Jannik Sinner
Foto: tiebreaktennis.it
Sport | Nationalismus

Infragestellung seiner Loyalität

Jannik Sinners „Einbürgerung“ durch die „Gazzetta“
  • Es ist schon erstaunlich, eigentlich unglaublich! Wir leben in einer Zeit, in der wir per Mausklick am Tablet oder mit einem „Wischer“ am Smartphone in Sekunden Teil des „Gobal Village“ (Marshall McLuhan, 1962) sind. Und in einer Zeit, in der Profi- und Spitzensportler aller Art unabhängig von ihrer Herkunft, Ethnie, Hautfarbe, Sprache und Nationalität täglich um Millionenbeträge rund um den ganzen Erdball von ihren Clubs und „Ställen“ vermittelt, gehandelt und verkauft werden. Und gerade in dieser Zeit der allgemeinen „fluidity“, die selbst die Existenz und die Zugehörigkeit zu einem eindeutig und starr definiertem Geschlecht der Menschen (Gender) diskutiert, dominiert im Sport noch immer die nationale Identifikation

    „Sobald Meisterschaften von Nationalmannschaften stattfinden, verfallen Millionen von Fans in patriotische Ekstase und nationalen Fanatismus als ginge es um Leben oder Tod.“

  • Amadeus und Fiorello: Höhepunkt des vibrierenden Nationalstolzes Foto: Upi

    Als ich als junger Bub in Bozen zu den Eishockey-Spielen ging, waren schon damals die unbestrittenen Helden „i canadesi“, die teuer angeheuerten Profis aus Kanada. Heutzutage ist sowieso jede bedeutende Fußballmannschaft eine Mixtur aus Spielern aller Herren Länder.  Aber sobald Meisterschaften von Nationalmannschaften stattfinden, verfallen Millionen von Fans in patriotische Ekstase und nationalen Fanatismus als ginge es um Leben oder Tod. (Besonders absurd: ein Großteil der bei diesen Wettbewerben rivalisierenden Nationalmannschaften-Stars spielen hauptberuflich häufig als höchstbezahlte Profis gemeinsam als Partner und best friends in berühmten Clubs - also müssen sie bei Länder-Matches switchen… Dr. Jekyll und Mr. Hyde)

  • Einen neuerlichen Höhepunkt des vibrierenden Nationalstolzes lieferte die bedeutendste Nachrichtensendung der öffentlich-rechtlichen RAI – der letzthin ohnehin vollkommen verboulevardisierte TG1. Der italienische David-Cup-Sieg mit Sinner wurde zum Aufmacher um 20h gehievt und man konnte glauben einer Sportsendung beizuwohnen: mehr als ein Drittel der Nachrichtensendung ergingen sich die Moderatorin, der Präsident der Federtennis, Amadeus (eigentlich im Studio um Sanremo anzukündigen) und per Telefon live und spontan zugeschaltet Fiorello!! in euphorischen Jubeltönen über die Azzurri, die endlich, nach so schmerzvoll langen 47 Jahren, die Coppa Davis wieder erkämpft haben – Interview und nicht mehr enden wollende Lobgesänge auf das Übertalent des so emotionslosen Jannik Sinner mit seinem Locken-ciuffo. Zumindest medienpolitisch passte die TG1-show perfekt in das Narrativ der neuen Rechtsregierung und del suo presidente (maskulin!) Giorgia: Italy is back! Wir sind wieder wer. 

  • Caso Nazionale

    Dabei hatte die bedeutende „Gazzetta dello Sport“ eine wochenlange Kampagne gegen Jannik Sinner gedruckt. Es ist im Sport-Journalismus nicht unüblich, dass Reporter und Kommentatoren immer ganz genau und sehr viel besser wissen, was Sportler, Mannschaften und Trainer zu tun oder zu lassen hätten. Die scharfen und teils ins Persönliche gehenden Kritiken am jungen Tennis-Talent gingen allerdings weit über die gewohnte Besserwisserei hinaus und gipfelten schließlich in der Infragestellung seiner Loyalität – der Loyalität zu seinem Team, zur Nazionale, also zur Nazione, zu Italien. Und das alles, weil der Südtiroler seine Teilnahme oder Nichtteilnahme an Wettkämpfen des National-Teams in erster Linie von seiner körperlichen und psychischen Verfassung (und eigener Karriere-Vorstellungen) abhängig machte, anstatt alles dem obligaten Patriotismus unterzuordnen. Also prangte auf dem Cover von „Sportsweek“, der Wochenausgabe der „Gazzetta“ zum Foto Sinners „Caso Nazionale“. 

