Kultur | Salto Gespräch

Trachtenmenschen

Elsbeth Wallnöfer hat ein Buch über Tracht, Macht und Politik geschrieben. Ein Gespräch über Brauchtum, Dirndl-Boom, Kostümhistorie und über den Nikolaus.
Elsbeth Wallnöfer
Foto: Peter M. Kubelka

salto.bz: Heute ist Nikolaustag. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Brauch?

Elsbeth Wallnöfer: Eine Erinnerung aus den frühen Kindheitstagen: ich sitze (im Kindergartenalter) in der Stube brüllend, weinend, schluchzend vor Angst auf dem Schoß meines Vaters. Der Krampus – ein Freund meines Bruders – hat sich extra für mich besonders wild aufgeführt. Das  wiederum brachte meinen Vater in Rage, worauf er den Tuifl laut tobend rauswarf. Da habe ich wohl gelernt, dem Schrecken mit Entschiedenheit zu begegnen. Der gute Nikolaus mit seinen Fragen nach „bist auch brav gewesen?“ war da nur mehr eine Nebensächlichkeit und ging in dieser Szene völlig unter.

Man zerstört die Landschaft, baut Hotels und Lifte und wirbt mit Trachtenmenschen in menschenleerer Natur. Ja, das ist tatsächlich eine edle Form der Realitätsverweigerung.

In welchem Südtirol sind Sie aufgewachsen? Welche Rolle spielten traditionelle Kostüme?

Ich bin eine waschechte Vinschgerin, die noch miterlebt hat, wie sich die Carabinieri am Tuifltog nicht aus der Kaserne getraut haben – aus Angst vor Rache (zu Recht). Durch meine beiden Brüder und deren Freunde wurde ich recht früh in die wilde Welt der Tuifl eingeweiht. Die Metamorphose, die die Burschen beim Umkleiden durchmachten ist mir noch immer in Erinnerung und der Geruch des „bockalan“ der Schaffelle auch. Die Bedeutung dieses Rollenspiels und das dramaturgische Setting – die Tuifl tauchen in der Dämmerung auf, nachdem die Schellenrennerkinder verschwunden waren, der Nikolaus ist in der Minderheit und zu fortgeführter Stunde verschwindet dieser ganz, während die Krampusse mehr werden – sind mit ein Grund, den Sinn von Brauchtum leichter zu verstehen, es in seiner anthropologischen Dimension erfassen zu können. Zudem kann ich mich erinnern, dass meine Eltern mir beigebracht haben, falls der Tuifl übergriffig wird, ihm die „Lorv“ (Maske) vom Kopf zu reißen – eine gescheite Empfehlung.

TRACHT MACHT POLITIK nennt sich Ihr neues Buch. Was hat Sie angetrieben es zu schreiben?

Nun, nachdem ich 2008 die Trachtengeschichte der Frau Pesendorfer aufgedeckt, danach einen Dokumentarfilm zum Thema Tracht gemacht habe, trat man öfter mit Fragen an mich heran. Da wurde mir klar, dass es eine moderne Deutung zu diesem Kleidungsstück braucht. Der Haymon Verlag sah das wohl ähnlich und so kam es, dass mir der Verlag vertraute und wir nun gemeinsam eine Kostümgeschichte von Tracht und Dirndl – und am Rande auch der Lederhose – präsentieren können. Schön illustriert und mit einem Plakat zum Rausnehmen. Es konnte mit Unterstützung eines Schweizer Kunstverlages gedruckt werden.


 
Wann haben Sie zum letzten Mal eine Tracht oder ein Dirndl getragen?

Bei der diesjährigen Ars Electronica in Linz, während einer Performance. In meiner Funktion als Bundesvorsitzende Frau in der Heimat des Heimatschmutzministeriums, als Partnerin der Performance-Künstlerin Barbara Ungepflegt. Da hat das trachtige Outfit so schön zum arabischen Jodler gepasst.

Kleider machen Leute. Was für eine Kategorie Kleid ist die Tracht Ihrer Meinung? Wie formt sie ihre Träger*innen? 

