Kultur | Salto Weekend

Eurabæfrika

- Fenster und Geister. Mit Texten von Maria Christina Hilber (7.1.) und Josef Oberhollenzer (8.1.) geht der literarische Salto Weekend-Jahreswechsel zu Ende.
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Foto: osmo/sonn/e

von Maria Christina Hilber

Es scheint keinen Zweifel daran zu geben, dass die eigenen vier Wände dem Bewohnenden bekannt sein sollten. Wie oft wird ein- und ausgegangen, wie oft auf- und umgestellt, wie viele Winkel sind dem Staub nicht abgeneigt. Und ist nicht alles selbst gewählt? Wurde nicht alles hier mit den eigenen Händen eingerichtet?Da stelle man sich ihr Erstaunen vor, als Miss Amir nichts ahnend ein Klopfen an einem unbekannten Fenster ihrer Wohnung im vierhundertdreiundfünfzigsten Herzen Eurabæfrikas vernahm. Sie ging zur Tür, obwohl diese im Besitz einer aparten Klingel war, welche nicht geläutet wurde. Im unbekümmerten Argwohn wurde der Türspion benutzt, niemand war zu sehen. Der Neugierde halber wurde geöffnet. Denn selbst das kosmischste Fischauge schafft ein Blickfeld mit verschwommenen Grenzen, das ist im kleinen Bruneck wie auch im größeren London so. Sie öffnete nun ihren Wohnungsraum mittels der Tür, schaute schnell nach rechts, dann links hinter diese Tür, sah niemanden und schloss sie wieder. Mit der Türklinke in der Hand wartete Miss Amir noch kurz und ging dann, mit leicht baumelnder Irritation zurück in ihr Wohnzimmer, um den Stift auf der Landkarte gen Türkei erneut anzusetzen.
Unbekannte Klopfer sind nichts Ungewöhnliches in Eurabæfrika, wie dieses Phänomen auch auf sämtlichen anderen Kontinenten im weiten Kosmos unter mannigfaltig wechselnder Bezeichnung beobachtet wird. Da kommunizieren reale und erfundene, nicht minder reale Geistwelten miteinander und selbst die Autokorrektur des Apfel-Schreibprogramms, muss wohl (unbewusst oder geisterhaft) einer Logik der Kontaktaufnahme folgen, wenn sie das sorgfältig getippte “Geistwelt" partout mit “Geisterten” ersetzen will.

“So geisterten die Alten und die Neuen gleichermaßen durch die Gedanken der Lebenden. “

Die meisten Fühlungnahmen beginnen mit einem Gefühl des Klopfens und meistens sagt die Art der Anklopfung wesentlich mehr über die Klopfer, denn über die Beklopften aus. Ist es ein zögerliches Stupsen oder ein energisches bussare, ein Handkuss über die Distanz eines Raumes hinweg, ein widerwillig erzwungenes Höflichkeitsklöppeln oder ein weniger höfliches Grenzüberschreiten, bekannt unter “PussyGrab”. Sie bemerken sicherlich, hier wird nicht nur das virtuelle Word-Schreibprogramm in den Gedankengang mit einbezogen, sondern auch die partielle Rhetorik von Vertretern der Erdpolitik. Mögen wir nun müde lächeln und die Nasenflügel blähen. “   …   ”
Letztere clowneske Unterwanderungen von jahrzehntelanger gesellschaftlicher Öffnungsarbeit, die Entwicklung eines europäischen Geistes hin zur gedanklichen Osmose wurde durch viele Bürgerinnen und Bürger getragen und scheint mittels solch grapschender und ähnlicher verbaler Phänomene rasend schnell zur gedanklichen Rückwärtsverstopfung zu führen.

 

Kopfschüttelnd beschloss nun die kosmische Henne: “Nun, die Zeit der Verdauung ist gekommen: Europas Geschichte sei Geschichte! So taufe ich dich, mein Küken, Eurabæfrika!”

