Wirtschaft | Russland

Nur militärisch stark

Russland ist nach den USA die zweitstärkste Militärmacht der Welt, doch seine Wirtschaft rangiert trotz reicher Rohstoffe/Bodenschätze weltweit erst auf Platz 11.
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Foto: MP, Pixabay

Wo steht Russlands Wirtschaft im weltweiten Vergleich?

Zwischen der militärischen Macht und der wirtschaftlichen Stärke von Russland gibt es eine deutliche Diskrepanz. Obwohl Russland nach den USA die zweitmächtige Militärmacht* der Welt ist, belegte es im Jahr 2020 in der Rangliste der größten Volkswirtschaften nur Platz 11.  Die US-Wirtschaft ist 14-mal größer als die Russlands, während die Wirtschaft Chinas und die der EU-Länder 10-mal größer ist. Deutschlands Wirtschaft ist etwa 2,5-mal so groß wie die russische, die Wirtschaft des Vereinigten Königreiches und die von Frankreich sind fast doppelt so groß wie Russlands Wirtschaft und auch Italien, Kanada und Südkorea reihen sich noch vor Russland in die Liste der weltweit größten Volkswirtschaften ein.

Schaut man sich das BIP pro Kopf an, so liegt Russland weit hinter den westlichen Staaten. In den USA ist das Pro-Kopf-BIP über sechsmal so hoch wie in Russland.  Auch in den großen europäischen Volkswirtschaften Deutschland, Vereinigtes Königreich und Frankreich ist das Pro-Kopf-BIP etwa viermal so hoch, während es in Italien dreimal so hoch ist. Sogar China mit seinen bald 1,5 Milliarden Einwohnern hat Russland in Bezug auf das Pro-Kopf Einkommen schon eingeholt.

Nach den USA ist Russland die weltweit größte Militärmacht*. Von den 15 größten Volkswirtschaften gibt es kein Land, das, gemessen am BIP, mehr für Rüstungsausgaben ausgibt als Russland. Laut Daten von SIPRI (Stockholm International Peace Research) betrugen Russlands Rüstungsausgaben im Jahr 2020 ganze 4,3% des BIP, in den USA waren es 3,7%. In den großen EU-Ländern und auch in China ist der Anteil viel niedriger.

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Russlands Rohstoffe und Bodenschätze

Russland gehört weltweit zu den Ländern mit den reichsten Rohstoffen und Bodenschätzen. Es verfügt nicht nur über enorme Reserven an fossiler Energie, sondern liegt auch bei den Reserven, der Produktion und den Exporten von wichtigen Bodenschätzen ganz vorne.

Bei der Produktion von Erdöl liegt Russland nach den USA und Saudi-Arabien an 3. Stelle, Russland ist der zweitgrößte Gasproduzent und der fünftgrößte Kohleproduzent. Russland produziert weltweit die meisten Diamanten und belegt bei der Goldproduktion Platz drei. Auch bei der Produktion von wichtigen Rohstoffen wie Nickel, Eisenerz, Palladium, Aluminium und Titan rangiert Russland auf den vordersten Plätzen. Zusätzlich zu den in obiger Tabelle angeführten Rohstoffen/Bodenschätzen verfügt Russland über bedeutende Vorkommen von Kupfer, Zinn, Blei, Phosphat, Mangan, Chrome, Wolfram, Kobalt etc.

Russland ist weltweit, nach Kanada, der größte Exporteur von Holz und ist führend beim Export von Sticksoff-Dünger und Weizen.

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Die Schwachstellen der russischen Wirtschaft

Trotz seines Reichtums an Rohstoffen und Bodenschätzen hat es Russland nicht geschafft sich wirtschaftlich besser zu positionieren. Russlands Wirtschaft weist einige fundamentale Schwächen auf, die verhindern, dass sich die Wirtschaft besser entwickelt hat.

Russlands Wirtschaft ist zu sehr von fossilen Energien Öl und Gas abhängig. Weit über 50% von Russlands Deviseneinnahmen stammen aus dem Verkauf von Öl, Gas und Kohle.  Nimmt man die Exporte von anderen Bodenschätzen/Rohstoffen dazu, so kommt man auf über 3/4 der gesamten Ausfuhren. Die Dominanz des Rohstoffsektors hat die Entwicklung anderer zukunftsorientierter Branchen stark behindert.** Durch die Konzentration der großen Unternehmen auf einige wenige dominante Sektoren, wie Energiewirtschaft, Rohstoffe, Rüstung, sowie die Finanzbranche ist die russische Wirtschaft zu einseitig aufgestellt. Die Wirtschaft und die Staatsfinanzen sind zu sehr von den Schwankungen der Öl- und Gaspreise abhängig.