Tracht ist inzwischen ein bedeutender Teil der Politikgeschichte. Sie korrespondiert mit der mythischen Beschwörung der Bauernkultur, sie ist Instrumentarium der Kulturpolitik und scheint bisher völlig ohne kostümhistorische Bedeutung ausgekommen zu sein. Sie hat Einfluss auf die Trägerinnen, indem sie – anders als das Dirndl – bemüht ist, den Eros der Frauen eher zu verschleiern, denn diesen zu betonen. Sie ist Gesinnungskleid, weil sie Erkennungssymbol wertkonservativer Menschen ist.

Dialekt reden und Trachttragen galten in den 1970er-Jahren noch als Hinterwäldlerisch.

Geht es beim Thema Tracht nicht vornehmlich um das Markierern einer vermeintlichen Zugehörigkeit zu etwas, was manche Menschen im Begriff Heimat vermuten, bzw. auf diesen projizieren?

So und ähnlich ist es! Unser Verständnis von Tracht nährt sich von einer romantisierender Erzählungen, die eigentlich Ausdruck eines Begehrens, eines Wunsches  und faktisch eine Erfindung ist. Hätte es nicht den frühen Tourismus, daraus resultierende Vereine und eine nationale Bewegung gegeben, wäre sie vollends dem Kleiderstil der Moderne zum Opfer gefallen. Tracht ist das ideale Mittel sich, ja, andere auszugrenzen. Anders formuliert: Tracht funktionierte bisher als tribalistisches Charakterzeugnis, das ursprünglich, wie jede Art der Kleidung, auf die sehr menschliche Lust sich zu bekleiden und zu behübschen zurückzuführen ist.

Ist das Tragen lokaler Kostümtradition nicht nur ein unhinterfragtes Nachlaufen nach alten Vorstellungen – eine Flucht aus der Realität?

Nun, die Legende von der lokalen Besonderheit der Tracht ist in großen Teilen eine Erfindung und Ihre, lieber Herr Hanni, suggestive Frage für so manchen eine kleine Gemeinheit. Es ist dennoch gut, dass sie gestellt wird. Tatsächlich ist es so, dass die heute zelebrierten Trachten einem Kleiderdiktat, von einer Nazifrau erfunden, folgen. Die Anlässe, zu denen sie getragen werden sind kulturpolitischer oder religiöser Natur. Die Regel, dass sie Bäuerinnen tragen sollen, ein Witz. Wieviel Prozent der Bevölkerung in Südtirol und Europa sind denn noch Bauern? Man verseucht die Böden, betreibt Monokulturen und lobt unter Zuhilfenahme der Tracht eine romantisierende bäuerliche Welt. Man zerstört die Landschaft, baut Hotels und Lifte und wirbt mit Trachtenmenschen in menschenleerer Natur. Ja, das ist tatsächlich eine edle Form der Realitätsverweigerung.
Nun ist es aber auch so, dass Tracht als kulturpolitisches Instrumentarium für Südtirol lange Jahre einen wichtigen Stellenwert hatte. Das Bollwerk "deutsche Kultur" in der Erscheinung von Tracht hat das Land über viele Jahre nach innen zusammengehalten. Bei aller kostümhistorischer Kritik am Stil, kann man befinden, dass dies als durchaus real empfunden wurde und – aufgepasst – wichtiges Symbol bei der Erzählung der kulturellen Minderheit war.

 

Woran machen Sie den Trachten- und Dirndl-Boom der vergangenen Jahre fest? Ab wann gelangte die Tracht auf den Laufsteg?

Ab Mitte der 1990er-Jahre ging das los. Nachdem die Kostümgeschichte schön zeigt, wieviel Anteil Demokratisierung, Modernisierung, Reichtum am Kleiderverhalten haben, zeigte sich bei der Recherche zu diesem Buch, dass der wirtschaftliche Aufschwung Europas im Zuge der Liberalisierung der Märkte mit diesem Trend korrespondiert. Der steigende Wohlstand macht Menschen frei, unter anderem frei zu wählen, was sie anziehen, wie sie sich anziehen möchten. Ähnliches passierte mit Beginn der Modernisierung um 1900 herum. Heutzutage streiten rumänische Frauen – für deren Trachtenfellwesten sich bisher niemand interessiert hat – mit dem Pariser Couture-Haus Dior um das Urheberrecht eines Schaffellwamses, In diesem Fernduell Bihor: Dior (Bihor heißt der Ort in Rumänien, an dem diese Westen genäht werden) steckt viel Diskutierenswertes zum irrigen Verständnis von „Volkskultur“ – das die UNESCO ja so gern bemüht...