Diesem Ruf folgend haben auch die EU-Staaten und das Europaparlament den Versuch eingeleitet, ihr inneres System weiterhin zu öffnen und den Geist Eurabæfrikas in sich aufzunehmen. Sie lasen die Morsezeichen des Universums, sie verstanden die Sprache ihrer Bewohner (lange vor diesem Akt), der im Zufallsprinzip Alteingesessenen, der Wandernden und der Neuankömmlinge. Sie hörten das Pochen nachts und öfters begleitet von Klingeltönen. Sich in die telesmarten Werkzeuge einzuhaken - damit scheint ein bedeutsames Zeichen aus dem inneren Regelwerk des ehemaligen Europas gesendet zu werden! Die Roaminggebühren werden fallen gelassen. Das Schlendern durch die Länder soll in der Aufrechterhaltung der freien Kommunikationskanäle als Zeichen verankert werden. Eine neue Sonne glänzt auf!
Denn seit das alte Ei Europa dem noch unsicheren Küken Eurabæfrika Platz gemacht hat, rumort es doch sehr in den nebulösen Einordnungssystemen der Bewohner. Sie öffnen sich. Sie wollen ansprechen, worüber gesprochen werden soll. Das alte Europahaus ist bereits im Reich der Geschichte. Jenseits der Gegenwart. Gut - wir Europäer sind noch im Begriff der Formwandlung, man liest es in den teils ratlosen Gesichtern der Mittel- und Grenzeurabæfrikaner. Noch orientieren sich die Systeme um. Doch die Süße der Gewöhnung hat diesen geistigen Prozess bereits eingeleitet. So ungeschützt kann es auch passieren, dass ein geisterhaftes Clownschema importiert wird. Kopiert und eingefügt. Ein Jux. Ein Symptom? Ein clownhaftes Verhalten überschreitet den großen Ozean und da wären wir wieder bei Miss Amir, vor ihrem neu entdeckten Fenster.
Das unruhige Klopfen wollte nicht aufhören und führte sie zur, bis dato unbekannten Öffnung. Erst später fand sie die Zeit, sich über das blinde Fenster zu wundern. Auch wir sollten uns jetzt nicht zu lange damit aufhalten. So ist es nun manchmal. Wer kennt nicht das Erstaunen, wenn die selektive Wahrnehmung uns mit den immer gleichen Geistern von gestern versorgt oder die Erschütterung, wenn wir uns bereits verhandelnd in der gedanklichen Ukraine befinden, während sich unsere Füße noch in den alten Salomon wähnen?
Also zur Kernfrage: Wem schaute sie ins Gesicht? Keinem freundliches Clownwesen wie sie an den Krankenhausbetten der Welt oft (nicht) stehen. Keinem traurigen schmalen Clowngesicht mit weißen Tränen auf den Wangen, das in unbeirrbarer Weisheit auch die tristesten Ecken der menschlichen Seele bewohnt hat, nein. Ein aufgebrachter Clowngeist, der sich von einem empfänglichen Menschengefäß zum nächsten fortbewegt, stand da, vor ihrem geheimen Fenster und guckte grimmig hinein. Seinetwegen waren polizeiliche Warnungen ausgesprochen worden. Seinetwegen Menschen in Angst und Schrecken versetzt worden. Selbst hinter dem Brenner, im Pustertal und Vinschgau wurden die clownesken Erscheinungen gesichtet und mit Mistgabel und Internetforen in Schach gehalten. “I gea gach nimr vor dr hitt ausn” schrieb flapsig ein junger Mensch (Zitat aus dem Kontext genommen und von der schreibenden Person zu Illustrationszwecken nicht sachgerecht angeführt).
Miss Amir selbst ahnte von alledem nichts. Ohne unnötige Emotion öffnete sie die bislang ebenso unbekannte Jalousie. Ohne unnötige Emotion blickte sie in ein aufgebrachtes Zerrbild, das sich nicht ganz wohl zu fühlen schien, selbst erschrak und sich schnellstens davon machte - wahrscheinlich in die, nicht allzu ferne Familiensiedlung. Miss Amir indes sank sanft und verwirrt zu Boden. Tastete zum Tisch und griff ihren Stift. Der Atlas fiel ihr dabei zu Füßen.

“Where do you come from, you bewildered soul?
Where do you come from, you, knocking on my blind little fenestrelle?
Who do you belong to, you chanting owl?”

 

Anmerkung: Auf der Suche nach neuen Wörtern und im Dienste einer Physik der freien Atmosphären, werden laufend Neologismen gebildet, welche dieses neue gedankliche Milieu mitgestalten wollen. Eurabæfrika ist eine Schöpfung des Heartj(°)bs Instituts. 

 

SALTO in Kooperation mit: SAAV, Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung