Gesellschaft | AGB-CGIL

Gewerkschaftsbund on tour

Auf Südtirols Straßen kann man derzeit einen Camper des AGB treffen. LHFD-Vorsitz Werner Niederkofler zur Kampagne, die Tourismus-Bedienstete über ihre Rechte informiert.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Ob Sommer oder Winter, ob Stadtbesichtigung oder Bergwanderung: Jedes Jahr auf Neue entwickelt sich Südtirol zur Touristen-Hochburg. Die Straßen voller Menschen mit Selfie-Sticks und Reiseführer, Hotels und Herbergen ausgebucht, Berge und Täler überrannt. Auf der anderen Seite dieses „Urlaubstraum Südtirol“ finden sich die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Tourismus-Sektors wieder. Diese arbeiten unter schweren Bedingungen: Fast schon unzumutbare Überstunden, wenig Informationen über ihre Rechte und Schwarzgeld sind nur einige der Probleme.

Gegen diese Arbeits-Situation geht die AGB/ CGIL nun vor, und zwar mit einer Camper-Tour quer durch Italien. Ausgerufen als nationale Informationskampagne der FILCAMS/ LHFD, also der Fachgewerkschaft für Handel, Fremdenverkehr und Dienstleistungen, durchqueren zwei Camper alle Regionen Italiens und bieten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen im ganzen Land die Gelegenheit, sich über ihre Rechte zu informieren. Zwei Camper sind also beim Projekt „Tourismus beleuchtet: Drunter und Drüber“ im Einsatz, einer startet von Sizilien aus und der andere von Südtirol. Wieso es so wichtig ist, Bedienstete über ihre Rechte zu informieren, wie genau das Projekt abläuft und wie es im Tourismus-Sektor in Südtirol derzeit aussieht, erklärt Werner Niederkofler, Präsident der Generalversammlung der LHFD.

Werner Niederkofler
Werner Niederkofler, Präsident der Generalversammlung der LHFD und in Südtirol Mitfahrer im Camper (Foto: Werner Niederkofler)

Salto.bz: Welche Arbeitsverhältnisse müssen Angestellte im Tourismus zurzeit teilweise ertragen?

Werner Niederkofler: Die Arbeitskräfte im Tourismus arbeiten oft mit einem niederen Grundgehalt, machen viele Stunden und haben nur selten die nötigen Ruhezeiten.

Wie geht es den Arbeitskräften speziell in Südtirol?

In Südtirol haben wir ein territoriales Zusatzabkommen, in dem zum Beispiel ein Saison-Zuschlag von 8% oder ein Zusatzbetrag von 100 Euro auf Vollzeit vereinbart wurde. Trotzdem verdienen viele Arbeiter und Arbeiterinnen durch ihre geringe Einstufung lediglich das Minimum. Im Tourismus-Sektor in Südtirol gibt es knapp 40.000 Bedienstete, von diesen haben nur 16% einen unbefristeten Vertrag.

Südtirol ist doch eine „reiche“ Region, wieso arbeiten Bedienstete im Tourismus-Sektor dennoch unter solchen Bedingungen?

Südtirol ist sicherlich eine der reicheren Regionen Italiens und auch der Tourismus hat sich von der Pandemie erholt, die Nächtigungen sind wieder auf dem Niveau von vor vier Jahren und weiter am Steigen. Dennoch versuchen Betriebe, mit allen Mitteln zu sparen. Bei den Verträgen werden die niedrigsten Einstufungen verwendet und Teile des Gehalts werden schwarz bezahlt, um Steuern und andere Beiträge zu sparen. Oft wird die Situation der Saison-Angestellten ausgenutzt, die aus anderen Regionen oder Ländern zu uns kommen und sich ihrer Rechte nicht bewusst sind.  

"Wir wollen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen über ihre Rechte informieren und über ihre Arbeitssituationen sprechen" -  Werner Niederkofler

Was kann man sich also unter dem Projekt „Tourismus beleuchtet: Drunter und Drüber“ vorstellen?

Wir haben zwei Camper, diese durchqueren von Juni bis September nach und nach alle Regionen Italiens und steuern dabei verschiedene Städte bzw. Tourismusdestinationen an. Gestartet sind die zwei Camper Mitte Juni, einer in Sizilien und einer in Südtirol. In jeder Region fahren Personen der jeweiligen Gewerkschaften mit, in Südtirol so zum Beispiel ich. An touristisch besuchten Ortschaften wie Restaurants, Plätzen usw. machen wir Halt und bauen eine temporäre Informationsstelle auf. Bedienstete können dort mit uns über verschiedene Themen wie Arbeitszeiten, Überstunden, das Recht auf Ferien oder Krankschreibungen sprechen.  

Was erzählen Ihnen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen?

