Kultur | Kino

Dinge, die bei Netflix nicht passieren

Der neue Präsident des Filmclubs, Luigi Loddi, über seine Wahl, den neuen Vorstand, seine Affinität zu Filmen, die Corona-Krise und die Frage, ob Kino noch zeitgemäß ist.
Luigi Loddi blickt in die Ferne
Foto: Foto: Privat

Salto.bz: Herr Loddi, können Sie vorab für unsere Leser den Aufgabenbereich des Vorstandes und Ihren als Präsident im Speziellen zusammenfassen?

Luigi Loddi: Ich muss vorwegnehmen, dass ich diese Arbeit vor einigen Tagen übernommen habe, daher habe ich noch keinen direkten Bezug zur Realität und muss erst sehen, wie meine Rolle effektiv aussieht. Ich denke, eine ganz wichtige Funktion des Vorstandes - von welchem der Präsident ein Teil ist - ist es, diese kulturelle Institution zu leiten, maßgebliche Ziele zu setzen, sowie darauf zu achten, dass der Ablauf an den sieben Standorten garantiert ist und Qualität und Werte bei der Filmauswahl gewährleistet sind. (Die Standorte sind Bozen, Brixen, Bruneck, Meran, Neumarkt, Schlanders und Sterzing, Anm. d. Red.) Der Präsident als Vorsitzender des Vorstands hat formal-rechtliche Verantwortungen und hat -  als Mitglied des Vorstands – mit zu helfen, dass das Angebot und die Abläufe stimmen.

Das, was mich in meiner aktuellen Lebensphase interessiert ist genau das, was mich als Person ausmacht: Ein Mix aus Italienischer und Deutscher Kultur.

Welche Filme locken Sie persönlich in ein Programmkino wie den Filmclub?

Ich habe eine sehr lange Bindung zum Filmclub. Das, was mich in meiner aktuellen Lebensphase interessiert ist genau das, was mich als Person ausmacht: Ein Mix aus Italienischer und Deutscher Kultur.
Es ist eine große Besonderheit des Filmclubs, dass wir die Möglichkeit haben, Qualitätsangebote der italienischen Kulturwelt und der deutschsprachigen Kulturwelt erleben zu dürfen.

 Wie halten Sie es mit den Untertiteln? Bevorzugen Sie bei Filmen den Originalton mit Untertiteln oder eine Synchronfassung?

Ich ganz persönlich bevorzuge eine Synchronisation, da ich durch das Lesen nicht abgelenkt werden will vom Geschehen und von dem, was etwa Mimik und Körpersprache vermitteln. Ich möchte die gesamte Aufmerksamkeit auf das Geschehen legen und das, was Gesichter und Körper emotional zum Ausdruck bringen.

An Ihrem letzten Arbeitsplatz als Direktor der Landesfachschule für Sozialberufe haben Sie in einem Interview mit Franco Grigoletto für LP großen Wert auf Interdisziplinarität gelegt. Ist das auch etwas das für das Kino spannend ist und welche Bereiche bieten sich für Synergien an?

Ich finde, dass hier ein großer Mehrwert und eine Besonderheit des Filmclubs liegt. Die Zusammenarbeit gerade von Film und Musik, sowie mit gesellschaftlich-sozialen Themen ist meiner Meinung nach etwas Ausschlaggebendes für die Qualität des Angebotes. Ich denke, dass es hier möglich sein wird, eine noch größere Verbindung zu schaffen und verschiedene Teile der Kultur und Gesellschaft zusammen zu führen. Ich arbeite auch, seit vielen Jahren, beim Südtirol Jazz Festival mit und weiß daher, dass Musik und Film eine sehr interessante Kombination bilden. Das sieht man an den vielen Angeboten, die bereits gemacht worden sind.
Was auch noch sehr wichtig ist, dass im Filmclub lokale Filmemacher ihre Projekte vorstellen können. Das ist in dieser Form fast nur im Filmclub möglich. Denken wir an den Film „Heimat – Die andere Erzählung“ von Karl Prossliner. Ich wage zu behaupten, dass man diesen sehr interessanten Film weder auf einer Plattform, noch in einem großen privaten Kino zu sehen bekommt. Ich war bei der Sonntag-Nachmittag Vorstellung und viele Leute waren anwesend.Diesen Filmschaffenden eine Bühne zu geben, um ihre kulturellen Produkte zu präsentieren, ist ein großer Verdienst des Filmclubs.

