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Krieg bleibt immer gleich

Ein deutscher Regisseur wagt sich an die Neuverfilmung eines Weltklassikers, der bis heute nichts von seiner Kraft und Eindringlichkeit verloren hat. Kann das gelingen?
Im Westen nichts Neues
Foto: Netflix

Bei Hannah Arendt ist von der Banalität des Bösen zu lesen, im Falle des Jahrhundertromans "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque könnte man hingegen von der Banalität des Krieges sprechen. In erschreckender Einfachheit erzählt der Autor in seinem 1928 erschienenen Roman vom Krieg aus der Sicht eines neunzehnjährigen Soldaten. Paul Bäumer ist sein Name, und die Begeisterung ist groß. Nicht für den Frieden, nein, für den Krieg. Die oft zitierte, heute unverständliche Begeisterung für den nahenden Konflikt ist Paul und seinen jungen Kameraden gemein. Sie ziehen in den Krieg, euphorisch und hoffend, um was eigentlich zu tun?

Der deutsche Regisseur Edward Berger hat Remarques Antikriegswerk nun filmisch adaptiert, und seit einigen Tagen kann man den Film auf Netflix sehen. Damit ist es die dritte Verfilmung des Stoffes, erstmalig erschien nur wenige Jahre nach Kriegsende, nämlich 1931 eine Fassung von Lewis Milestone. Berger hat sich gegen eine radikale Neuinterpretation des literarischen Stoffs entschieden, und wandelt auf ausgetretenen Pfaden. Ähnlich kompromisslos wie das Buch erzählt Berger vom Werdegang Pauls, zeigt ungeschönt die Gewalt und damit das Gesicht des Krieges, fügt jedoch einige Nebenschauplätze zur Handlung, die die bürokratische Seite des Krieges illustrieren. So verfolgen wir etwa die diplomatischen Bemühungen des Unterhändlers Matthias Erzberger, der im Dialog mit französischen Militärs um Frieden ringt. Der wird teuer erkauft, durch französische Forderungen, die der sterbenden deutschen Monarchie nicht schmecken. Erst als der Kaiser abdankt, scheint der Weg frei. Und die Zeit eilt. Es ist 1918, und jeder Tag Krieg bedeutet unzählige weitere Opfer.

 


Am Schlachtfeld scheint die Sonne nicht. Diesen Eindruck erhält man beim Schauen von "Im Westen nichts Neues" jedenfalls. Damit ist der Film nicht allein. Die seit einigen Jahrzehnten gängige filmische Ästhetik im Genre des Kriegs- bzw. Antikriegsfilms dominiert auch hier. Das bedeutet: grau-brauner Matsch, nebelverhangene Schlachtfelder, Blut und Wunden, Schießpulver und Rauch. Der Film gibt sich audiovisuell keine Blöße und zeigt in aller Härte die Brutalität des Ersten Weltkriegs. Das ist nichts für Zartbesaitete, mag man nun sagen, doch wann und wie soll der Krieg als Idee überhaupt etwas menschliches sein? Sehr wohl ist er vom Mensch gemacht, geplant, ausgeführt, gesiegt und verloren. Die wirklichen Drahtzieher sehen das Schlachtfeld nicht. Sie sitzen in Prunkräumen und diskutieren bei Tee und Kuchen über das weitere Vorgehen. Sie ziehen angesichts verlorenem Posten besorgt die Stirn in Falten und beruhigen sich gegenseitig. Denn: Der nächste Jahrgang frischen, unverbrauchten Kanonenfutters ist bereits im Anmarsch. Es ist der absurde Kontrast zwischen den Herrschenden in Frieden und Luxus, und ihrem menschenverachtenden Gemetzel, das sie selbst nicht zu Gesicht bekommen. Der Protagonist Paul und seine Kameraden stammen aus idyllischen Örtchen, ziehen schließlich los in die Tristesse französischer Landstriche, und verändern sich, verwachsen mit dem Krieg, der alltäglichen Gewalt und vergessen die Menschlichkeit in ihrem Inneren. Schuld daran ist auch die Anonymität, die weit hin sichtbar über dem Schlachtfeld hängt. Wenn sich Paul in einem Krater einem einzigen französischen Soldaten gegenübersieht, bekommt das Töten eine neue, persönliche Dimension. Er tötet keine Silhouette im Nebel, keinen Helm, der sich weit aus der Deckung traut. Nein, er tötet einen Menschen, einen Vater und Ehemann. Gespielt wird Paul souverän unscheinbar von Felix Kammerer. Er taucht unter in der Masse der Soldaten, ist einer von vielen, denen zum verwechseln ähnlich. Ähnliches gilt für die Nebenrollen, die mit einer feinen Auswahl deutscher Schauspieler besetzt sind. Neben Albrecht Schuch, Aaron Hilmer oder Edin Hasanovic findet sich darunter auch Daniel Brühl als Erzberger. Sie alle fügen sich gut in die gelungene Inszenierung, die sich vor beeindruckendem Szenenbild abspielt. Besonders die Schlachtszenen sind von erdrückender Intensität, und verlangen dem Publikum eine Sehnsucht nach deren Ende ab. Doch der Krieg endet, wenn es die Bürokratie erlaubt. Und sei es auf die Minute bemessen. Um Elf Uhr wird Waffenstillstand herrschen, bis dahin soll geschossen werden. Wenn es nach dem Willen eines ewiggestrigen Generals geht, hat der Soldat im Angesicht der Niederlage ehrenhaft auf dem Schlachtfeld zu sterben, also soll geschossen werden. Auch wenn längst schon der Frieden am Horizont steht, es soll geschossen werden.

 


Erzählt der Film etwas Neues, liefert er bisher nicht dagewesene Erkenntnisse, oder stellt das Genre auf den Kopf? In allen Fällen lautet die Antwort: Im Westen nichts Neues. Dennoch ist der Film ein wichtiger Beitrag zum konstant zu predigenden Credo, dem Krieg als Konfliktlösung endlich abzusagen. Besagter General stellt in einer Szene des Films die Frage: Was ist ein Soldat ohne Krieg? Antworten müsste man ihm: Ein Mensch.

 

Im Westen nichts Neues | Offizieller Trailer | Netflix