Kultur | Salto Afternoon

„La stranezza è bella“

Trotz vieler Sprachen auf der Bühne kommt in „Underground Birds“ nicht der Dialog ins Stocken. Es ist der Atem des Publikums der mal angehalten wird, mal zu Lachen wird.
„Underground Birds“
Foto: Luca Guadagnini
Man hatte sich einiges vorgenommen. Eine internationale Produktion, gemeinsam mit der „transnationalen“ Kula Compagnie, dem Hålogaland Teater Tromsø und, in Videoform, dem Simorgh Theater Herat haben die Vereinigten Bühnen Bozen ein Stück ausgearbeitet, welches nicht nur Kontinente, sondern auch ein halbes Jahrtausend durchschreitet: Vom 1. Mai des Jahres 1517 in London geht es ins Afghanistan der Jetztzeit. Dabei war die Reise in der Stückarbeit, das wie man vom Punkt A zum Punkt B kommen wollte, lange ungewiss.
Regisseur Robert Schuster setzte auf einen demokratischen Prozess bei der Ausarbeitung, sein Stück wirkt nicht, als wäre es aus einem Guss. Zum Glück, da die Art und Weise, wie hier Szenen und Fragmente verwoben wurden, einen ästhetischen Wert für sich hat. Wenn man dem Stück einen Vorwurf machen möchte, dann könnte es jener sein, dass diese Überlappung verschiedener Handlungsebenen zu unübersichtlichen Situationen führen kann: Da eine Gruppe Schauspieler, dort drüben eine andere, seitlich im Publikumsraum eine Projektion und dazwischen die unverzichtbaren Übertitel, die der Sprache einen Sinn stiften und vielleicht noch Sounds oder Musik vom am Rande des Bühnenraums agierenden Klangkünstler Max Bauer.
 

Wir beginnen, wie gesagt, in London und das recht überschaubar, wenngleich schon mit einem Durchstoßen der vierten Wand, wenn auch einem probeweisen. Wir beginnen auch mit einem Exodus, der Flucht vor dem Evil May Day, einer historischen Explosion von Fremdenhass. Wir begegnen auch den beiden Protagonisten des Stücks, die Fixpunkte um die herum die Welt und Zeit ins Wanken geraten: Aveline (Hadar Dimand) und Rover (Jonas Schlagowsky). Rover rettet Aveline aus einer Eingebung heraus - die Afghanischen Frauen, insbesondere Negar, wirken als Deus Ex Machina auf die Stückhandlung ein - aus einem Haus, nachdem er beim Feuerlegen dabei war. Das dieser Umstand zwischen Aveline und Rover steht, macht ihn zu einem Protagonist, der nicht Sympathieträger, sondern beispielhaft für viele mit (zunehmend selektiven) Vorurteilen gegenüber Fremdem ist. „Negar“ ist, wie manches auf der Bühne, im Grunde keine Person sondern ein Konzept, der Name ist, aus offensichtlichen Gründen, von einer Theatergruppe entlehnt. Um die Videobeiträge der Frauen einer Bühnenpräsenz anzunähern, ist Sarah Merler als Tänzerin mit einem Projektor am Körper im Bühnenraum aktiv: Klassische Projektionen, Gesichtsüberlagerungen und das Schaffen einer Leinwand an unerwarteten Orten machen dabei einen Unterschied in den Qualitäten der Interventionen.
Auf der Reise, über welche an dieser Stelle nicht zu viel verraten sei, ist allerdings viel Raum für Begegnungen gegeben. In schillernden Bühnenräumen und Kostümen (Sascha Gross) begegnen wir verschiedensten, ebenso schillernden Figuren, wie dem Italiener Pasquale di Filippo, der erste als queerer Paradiesvogel mit Hang zu Sprachspielen und Zersetzungen auftritt (und den Titel des Artikels stellt), dann in die Rolle der „Moderne“ schlüpft, erst als kleines Kind, dann als alter Mann, den Zeitsprüngen des Stücks folgend.
Auffallend dabei, dass, soweit sich dies mit Sprachkenntnissen in Deutsch, Italienisch und Englisch beurteilen lässt, in zweifachem Sinn den Schauspielern ihren Sprache gelassen wird: Hier wurde nicht über einen ausgearbeiteten Text darüber gebügelt, sondern jedem die Eigenheit gelassen. So nimmt sich Rover oft in poetisierten Passagen aus, die etwas wie eine Shakespeare-Übersetzung klingend, Filippos namenlose Figur darf alles Sonderbare feiern und Peter Schorn (in zahlreichen Rollen gut) kann sowohl als „Günther from Italy“, als auch als britischer Landvermesser und amerikanischer Soldat auf die Probe stellen, in verschiedenen Sprachen und Akzenten.
Dass einem Rover schon einmal mit seinen Naturschilderungen kurz auf die Nerven gehen kann, ist angesichts des raschen Tempos eine kurze Störung. Gemeinschaftlich gelingt eine Reflexion über Grenzen - in der Welt, den Köpfen und im Theater. Auch zu den Frauen, zu welchen man Solidarität zusprechen möchte, bleibt eine Grenze bestehen und wird reflektiert („Ihr spielt, aber wir haben schon gespielt.“). Der Afghanische Beitrag zum Stück ist somit auf zwei unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig einer aus der Zukunft (aus Rovers Sicht) und aus der Vergangenheit (aus unserer Sicht).
 

Immer wieder arbeitet man mit Brüchen: wenn Themen wie Fremdenhass und Krieg zu viel werden in Form von Humor, der die Aufmerksamkeit des Publikums konstant hält und auch, als die Reise zu fantastisch wird. Im Heißluftballon geht es, à la Jules Verne, ein Stück des Weges: Ingrid Mikalsen Deinboll, welche von einer Attacke durch Zugvögel - auch im Himmel werden Grenzen gezogen - und einer weiteren Ex Machina Intervention genug hat, unterbricht das Stück. Die Norwegische Schauspielerin wünscht sich ein Stück, das Lebenswirklichkeiten des (europäischen) Publikums, oder auch jene ihrer Eltern widerspiegelt. Dass sie in gewisser Weise recht hat, lässt einen schlucken. Was hier ausgehandelt wird ist weit, weit von unserem Alltag entfernt. „Underground Birds“ will, obwohl man per Wunsch der erzürnten Norwegerin eine „normale Szene“ dazwischenschiebt, in der am Strand Aerobic gemacht wird (bei der Premiere mit erstaunlich hoher Publikumsbeteiligung), das Publikum auf der Reise mitnehmen, es - eben auch bei Laune - halten, was gelingt.
Ein bisschen verliert man sich in dieser Unterhaltungsnische, vielleicht nur um dem Publikum für den letzten Reiseabschnitt Kraft zu geben: Es wird schlimmer, bevor es besser wird. Bevor man in Afghanistan ankommt, sollte man die schrägen, wie so vieles nicht zum schwer zu fassenden Stück passenden Gesangseinlagen genießen. Als sich der Staub legt und das Stück zu einem Ende findet, gibt es anhaltenden, kräftigen Applaus. Die Afghanischen Schauspielerinnen verneigen sich in Videoform gleich zweimal, es ist zu lesen, wo sie gerade in der Welt sind, zum Teil ist ihnen die Flucht nach Europa geglückt, zum Teil leben Sie im Iran im Untergrund. Von Weimar nach Bozen war dann für eine physische Präsenz der Weg über die Behörden zu weit. Es bleibt ihnen alles gute zu wünschen und, dass viele Menschen mit Lesebrille ins Theater gehen. Es lohnt sich.