  • Foto: Gazzetta dello Sport
  • „Auch der Grund für Sinners mangelnden Patriotismus war schnell gefunden: altoatesino. Er spreche zwar Italienisch, denke dabei aber vielleicht deutsch…“

    Auch der Grund für Sinners mangelnden Patriotismus war schnell gefunden: altoatesino. Er spreche zwar Italienisch, denke dabei aber vielleicht deutsch…, daher wohl auch die Undankbarkeit angesichts der Ausbildung und der Chancen, die ihm in Italien gegeben wurden und so ähnlich.

  • Die Südtiroler und der „Affront“ der „Gazzetta dello Sport“

    Haupt-Skandalschrei(b)er der „Gazzetta“ Giancarlo Dotto: "Perché non ci somiglia”. Foto: Upi

    Wie zu erwarten, hagelte es in Südtirol Pawlow`sche Reflexe, aber gleich in paradoxer Manier! Von „wie wagen sie (!) es, unserem Puschterer Supertalent Vorwürfe zu machen, wo doch er den Ruhm bringt“ über „Aha, jetzt sind wir Italiener zweiter Klasse?“ bis hin zu „Typisch italienischer Nationalismus!“. Und in den Salto-postings wird dann erörtert, ob der italienische oder der österreichische Nationalismus das friedliche Zusammenleben ge(zer-)stört hat, zurückgehend bis zum Universitäts-Streit in Innsbruck 1904 mit Cesare Battisti und Alcide Degasperi.

    Währenddessen hat der Haupt-Skandalschrei(b)er der „Gazzetta“ Giancarlo Dotto den Super-Jannik dank seiner fulminanten Siege in Turin und  Malaga  – trotz seines Andersseins - längst wieder rehabilitiert, ja in seine Arme geschlossen, wieder in die Nazione eingebürgert – wenn auch mit pathetischem Sich-Winden: “..la seduzione di Jannik è diventata giorno dopo giorno micidiale nel suo essere nostro, nel suo scoprirsi definitivamente ‘italiano’, senza esserlo davvero completamente, nostro e italiano”. 

  • Und weiter: “ha fatto sua una bandiera, non per dovere anagrafico ma per convinzione, senza l’essere completamente un apostolo delle virtù, dei vizi e della storia di quella bandiera. Insomma, noi abbiamo imparato ad amare Jannik anche perché non ci appartiene sino in fondo. Perché non ci somiglia” und endlich: “Se siamo diventati in una settimana milioni di euforici Carota boys, possiamo rovesciare il concetto e dire che lui, nella stessa settimana, è diventato un non meno euforico Maccarone boy. Uno dei nostri“. (Zitiert laut:“ il Napolista“) 

  • Geliebt werden nur die Sieger

    Der Fall Sinner ist weder ein Einzelfall noch eine italienische Besonderheit. Als ich noch als Korrespondent in Frankreich arbeitete, galten der Tennisstar Yannick Noah mit seinen Rastalocken oder die Weltfußballer Michel Platini (Sohn italienischer Einwanderer) und Zinédine Zidane (Kind algerischer Berber) als Magier ihrer Sportkunst im Range eines Diego Maradona und wurden nicht nur von ihren Fans angehimmelt. Sie wurden schnell zu Aushängeschildern der gelungenen Integration der Einwanderer. Für das offizielle Frankreich waren sie Beweis, dass Zuwanderung dem Land, der Nation Erfolg und Ansehen bringen kann. Für die Kinder der Einwanderer, der zweiten Generation mit Migrationshintergrund, wie es im deutschen Sprachraum heute heißt, waren sie Idole nach dem Motto „Seht ihr, wir können auch was“ und zugleich Hoffnungsträger und Projektionsfläche im Sinne von „Auch wir können es an die Spitze schaffen“. Diese allseitige Euphorie ist längst vorbei. 