Vergleichen wir das Tragen eines Trachtengewandes mit dem Tragen einer Lederkluft einer Bikergruppe. Gibt es da Gemeinsamkeiten?

Auf der symbolischen Ebene gibt es Gemeinsamkeiten – denn beide Gruppen nutzen ihre Kleidung, um ihre Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen. Von der Historie und dem dazu passenden Narrativ her weniger. 

Die Rede von der Bedeutung der Tracht als Teil der Leitkultur mag politisch stimmen, kostümhistorisch ist sie falsch, denn sonst wären wir wirklich eine antimoderne Gesellschaft.

Ist die Tracht eine Art Uniform für Provinzler?

Tatsächlich war das mal so. Mit dem Einzug der technischen Moderne fiel das Stadt-Landgefälle größer aus, auf dem Land kamen Neuerungen später an. Dialekt reden und Trachttragen galten in den 1970er-Jahren noch als Hinterwäldlerisch. Damals galt es noch als Vergehen in Jeans in die Kirche zu gehen und einen Trachtenjanker zur Jeans zu tragen. Das war auch bis Mitte der 1980er Jahre noch verwerflich. Bei der Gelegenheit muss auch mal gesagt werden, dass sich auch auf dem Land längst nicht alle vermochten eine Tracht zu „richten“. Wie man sich kleidet, war und  ist noch immer eine Frage der finanziellen Ausstattung. Weil dies so ist, gab es von bürgerlicher Seite viel Kritik, als Discounter günstige Dirndln anfingen zu verkaufen. Diese „Demokratisierung“, ich nenne es gerne so, ist ganz in meinem Sinne und nach meinem Geschmack.

 

Brauchtums- und Trachtenkultur sind imstande neue Mitbürger auszugrenzen, da sie wenig Offenheit für andere Kulturen mitbringt. Wohin führt inzestuöses Einigeln im uniformen Kleid?

Der jüngste Trend, das ist durchaus skeptisch zu kommentieren, zeigt, dass die AfD, die FPÖ, die neue türkise Bewegung, die Identitären gerne eine Art steirischen Trachtenjanker tragen. Österreichs Türkise haben daraus sogar ein massenpsychologisches Politikum gemacht. Sie riefen aus Anlass des Neustifter Kirtages in Wien dazu auf, türkise Stutzen und Lederhose zu tragen, in diesem Outfit durch die Stadt zu laufen. Dazu muss man wissen, dass als Kennung der 1933 verbotenen Nazis diese weiße Stutzen, weißes Hemd und Lederhose trugen. Alles in allem führt das zu einer Radikalisierung in der Volkstumspolitik oder anders formuliert: zu gesellschaftlicher Zwietracht. Die Rede von der Bedeutung der Tracht als Teil der Leitkultur mag politisch stimmen, kostümhistorisch ist sie falsch, denn sonst wären wir wirklich eine antimoderne Gesellschaft.

Und was macht die Tracht immer noch zu einem politischen Machtinstrument? 

Die Tatsache, dass sie von Seiten der Politik als Waffe zur Ausgrenzung genutzt wird. Die Kraft Unruhe zu stiften, ideales, weitum sichtbares Symbol einer Gesinnung, oder Weltanschauung zu sein. 

Jetzt könnten wir noch ausführlich über das Dirndl sprechen. Das würde nun aber den Rahmen sprengen…

Ja, wir haben bis anhin nicht über das Dirndl gesprochen, nicht über den Eros und nicht über das Dirndl Tricolore, das selbst ich als italienische Provokation empfinde. Wir haben auch noch nicht über das Dirndl als Sommerfrische-Mode geredet und den Einfluss der Nähmaschine auf das Aussehen von Tracht und Dirndl, über den Salontiroler, über die bunten Lederhosen und Stutzn, über das „Dirndlverbot“ (das es nur als Landesgesetz gab) für Juden und über den coolen Clusterfuck in der gegenwärtigen Dirndlpraxis. Aber das kann man ja im Buch nachlesen.