Kultur | Salto Weekend

Atome

"Beim Schreiben stellt sich ein Gefühl der Wachheit und der Durchlässigkeit ein" meint die Autorin Anna Gschnitzer. Ein Fragebogen mit Textauszug.
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Foto: Quelle: www.annagschnitzer.com

Am Freitag, 10. Februar, laden Bücherwelten und die Südtiroler Autorinnen und Autorenvereinigung (SAAV) zum Leseabend SAAV DreiPunktNull (der neuen SAAV-Mitglieder) ins Waltherhaus Bozen.
SALTO stellt die jungen, frischen Stimmen mit Fragebogen und Textauszug vor. Teil 2: Anna Gschnitzer

 

salto.bz: Wenn du dir drei Räume aussuchen kannst, in denen du dich verorten möchtest: Wie schauen sie aus?
Anna Gschnitzer: Mich hat es immer mehr interessiert die Öffnungen und Risse in den Räumen ausfindig zu machen, zu erforschen und zu bespielen, als die in sich geschlossenen Räume, wie bspw. Ausstellungsräume, oder Theaterräume, mit ihrer immer noch üblichen Trennung von Zuschauerraum und Bühne; diese beiden Räume möchte ich tatsächlich in einen dritten Raum verwandeln oder verlegen und zwar in den öffentlichen Raum hinein, in einen kunst- und theaterfernen Raum. Auch um Kunst- und Theaterblasen zu durchstechen.

Ein selbst geschaffener Neologismus?
Panikpumpe

Niemand traut sich über die Absperrung zu steigen, ja, manche bringen noch nicht einmal den Mut auf, um über die Kordel rüber zu sehen!

Warum schreiben?
Beim Schreiben stellt sich ein Gefühl der Wachheit und der Durchlässigkeit ein. Ich schreibe um die Welt besser zu verstehen.

Welche Motive tauchen in deinem Schreiben immer wieder auf?
Gerade sind es sehr oft Angst und Paranoia. Es sind Gefühle, die uns auch aus verdrängter Vergangenheit einholen und die gegenwärtige, gesellschaftspolitische Stimmung einfärben. Damit verbunden ist aber auch immer die fast transzendente Suche nach Hoffnung und Erlösung, Themen, die auch einer katholischen Sozialisation geschuldet sind.

Welche Frage möchtest du dir selbst gerne stellen?
Was kann ich dem Gefühl der Angst und der Paranoia entgegenstellen. Wie kann unsere Gesellschaft eine angstfreiere und offenere werden? 

Textauszug:

Atome

Sie liegt da, eine geschlagene Kriegerin der Schönheit. Ihr Bett wurde mit einer, an mehreren, hüfthohen Messingpfosten angebrachten, roten Kordel vom Rest des Zimmers abgetrennt, wie es aussieht von eigens dafür engagiertem Sicherheitspersonal, das die Massen unablässig durch den Wohnraum treibt und dabei gelernt hat vor nichts zurückzuschrecken, sich gezwungen sieht, Elektrotaser einzusetzen um die Situation einigermaßen unter Kontrolle zu halten, den Ansturm irgendwie in Griff zu kriegen, sich selbst zu schützen. Niemand traut sich über die Absperrung zu steigen, ja, manche bringen noch nicht einmal den Mut auf, um über die Kordel rüber zu sehen! So eingeschüchtert sind sie allein von ihrer Präsenz (die der Frau und nicht der Securities). Die Gefahr geht also weniger von einer allgemeinen Hysterie der Frau gegenüber aus, - obwohl diese eindeutig vorhanden ist, im akuten Moment der Begegnung aber eher deeskalierend wirkt -, als dass sie hinter jedem unkonzentrierten Stolperer lauert und sich im gegenseitigen Zermalmen der Besucher zu manifestieren droht. Deshalb wird seitens Securities ohne Rücksicht auf Verluste KOMMT KOMMT KOMMT KOMMT! SCHNELLER SCHNELLER SCHNELLER SCHNELLER! gerufen und geschrien PASS DOCH AUF DU GEHBEHINDERTER DEPP und dabei fuchsteufelswild mit dem Elektrotaser in der Luft herum geknarzt und geflimmert, wenn’s sein muss, auch in die eine oder andere Speckhüfte hinein geschockt, denn die Massen sind nicht aufzuhalten und müssen, um einen logistischen Totalkollaps zu vermeiden, geschmeidig im Fluss gehalten werden, sodass sie wie glitzernde Fische durch das kleine Häuschen flutschen. Es sind die, durch einen wie auch immer gearteten ideologischen Überbau zusammengeschweißten Gruppen und sektierenden Untergruppen, die im Besucherfluss säuerlich zu stocken drohen, während sie um die Deutungshoheit der aktuellen Geschehnisse in meinem früheren Zuhause konkurrieren. Dieser obsessive Glaube an ein bestimmtes Konzept kennt viele Gesichter, unter anderem den hünenhaften Ausdruck derer, die auf dem Perserteppich vor dem Sterbebett stehend süße kleine Peitschenzünglein auf ihre entblößten Oberkörper prasseln lassen. Sollte als unbedarfterer Besucher die Lust auf geplatzte Haut gering ausfallen, muss nebenstehend höllisch aufgepasst werden, dass kein verirrtes Zünglein am eigenen Gesicht oder an einer anderen freiliegenden Körperstelle leckt. Sie, (die Frau) die sowieso vom Lötkolben geschminkt und im Großen und Ganzen friedlich illuminiert wirkt, hebt nur hin und wieder stoisch die Wodkaflasche an die Lippen. Ich sinke ein, ich wate in ihrer glitzernden Erscheinung und denke an die Schnittmenge zwischen der museal gewordenen Schlaf- und Wohnküche meiner Kindheit, akkurat gescherter Muster in Kornfeldern, der Lourdesgrotte, dem MoMa, Mekka und Disneyland und bin mir plötzlich sicher, dass sich hier niemand in die Luft sprengen wird. 

 

SAAV DreiPunktNull
Freitag, 10. Februar 2016 - 19-21 Uhr
Bozen, Waltherhaus, oberes Foyer 
​Mit: Christoph Flarer, Anna Gschnitzer, Barbara Ladurner, Serena Osti, Barbara Zelger und Marcel Zischg
- Eintritt frei

SALTO in Kooperation mit: SAAV, Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung