Kultur | Salto Afternoon

In Frauenhand

Judith Welter verbringt einige Tage als "Kuratorin in Residence" in Meran. Ein Gespräch über Frauen im zeitgenössischen Kunstbetrieb. Und über Gerüchte und Anekdoten.
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Foto: Kunsthaus Glarus

salto.bz: Sie weilen derzeit als "Kuratorin in Residence" in Südtirol. Wonach halten Sie Ausschau?

Judith Welter: Das Schöne an einer solchen Einladung ist es, noch unbekannte und neue Dinge zu entdecken; Künstler*innen deren Werke man noch nicht kennt. So ist es möglicherweise weniger ein Ausschau halten, sondern bewusst ein Entdecken ohne konkretes Ziel. Auf der anderen Seite interessieren mich natürlich die Ähnlichkeiten zur Gegend, in der ich arbeite. Auch das Glarnerland ist eine periphere Region, ähnlich wie Meran umringt von Bergen und – wenn auch in einem anderen Sinne – von einer globalen Geschichte mitgeprägt.

 

Sie haben zur Rolle von Gerüchten und Anekdoten in der zeitgenössischen Kunst promoviert. Wie bedeutend ist deren Rolle?

Erzählungen über und um das Kunstwerk und ebenfalls über die Künstler*innen sind oftmals fast genau so wichtig wie die Objekte selbst. Das „Offene Kunstwerk“ weist Leerstellen auf. Es wird von einem oftmals gerüchtehaften, informellen Sprechen begleitet, das unter verschiedenen Bedingungen wieder zum Teil des Werkes wird. Kunstwerke werden als Teil eines gemeinschaftlich-sprechenden Aushandlungsprozesses interpretiert – und teils auch produziert.

Welche kuratorische Praxis bestimmt das Kunsthaus Glarus in der Schweiz? Gerüchte und Anekdoten?

Aushandlungsprozesse sind natürlich auch für die kuratorische Arbeit zentral. Oftmals entstehen für das Kunsthaus Glarus ortsspezifische Projekte. So etwa in meiner aktuellen Ausstellung mit der Künstlerin Bea Schlingelhoff, die im Museum des Landes Glarus, im Freulerpalast stattfindet. Ich wurde eingeladen, während der Sanierung im historischen Museum eine Ausstellung zu kuratieren. Bea Schlingelhoff nimmt eine Intervention in die dort untergebrachte Militaria-Sammlung vor. Die im Prinzip simple Geste – sämtliche Displayvitrinen wurden entglast, aus den Plexiglasscheiben die üblicherweise die Exponate von den Besucher*innen trennen entstanden Skulpturen – war Resultat eines komplexen kommunikativen Prozesses mit diesem Museum und weiteren Akteur*innen.

 

Ortsspezifisches Arbeiten bedeutet auch oft, die Geschichte des Hauses mitzuerzählen – Spuren alter Ausstellung finden sich nicht nur in Erinnerungen und Erzählungen sondern schreiben sich manchmal in die Materialität des Hauses ein. Die Programmatik im Kunsthaus Glarus konzentriert sich dezidiert auf internationales und meist sehr gegenwärtiges Kunstschaffen, gleichzeitig sind regionale Anknüpfungspunkt ein zentrales Anliegen.

Nach wie vor sind Frauen in den Sammlungen und Ausstellungs-Programmen unterrepräsentiert. 

Sie haben eben Bea Schlingelhoff erwähnt: welche Rolle spielen Frauen im zeitgenössischen Kunsthausbetrieb von Glarus?

Bea Schlingelhoff interessiert sich in ihrer Arbeit ganz spezifisch für die Rolle der Frau in der Geschichte, der Kunstgeschichte und im gegenwärtigen Kunstbetrieb. In jeder ihrer Ausstellungen zeigt sie das „Wimminfesto“, ein von ihr verfasstes Manifest das für die Gleichberechtigung von Frauen im Ausstellungsbetrieb und Kunstmarkt eintritt. Den jeweiligen Projektpartner*innen ist überlassen, ob sie dieses im Ausstellungsraum gehängte Manifest unterzeichnen oder nicht. Auch Änderungsvorschläge dürfen angebracht werden.
Ein geschlechter-ausgewogenes Programm ist für mich selbstverständlich, deshalb hab ich das Manifest auch unterschrieben. Viele der kleineren und mittleren Kunsthallen in der Schweiz werden heute von Frauen geleitet. So auch das Kunsthaus Glarus das seit 1991 ohne Unterbrechung in Frauenhand war.


In der Schweiz haben Frauen das Wahlrecht sehr spät erhalten. Manifestiert sich das im gegenwärtigen Kunstbestrieb?

Es ist tatsächlich so, dass die Schweiz bezüglich Gleichstellungspolitik kein Vorbild ist. Am 14. Juni fand ein landesweiter Frauenstreik statt, der eine riesige Resonanz und hohe Beteiligung hatte – solche politische Bewegungen sind wichtig, auch für den gegenwärtigen Kunstbetrieb.
Die größeren Kunstmuseen und Häuser sind nach wie vor fast alle in Männerhand, sowohl in der Deutschschweiz wie auch in der Romandie. Es ist zu hoffen, dass zukünftig auch dort mehr Spitzenpositionen von Frauen besetzten werden. Die Arbeit ist nicht getan. Auch im Bereich der Ausstellungen gibt es noch viel Handlungsbedarf. Nach wie vor sind Frauen in den Sammlungen und Ausstellungsprogrammen unterrepräsentiert. Gerade wurde dazu wieder eine Studie veröffentlicht. Das ist nicht nur in der Schweiz so, sondern – aus meiner Sicht – auch in internationalen Kunstbetrieb.


Den Glarner Kunstverein gibt es bereits seit 1870. Wie lässt sich die lange Tradition an kunstsinnigen Menschen in dieser Gegend erklären?

Der Kanton Glarus ist bis heute ein wichtiger Industriestandort. Im 19. Jahrhundert war der Textildruck im ganzen Tal weit verbreitet und die Glarner betrieben globalen Handel mit bedruckten Stoffen – am berühmtesten ist bis heute das Glarnertuch mit dem indischen Paisley-Muster. Im ausgehenden 19. Jahrhundert bildete sich in der damals weltoffenen Kleinstadt Glarus ein wohlhabendes Bürgertum heraus. Wie auch in vielen anderen Städten der Schweiz wurde in dieser Zeit der Glarner Kunstverein gegründet und damit nicht nur die Sammlungstätigkeit begonnen, sondern auch den Grundstein für das 1952 eröffnete Haus gelegt. Bis heute ist der Glarner Kunstverein Träger des Kunsthaus Glarus und auch Eigentümer des Gebäudes.

In der Geschichte lebten immer wieder verfolgte Künstler*innen im Schweizer Exil. Wie hat dieser Tatbestand die kleine Nation künstlerisch geprägt?

Die Schweiz ist ein Migrationsland und liegt– obwohl nicht teil der EU – mitten in Europa. In diesem Sinne ist der Austausch bis heute, sei dies mit den angrenzenden Ländern, aber auch darüber hinaus, zentral. Heute ist die Kunstszene in der Schweiz relativ international geprägt, dennoch ist die Schweiz als Hochpreisinsel nur bedingt attraktiver Lebensstandort für Künstler*innen.