wird mit vielen, schlechten Nachrichten bombardiert. Sie fühlt sich überwältigt und hier wird auch die Klimaangst relevant. Dann blockieren einige junge Menschen, weil es zu viel ist und sie sich keine positive Zukunft vorstellen können.“
 
 
Das führe zu Resignation, was ein großes Problem darstelle. „Wir haben als Fridays for Future auch die Aufgabe, diese Menschen zu reaktivieren und an den revolutionären Spirit zu erinnern“, sagt Oberkofler. Das eigene Engagement als Demonstrant*in habe nicht nur eine Signalwirkung an die Öffentlichkeit, sondern bestärke auch im eigenen Tun.
„Auf der Straße merkst du, dass es andere Personen gibt, die dieselben Ideen, Ängste und Sorgen haben. Es ist eine organisierte Gruppe, wo du Unterstützung findest. Aktivwerden, irgendetwas machen, ist die beste Medizin gegen die Angst, die uns blockiert“, so Oberkofler. Dass dabei nur junge Schüler*innen gemeint sind, sei nicht seine Botschaft: „Wir leben bereits in einer unsicheren Zukunft. Wenn dann auch noch gesagt wird, dass die junge Generation die einzige Hoffnung ist, dann ist das zu viel Verantwortung für uns. Aktiviert also auch euch und unterstützt uns.“  
Studien zeigen, dass für den Erfolg von zivilen Protesten vor allem genug Leute mitmachen müssen, nämlich im Durchschnitt mindestens 3,5 Prozent der Bevölkerung. Erstmals herausgefunden hat das die Harvard-Politologin Erica Chenoweth bei ihrer Analyse von Hunderten Kampagnen. Dabei sind friedlichere Protestformen erfolgreicher, da sich laut dem US-Politikwissenschaftler Gene Sharp durch Gewalt viele Menschen zurückziehen.