Dabei passieren Dinge, die zuhause auf dem Divan bei Netflix gar nicht passieren können, nämlich Konversation und Sozialisierung.

Ein Zyniker könnte sagen, Eigenproduktionen in Südtirol bringen dem Land nichts, im Gegensatz zu den großen Produktionen, die von außen kommen. Welchen Wert würden Sie dem entgegen halten?

Je nachdem, was man unter „bringen nichts“ versteht. Wenn man das aus wirtschaftlicher Sicht sieht, dann kann das auch zum Teil stimmen - wobei auch die Eigenproduktionen einen Wirtschaftsfaktor darstellen.
Aber die Möglichkeit, dass lokale Qualitätsfilme gezeigt werden, stellt für die Personen im Lande, nicht nur in der Hauptstadt, die Möglichkeit dar, sich mit Themen auseinander zu setzen, die für sie große Bedeutung haben können. Denken wir - wieder am Beispiel des Films über Leopold Steurer von Prossliner - an die Themen Identität und geschichtliche Aufarbeitung, die wesentlich sind für unsere Südtiroler Gesellschaft.
Eine weitere Besonderheit des Kinos ist, dass es vor und nach dem Film „etwas“ gibt. Dabei passieren Dinge, die zuhause auf dem Divan bei Netflix gar nicht passieren können, nämlich Konversation und Sozialisierung. Wir sprechen gemeinsam über den Film und darüber, was es mit uns gemacht hat. Auch bei einem Glas Wein oder einer Pizza, das ist egal, aber es passieren Sozialisierung und Konversation, also gemeinsames Nachdenken. Das ist für jede Gesellschaft etwas sehr Bedeutsames.

Die Kontinuität im Vorstand war im letzten Jahrzehnt sehr stark, denken Sie, dass mit fünf ausgewechselten Mitgliedern und einem neuen Präsidenten der Wechsel für das Publikum spürbar sein wird und wenn ja, ab wann? Die Mühlen in der Kultur mahlen bekanntlich, aufgrund von Vorlaufzeiten, langsam.

´Das ist für mich momentan schwer zu sagen, da ich die Institution im Detail noch kennen lernen muss. Ich denke, dass die Rolle als Vizepräsidentin mit Waltraud Staudacher auch eine Form der Kontinuität ist. Sicher wird es im Sinne der Kontinuität eine Weiterführung der Werte und Grundsätze geben, die den Filmclub ausmachen.
Die Italiener haben mit „film d’essai“ einen sehr schönen Begriff für besondere Qualitätsfilme und dass solche Filme nicht nur in der Hauptstadt gezeigt werden, sondern auch an sechs anderen Orten im Land, bedeutet, dass wir für Südtirol insgesamt ein Angebot haben. Das ist auch ein Grundsatz der sicher fortbestehen wird. Es ist wichtig, den Personen in den Tälern und kleinen Städten die Möglichkeit zu geben diese Filme zu sehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Dass dann im Filmclub neue Akzente gesetzt werden und neue Projekte entstehen, das Netzwerk noch stärker um Musik oder Sozialthemen erweitert wird, das kann sein und es wäre sicher ein möglicher Entwicklungsfaktor für den Filmclub.

Wenn hundert Personen in einem Kinosaal sitzen, ist die gesamte Aufmerksamkeit dem Filmgeschehen gewidmet und das emotionale Erlebnis ist ein sehr starkes (…)

Sie sind auch Psychologe und Psychotherapeut. Kann Film für Sie auch therapeutische Wirkung haben, oder ist er zu sehr ein Monolog der an einen gerichtet wird, wogegen Psychotherapie in der Regel in die andere Richtung läuft?