Die Institutionen sind in Russland schwerfällig und intransparent und die viel zu große Bürokratie ist ineffizient. Der hohe Anteil des Staatssektors wirkt sich negativ auf die Produktivität aus. Die im Staatsbesitz befindlichen Unternehmen werden nicht privatisiert, um eine höhere Konkurrenzfähigkeit zu fördern. Etwa die Hälfte der Beschäftigungen arbeiten in Staatsbetrieben. Daneben gibt es in großem Stil die Oligopole der Oligarchen, welche die Produktion und den Export der meisten Rohstoffe/Bodenschätze kontrollieren und die in Korruptionsbeziehungen zur politischen Macht stehen.*** Die Oligarchen schwächen die russische Wirtschaft, da sie die  Vermögenswerte ihrer russischen Firmen abziehen und das Geld ins Ausland transferieren, anstatt es in Russland zu investieren. Kreative, auch auf Technologie ausgelegte mittelständische Unternehmen haben in Russland nur wenig Entwicklungschancen.

Russland hat auch ein demographisches Problem. Schon seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gehört Russland zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenrate der Welt, was dazu führt, dass die Erwerbsbevölkerung immer kleiner wird. Zudem gibt es schon seit vielen Jahren eine starke Abwanderung ins Ausland von jungen, sehr gut ausgebildeten Russen. Seit Beginn des Ukraine-Krieges haben schon sehr viele junge Russen mit hohem Bildungsstand das Land verlassen und so wird der “Braindrain“ weitergehen und die russische Wirtschaft wird weiterhin einen Teil ihre besten Köpfe verlieren.

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Russlands Handel wird sich als Folge der Sanktionen mehr nach Asien verlagern

2021 war die EU Russlands wichtigster Handelspartner, an zweiter Stelle folgte China.  Von den einzelnen EU-Ländern rangierte Deutschland an erster Stelle, vor den Niederlanden, Italien, Polen und Frankreich. Nachdem die europäischen Länder als Reaktion auf Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine beschlossen haben möglichst schnell ihre Abhängigkeit von russischem Öl, Gas und Kohle abzubauen und infolge der Sanktionen ein großer Teil der EU-Handelsbeziehungen zu Russland ausfallen, werden sich in Zukunft Russlands Handelsströme mehr nach Asien verlagern.  Zwischen China und Russland gibt es bereits enge Handelsbeziehungen, die in Zukunft weiter zunehmen werden. Vergangene Woche ist Russlands Außenminister nach Indien gereist und hat Indien unter anderem russisches Öl zu Diskontpreisen angeboten und Indien hat das Angebot dankend angenommen. 

Im Falle von Erdöl und Kohle wird ein Umstieg auf andere Handelspartner relativ kurzfristig möglich sein, bei Gas ist ein kurzfristiger Umstieg nicht möglich, da die nötige Infrastruktur fehlt. Die meisten Gaspipelines gehen nach Europa, bis jetzt gibt es nur eine Gaspipeline nach China. Der Bau von neuen Pipelines ist kapitalintensiv und dauert je nach Länge und Gebiet mehrere Jahre. Russland verfügt in Sibirien bereits über Gas-Verflüssigungs-Anlagen, doch derzeit macht Flüssiggas erst circa 10% der russischen Gasexporte aus. Die Errichtung neuer Anlagen erfordert hohe Investitionen und dauert circa 2 Jahre. Der ideale Markt für russisches Gas ist wegen der geographischen Nähe und wegen der bereits bestehenden Infrastruktur Europa, doch der Ukraine-Krieg hat die geopolitische Situation verändert und neue Rahmenbedingungen für den Handel geschaffen.

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Zukunftsaussichten

Bisher waren die westlichen Länder die wichtigsten Handels- und Finanzpartner Russlands. Die Auswirkungen der massiven Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegenüber Russland als Reaktion auf den Aggressionskrieg gegen die Ukraine werden nach Schätzungen von Wirtschaftsexperten mittel- und langfristig massive negative Auswirkungen auf Russlands Wirtschaft haben. Laut einer ersten Einschätzung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Russlands im Jahr 2022 um 10% schrumpfen. Wie sich die russische Wirtschaft entwickelt, wird letztlich davon abhängen, wie lange der Krieg und die Sanktionen dauern und inwieweit Russland den Handel mit anderen Ländern, vor  allem mit den wachsenden Volkswirtschaften China und Indien ausbauen kann. Zudem wird es auch maßgeblich für Russlands Wirtschaft sein, in welchem Ausmaß die aus der EU und den USA ausbleibenden Investitionen**** durch andere Länder, vor allem durch China kompensiert werden können.

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* Die USA und Russland sind mit Abstand auch die beiden größten Atommächte der Welt.

