Gesellschaft | Im Wandel

Tourismus als innere Haltung

Erlebniswelten auf jedem Gipfel haben ausgedient. Harry Gatterer plädiert für einen Tourismus, der Haltung zeigt: anderen mit Respekt und Neugierde begegnen.
Tourismus
Foto: Südtirolfoto/O.Seehauser

Der Geschäftsführer des Zukunftsinstituts, Harry Gatterer, beginnt seinen Vortrag zum Thema “Tourismus im Wandel” mit einem Paradox: Der Vortrag, der die Kraft der Resonanz vermitteln soll, wird Corona-bedingt zum Selbstgespräch; Resonanz aber verlangt nach einer Beziehung.

Anders als bei den meisten Selbstgesprächen gibt es in der von HGJ und Eurac organisierten Onlinekonferenz zwar eine Menge Zuhörer, ihre Reaktionen verstecken sich jedoch hinter den Bildschirmen. So bleibt die Resonanz, in anderen Worten der Aufbau einer Beziehung zu jemandem oder zu etwas, der eine wechselseitige Anregung und Hingabe verspricht, im Verborgenen. Die Resonanz zwischen Mensch, Objekt und Umgebung kann nicht auf einem mit Zuschauern prall gefülltem Saal und dessen Reaktionen aufgebaut werden, sondern muss aus einer reinen Vorstellung entspringen: Was ist für den Zuhörer interessant? Was ist spannend? 

Diese Sensibilität, sich in andere hineinzuversetzen, um daraus ein Resonanzerlebnis zu schaffen, ist für Harry Gatterer nicht zur Zutat für einen gelungenen Vortrag, sondern viel mehr eine grundlegende Haltung, aus der allein ein zukunftsfähiger Tourismus entspringen kann.

 

Die momentane Situation kommt für einen Wandel nicht ungelegen: Anstatt wie üblich auf Gewohntem aufzubauen und Gewohntes mit Gewolltem zu verwechseln, sind wir dazu gezwungen, in eine Zukunft zu blicken, die sich grundlegend von der heutigen Situation unterscheidet. Covid-19 zwingt uns ein Momentum auf, uns nicht in den Komfort des Gewohnten zurückzuziehen, sondern Innovation und Wandel aus den Sehnsüchten einer Gesellschaft entspringen zu lassen. Diese Sehnsüchte müssen auch Grundlage für einen zukunftsfähigen Tourismus sein.

Die Zuspitzung der Inszenierung, die den Tourismus der letzten Jahre prägt – sprich: jeder Pfad wird zum raffiniert inszenierten Abenteuerweg, jeder auch noch so schroffe Gipfel beherbergt eine eigene Erlebniswelt und Hotels locken mit einzigartigen Duft- und Geschmackswelten –, hat zwar für einige Zeit gut funktioniert, hat sich aber zunehmend erschöpft. Heute ist Dauerbeschallung durch Inszenierung Normalität und Resonanz Mangelware. Ein verpasster Anruf wird zum verpassten Event und ein Rückruf, der ja eine gewisse Beziehung ausdrücken würde, zur Seltenheit.

Wir leben in einer Welt, in der wir, anstatt uns selbst zu spüren und so mit anderen neugierig in Kontakt zu treten, anderen als Funktion mit einer festen Aufgabe (“Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise?”) gegenübertreten. Wir entziehen uns der Berührung. Gleichzeitig verlangen wir als Reisende nach genau jener Berührung, der wir uns so kunstvoll entziehen. Auf diesem Verlangen gründend, muss auch im Tourismus eine neue Haltung an den Tag gelegt werden. Dazu sind keine Millioneninvestitionen oder neue technologische Errungenschaften nötig, sondern eine neue Sensibilität. Eine Haltung, die damit beginnt, einander ernst zu nehmen und zu respektieren, mit Neugierde aufeinander zuzugehen, um so eine Beziehung zu erfahren, nicht um sie vorauszuplanen und zu erzwingen. Wenn der Tourismus den Menschen auch in Zukunft ein positives Gefühl vermitteln, sie berühren will, muss eine Haltung und kein Geschäftsmodell zur Grundlage werden. Mit diesem Anstoß zum Denken, Handeln und Wandeln lässt Gatterer die Teilnehmer der Onlinekonferenz – Tourismustreibende, Funktionäre, Schüler und Studenten – zurück.