Ich würde folgendes sagen: es gibt im Kino eine Besonderheit und das ist auch etwas, was eine Plattform nicht anbieten kann. Wenn hundert Personen in einem Kinosaal sitzen, ist die gesamte Aufmerksamkeit dem Filmgeschehen gewidmet und das emotionale Erlebnis ist ein sehr starkes, weil die Emotionalität von hundert Personen konzentriert ist. Es geht in diesem Beispiel um die Emotionalität und das Empfinden von hundert Personen und das macht etwas aus. Die Wahrnehmung ist individuell unterschiedlich aber bestimmte Themen sprechen in irgendeiner Weise alle an, den einen schwächer, den anderen stärker. Das bedeutet, dass ich nicht nur meine Emotionalität habe, sondern in irgendeiner Form die meiner Nachbarin und die meines Nachbars auch. Das ist auch das Besondere an Kino.

Der Filmclub hat auch zweisprachiges Programm. Denken Sie er ist auch ein Ort der Begegnung oder ist das etwas, das weiter forciert werden sollte in nächster Zeit?

Auch das ist wiederum eine Besonderheit, da dieses Angebot in zwei Sprachen in einer Zeit entstanden ist, in der zweisprachige Angebote nicht vorgesehen und auch „nicht erwünscht“ waren. Das war damals eine Herausforderung, da man uns in den 70er Jahren und am Anfang der 80er zwischen den Zeilen immer wieder verstehen lies, dass wir einsprachige Angebote machen sollen. Dem sind wir nie gefolgt und jetzt ist das kein größeres Thema mehr, da sich die Gesellschaft stark entwickelt hat.

 

 

Wie ist es mit den Besucherzahlen? Ist man wieder auf einem Niveau von vor Corona oder hat man nach wie vor mit dem viel genannten Vertrauensverlust zu kämpfen?

Das Thema Pre-Covid/Post-Covid ist ein ganz großes in Italien, weil es auch das Land ist, in dem statistisch die Besucherzahlen - im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich, etwa - am stärksten zurückgegangen sind. Ich denke, dass die Möglichkeiten der Konversation, des Austausches, der sozialen Geselligkeit und des Miteinanders ein großes Bedürfnis für viele Menschen ist. Es stimmt, dass die Plattformen ihr Filmangebot enorm vergrößert haben in dieser Zeit, weil das für sie ein günstiger Faktor war, dass die Leute zuhause sein mussten - daher war es für sie eine ungemeine Chance ihr Angebot und ihren Einfluss zu erweitern. Aber dass viele Personen jetzt den Wunsch nach sozialem Miteinander haben ist eine Tatsache. Daher gilt es nun wieder Angebote und Situationen zu schaffen, in denen Personen das wieder erleben können.

Nützen Sie selbst Streaming-Angebote und wenn ja welche?

Ich habe ein Abo für Netflix und für Amazon Prime. Wobei die Abos nicht ich gemacht habe, sondern sie mein Sohn installiert hat, da man von drei, vier Nutzern zugreifen kann. Meine Kinder sind im Ausland und zu Beginn der Pandemie haben sie gesagt: „Papi, donn hosch eppes zu schaugn in der Lockdownzeit.“
Für ein spezielles Angebot habe ich ein Monatsabo für Disney+ gemacht, weil mich eine 8er-Serie von Ferzan Özpetek interessiert hat. Das werde ich dann nicht verlängern. 

 Ist es zu früh für ein Fazit, was den Filmclub als Institution ausmacht?

Wenn ich drei Punkte zusammenfassen darf: Der Filmclub setzt auf die Verbreitung auf das ganze Territorium, es ist nicht nur ein Angebot, dass sich an die BoznerInnen richtet. Die BoznerInnen haben das zusätzliche Glück, dass sie ein Kino mitten im Stadtzentrum haben.
Zweitens setzen wir auf Filme der verschiedenen Kulturen, die man sonst in dieser Form kaum sehen würde. Und, last but not least, die einheimischen Kulturschaffenden bekommen eine echte Bühne.

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Emil George Ciuffo Sa., 07.05.2022 - 17:40

Viel Glück und viel Erfolg!

Zu Untertitel: Ich verstehe sehr gut das Problem mit der Konzentration auf einen Film beim Lesen von Untertiteln, andererseits denke ich aber auch, dass die Synchronisation in vielen Fällen einer Art Verstümmelung des Originals gleich kommt ...

Sa., 07.05.2022 - 17:40 Permalink