  • Foto: Facebook/Jannik Sinner
  • "Er wurde nach den Anfeindungen plötzlich zu „uno di noi“, weil er brillant gesiegt hat."

    Die sozialen Probleme und Spannungen zwischen Migranten und Mehrheitsbevölkerung haben zugenommen, das politische Klima ist – wie in ganz Europa - nach rechts geschwenkt und selbst im Sport haben die „bunten“ Mannschaften und Teams ihren Flair verloren, vor allem seit die Zahl der Spitzensportler mit Migrationshintergrund stark zugenommen hat (2018 siegte die französische Fußballelf bei der Weltmeisterschaft: 19 von 23 Spielern hatten Migrationshintergrund). Von rechten Politikern und Parteien offen angegriffen, klagen heute gut bezahlte Ball-Profis wie Karim Benzema oder Kylian Mbappé ebenso über diskriminierende Anfeindungen im Stadion und im Internet wie in Deutschland Jude Bellingham, Julian Green oder Mathys Tel – also alles people of color. Italien, die Chöre in den curve und die Bananen etc. sind ja von trister Bekanntheit. Und da schließt sich der Kreis zu Jannik Sinner. Er wurde nach den Anfeindungen plötzlich zu „uno di noi“, weil er brillant gesiegt hat. Dasselbe erzählen die nicht-autochthonen Sportler aller Länder: „Wenn wir gewinnen, höre ich Huldigungen – wenn nicht, sind wir der Araber, der Afrikaner usw.“

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Salto User
nobody So., 03.12.2023 - 16:37

Eigentlich wollte ich den Artikel nicht lesen, weil mich das Thema fadisiert und weil ich außer dem Ritt die Streif hinunter eigentlich nichts schaue. Dem Artikel ist nicht mehr viel hinzuzufügen - lesenswert.

So., 03.12.2023 - 16:37 Permalink
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Paolo Ghezzi So., 03.12.2023 - 17:09

"... der letzthin ohnehin vollkommen verboulevardisierte TG1 ..." Parole sante: il Tg1 è diventato l'insopportabile cassa di risonanza dell'Italia melonista... e sinnerista. Oggi, alle 13.30, hanno aperto con Amadeus e la lista dei cantanti del Festival di Sanremo... del febbraio 2024... Per dire il senso della notizia...

So., 03.12.2023 - 17:09 Permalink
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Hartmuth Staffler So., 03.12.2023 - 17:23

Der Sinner ist Monegasse mit Migrationshintergrund. Die italienischen Faschisten wollte ja eigentlich auch Monaco erobern, das könnte vielleicht ihr derzeitiges hysterisches Verhalten um diesen Sinner erklären.

So., 03.12.2023 - 17:23 Permalink
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G. P. So., 03.12.2023 - 19:29

Damit müssen Südtiroler Sportler leben, vor allem, wenn sie sich nicht wirklich dagegen zur Wehr setzen ... und auch noch brav und gehorsam die ital. Hymne mitsingen. Und das tun dann doch die allermeisten.

So., 03.12.2023 - 19:29 Permalink
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Am Pere So., 03.12.2023 - 20:19

Wie hat's Mesut Özil formuliert? Man ist Deutscher, wenn man gewinnt, aber Immigrant, wenn man verliert.
Mir ist eigentlich egal, ob die Italiener oder ihre drittklassige Presse Sinner lieben oder nicht. Für mich zählt vielmehr, dass er mit keinem Cent sich mit mit Südtirol solidarisiert und seine Millionen ins Ausland schleust. Auch deshalb ist es mir total egal, ob er gewinnt, verliert, geliebt oder gehasst wird. Meinen Respekt hat er in jedem Fall definitiv verloren.