Bei unserer täglichen Arbeit werden uns die verschiedensten Situationen geschildet. Es gibt Personen, die nur auf Abruf wenige Stunden machen, andere Leute hingegen arbeiten mit einem Teilzeitvertrag mehr Stunden als manche Personen mit Vollzeitvertrag. Mehrstunden werden dann teils nur schwarz oder überhaupt nicht bezahlt. Vereinbarungen zu Lohn und Arbeitszeiten werden oft nur mündlich vereinbart und dies führt zu Missverständnissen. Rechtlich ist es oft schwer für uns, die Ansprüche der Bediensteten geltend zu machen. Umso wichtiger ist das Anbieten an Informationen, sodass sich die Leute von Anfang an aus gewissen Situationen raushalten können.

Kampagne Filcams Hintergrundbild
Der Camper steht und der Informationsstand ist aufgebaut: Die Beteiligten sind bereit, sich den Fragen der Arbeiter und Arbeiterinnen zu stellen (Foto: AGB-CGIL)

Was ist das Ziel dieser nationalen Kampagne?

Das Ziel von „Tourismus beleuchtet: Drunter und Drüber“ ist es, auf die Arbeitsverhältnisse im Tourismus und deren Angestellte aufmerksam zu machen. Diese ermöglichen es nämlich erst, dass unser Tourismus so erfolgreich sein kann. Wir hoffen weiters, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen durch das neu angeeignete Wissen bei ihren nächsten Vertragsverhandlungen gerechter behandelt werden. So kann sich ein neues Tourismusmodell definieren, welches nachhaltiger und verantwortungsvoller ist. Aber nicht nur mit den Arbeitnehmern wird das Gespräch gesucht, sondern auch mit Einrichtungen und lokalen Politikern.

Was erhoffen Sie sich von diesen Gesprächen?

Wir wollen die Themen mit allen Involvierten erörtern. Es gibt durchaus Personen, die im Tourismus-Sektor arbeiten wollen, jedoch nur unter gewissen Voraussetzungen! Darüber spricht auch der Slogan der Kampagne:

Ich bin hier:
Wenn du mir einen regulären Vertrag bietest,
wenn du mein Recht auf Ruhezeiten respektierst,
wenn du mir keine Lohngutscheine anbietest,
wenn du mir meine Überstunden bezahlst,
wenn du meine Rechte respektierst,
wenn der Lohn angemessen ist.

All diese Forderungen sind leider nicht selbstverständlich.

Was muss gemacht werden, um Arbeitskräfte im Tourismus-Sektor zu helfen?

In erster Linie ist es wichtig zu verstehen, was der Arbeiter oder die Arbeiterin heute braucht. Die Arbeitswelt hat sich geändert, der Aufschwung des Tourismus in den letzten Jahren hat zu immer mehr Arbeitsplätzen geführt. Nicht berücksichtigt wurde dabei jedoch, dass die Arbeitskräfte fehlen. Es braucht neue Anreize, um den Tourismus-Sektor für die nachfolgenden Generationen attraktiv zu machen.

Was passiert, wenn nichts gegen die schlechten Arbeitsbedingungen im Tourismus-Sektor getan wird?

Fakt ist, dass es ohne Arbeiter und Arbeiterinnen auch keinen Tourismus gibt. Wir brauchen diese Leute, um unsere touristischen Betriebe aufrechterhalten zu können. Viele sind sich gar nicht bewusst, wie viele Menschen im Tourismus arbeiten. Angestellte in der Küche, in den Hotels, die ein Tourist nicht zu sehen bekommt. Ziel muss es also sein, den Tourismus wieder attraktiv für alle Bediensteten zu machen. Auch muss die Professionalität und die Qualifikation gefördert werden, um das Abwandern der Angestellten in andere Sektoren oder gar ins Ausland zu verhindern. Unsere nationale Informations-Kampagne ist ein erster Schritt dazu, den Leuten Informationen anzubieten, damit sie wissen, was ihre Rechte sind und wo sie mehr fordern dürfen.

Ein Beitrag von Nathanael Peterlini

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Kris Krois Sa., 08.07.2023 - 11:53

Schön, dass die Gewerkschaften touren und ein Minimum an erträglichen Arbeitsbedingungen und Lohn zu fordern. Das ist wichtig. Visionär ist das aber nicht. Keine generelle Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten (z.b. 4-Tage-Woche), nach wirklicher Beteiligung, nach Wirtschaftsdemokratie und erst recht nix von Klimagerechtigkeit, Umweltschäden, regionaler Kreislaufwirtschaft anstatt Ausbeutung von Menschen und Natur. Recht undefiniert ploppt das Wort "Nachhaltigkeit" ein mal auf ("So kann sich ein neues Tourismusmodell definieren, welches nachhaltiger und verantwortungsvoller ist." – was auch immer das heißen soll).
Auch ausgeklammert: die Situation der vielen Menschen, die als Saisonarbeiter*innen nach Südtirol kommen und von migrantisierten Menschen, die häufig miserabel bezahlt werden und die dreckigste Arbeit machen.
Über etwas mehr Mut, Vision und breiter verstandene Solidarität würde ich mich sehr freuen. Allianzen mit der Klimagerechtigkeitsbewegung, denjenigen, die sich für soziale Gerechtigkeit und Inklusion engagieren, fände ich vielversprechend.

Sa., 08.07.2023 - 11:53 Permalink