** Wie es häufig in rohstoffreichen Ländern vorkommt, wird zu einseitig in diesen Sektor investiert und die Wirtschaft zu wenig diversifiziert. Im Zuge der globalen Energiewende wird die Weltwirtschaft immer stärker auf erneuerbare Energien setzen, deshalb wird die starke, einseitige Abhängigkeit vom Öl- und Gas längerfristig für Russlands Wirtschaft zum Problem werden.

***Die Verflechtung von Wirtschaft und Staat ist allgegenwärtig, so gehören zum Beispiel die Chefs der größten Staatskonzerne wie die des Gaskonzerns Gazprom und des Ölkonzerns Rosneft zum persönlichen Umfeld von Präsident Putin.

**** Die EU war bis jetzt mit Abstand der größte Investor in Russland, an zweiter Stelle rangiert China.

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Gianguido Piani Di., 05.04.2022 - 18:44

Einige wichtige Aspekte betr. Russland sollen nicht unterschätzt werden. Russland ist (bzw. war, bis vor kurzem) Europas meist fortschrittliche IT-Land. Das einzige europäische Unternehmen, das eine glaubwürdige Konkurrenz an Google leisten kann ist Yandex, gegründet 1997, ohne Oligarchen und längst bevor Putin an die Macht kam. Desgleichen gilt für VK, den einzigen europäischen Konkurrent zu Facebook. Internet funktioniert in Russland glänzend und ist viel billiger als in der EU. Zwei Drittel der russischen Bevölkerung nutzen administrative Online-Dienste, die einfacher funktionieren als beispielsweise SPID oder das südtirolerische MyCivis-Bürgernetz. Zahlsysteme sind auch Spitze, Italien liegt vergleichsweise längst hinterher. Russland entwirft, baut und exportiert Waffensysteme sowie militärische und zivile Flugzeuge. Wo die UdSSR Getreide importieren musste, exportiert jetzt dagegen Russland Lebensmittel. Manche Oligarchen haben nicht nur von Pfründen gelebt, sondern haben die eigenen Unternehmen aktiv modernisiert. Von Yakunin (russ. Eisenbahn) wird im Westen alles Negatives erzählt, aber die russische Eisenbahn hat die letzten 10-15 Jahre einen Qualitätssprung erlebt, von dem man in Italien nur träumen könnte. Darüber hinaus hat es seit dem Jahr 2000 einen regen Austausch zwischen russischen und westlichen Unternehmen und Institutionen gegeben. Leider hat der neue Nationalismus diese ganzen Aspekte vergiftet, zu leiden hat die eigene Bevölkerung, die an eine Entwicklung des eigenen Landes in einer internationalen Umgebung glaubte.
Die Uhr wurde um 50 Jahre zurückgedreht.

Di., 05.04.2022 - 18:44 Permalink
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Thomas Unterwinkler Do., 07.04.2022 - 01:04

Was die Zukunftsaussichten betrifft, so glaube ich eher nicht, dass China als Retter in der Not auftreten wird. Wahrscheinlicher ist, dass China noch etwas zuwartet, bis Russland durch die westlichen Sanktionen wirtschaftlich noch schwächer ist - und dann russische Assets billig aufkauft.

Do., 07.04.2022 - 01:04 Permalink
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△rtim post Fr., 08.04.2022 - 10:01

Gut recherchiert. Daher verwundert ein bisschen die Titelwahl: "Nur militärisch stark"
Natürlich bildet das BIP hier nur sehr unzureichend das größte Flächenland der Erde mit all seinen Ressourcen und all den damit verbundenen (geostrategischen) Implikationen und Risken ab, wie die Begehrlichkeiten seitens der VR China, die Gefahren für die russ. Föderation u.v.a.m.

Fr., 08.04.2022 - 10:01 Permalink
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Josef Fulterer So., 10.04.2022 - 06:42

Antwort auf von △rtim post

Putin hat ähnlich wie der nordkoreanische Präsidet, jeden Bezug zu einer vernünftigen Staatsführung verloren.
Wer im 21. Jahrhundert nach mittelalterlicher Art, mit der heutigen Militärtechnik / Mordwaffen / Zerstörung von Infrastukturen und Gebäuden ein Land überfällt, muss nach der Eroberung die Infrastrukturen und die Gebäude wieder herstellen, vor Allem aber die Grundversorgung der inzwischen großteils in Ballungsgebieten lebenden Bevölkerung sicher stellen.
Die ehemalige DDR hat sich der Bundesrepublik Deutschland, ohne einen einzigen Gewehrschuss aufgedrängt. Die Bundesdeutsche Regierung jammert noch immer über die hohen Kosten der Wiedervereinigung , obwohl sie nur die Berliner Mauer und die "Grenzschutzeinrichtungen der DDR" zu beseitigen hatte und die Löhne in der ehemaligen DDR noch immer niedriger sind.

So., 10.04.2022 - 06:42 Permalink