So., 03.12.2023 - 20:19 Permalink
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Alfred Ingeln Mo., 04.12.2023 - 13:43

Antwort auf von Am Pere

Hallo wer ist Mesut Özil. Er hat in Essen und Gelsenkirchen, also Schalke Fußball spielen gelernt. Bis zu seinem 18. Lebensjahr war Er Türke.Dann entschied Er sich für eine Karriere in der deutschen Fußball - Nationalmannschaft und die deutsche Staatsangehörigkeit. 2018 trat Er infolge einer Kontroverse um ein Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan aus der Nationalmannschaft zurück. Zudem ist Özil bekennender Anhänger der rechtsextremenen Grauen Wölfe. Vielleicht wäre es besser gewesen die Schule abzuschließen und nicht als Jugendlicher den Profi und Profit in den Augen zu haben. Dann hätte Er im Schulfach Deutsch evtl. über Deutschland und wofür Deutschland in der Welt steht, einiges mitbekommen. Geld macht die Aussage nicht wirklich besser . Und wär so eine Aussage in seinem Bericht noch zitiert , hat sehr wahrscheinlich den selben IQ wie der " HERR " Özil. MFG. ( Es war einfach ein schlechter Vergleich ).

Mo., 04.12.2023 - 13:43 Permalink
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Am Pere Di., 05.12.2023 - 08:21

Antwort auf von Alfred Ingeln

Es ging mir ausschließlich um das Zitat.
Ich muss Ihren Kommentar noch dahingehend ergänzen, dass zu jener Zeit die Möglichkeit erfolgreich Fußball zu spielen, sprich Weltmeister zu werden oder andere Titel zu gewinnen, weit mehr gegeben war, wenn man für das deutsche Team auflief. Und Özil hat dies wie viele andere Immigrantensöhne und -töchter in Deutschland gemacht. Ich erinnere daran, um beim Tennis zu bleiben, dass Angelique Kerber polnische Eltern hat und vom polnischen Verband aufgrund ihrer Entscheidung für Deutschland anzutreten, heftigst kritisiert wurde.
Bezüglich Wissenstand von Profisportlern (nicht IQ, das ist etwas anderes) brauchen wir uns nicht weiter zu unterhalten. Dieser ist bei nahezu allen unterirdisch, kein Wunder, müssen sie doch von klein auf sich mehr als 100% auf ihren Sport konzentrieren.

Di., 05.12.2023 - 08:21 Permalink
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Stefan S Mo., 04.12.2023 - 13:48

Antwort auf von Am Pere

"Wie hat's Mesut Özil formuliert? Man ist Deutscher, wenn man gewinnt, aber Immigrant, wenn man verliert."
Ach war das nicht der wo sich mit Erdogan hat medienwirksam ablichten lassen, also dieser Erdogan wo offen die Hamas als Befreiungspartei einstuft und keinerlei terroristischen handeln bei der Hamas sieht. Ja zum Glück bleibt so jemand für immer Migrant. Nebenbei, sein Kollege, welcher damals mit auf dem Bild war, ist heute Kapitän der Nationalmannschaft, trotz der andauernden Formschwäche.

Mo., 04.12.2023 - 13:48 Permalink
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Klemens Riegler So., 03.12.2023 - 23:33

lt. Duden: Migrant = männliche Person, die in ein anderes Land, in eine andere Gegend, an einen anderen Ort abwandert
lt. Wikipedia: Migrant = (das lateinische Verb migrare bedeutet mit seiner Habe usw. nach einem anderen Orte ziehen, um da zu wohnen; wegziehen, ausziehen, übersiedeln[1]) ist ein unpräziser Begriff für eine Person, die ihren Lebensmittelpunkt verlegt.
Sinner ist demnach nach Monaco "emigriert".
Zu Deutsch; Sinner ist aus Italien ausgewandert und in Monaco eingewandert. Im David-Cup spielt/e er trotzdem für den italienischen Nationalstaat.

Von Asylanten steht hier nirgends etwas, oder ich habs überlesen?

So., 03.12.2023 - 23:33 Permalink