Kultur | Salto Afternoon

Pop und Oper, Anthropologie und Fussball

Nach großem Aufwand und langer Vorlaufzeit kam am Wochenende die Oper „Blasmusikpop“ auf die Bühne. Haben sich die Mühen der Grieser Bürgerkapelle und der VBB gelohnt?
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Foto: Gregor Kuhlen Belasi
Eine Laufzeit von fast drei Stunden kurz erscheinen zu lassen ist ausgesprochen schwierig und eine Oper braucht ihren Platz: Im Bühnenraum (Bühne mit Pop und viel Farbe, sowie DIY-Charme von Luis Graninger), der in Richtung der Parkettsitzplätze erweitert wurde, wie auch in der zeitlichen Ausdehnung des Stücks: Die kurze Pause mit ein gerechnet, verbrachte man drei Stunden im Bozner Stadttheater. Nun ist das für eine Oper nichts ungewöhnliches, doch als gänzlich neues Singspiel muss sich „Blasmusikpop“ erst beweisen. Während sich sechs Singschauspieler:innen und ein „Laie“ - Erwin Belakowitsch (als Johannes Gerlitzen und Alois Irrwein), Sabina Willeit (Ilse Irrwein), Kilian Staudt (Johannes A. Irrwein), Sascha Zarrabi (Peppi Gippel), Laura Obermair (Maria Rettenstein, Herodot), Laura Schneiderhan (Simona Nowak, Muse), sowie Pater Ulrich Kössler (selbstverständlich als Pater Tobias) - die großen Rollen des Stückes aufteilten, wurde das Dorf St. Peter am Anger und kleinere Rollen von Mitgliedern der Kapelle zum Leben erweckt. Man feierte, mit einem neuen und wirklich ungewöhnlichem Projekt das eigene 200 Jahr Jubiläum nach.
Mit der ersten Hälfte vor der Pause arbeitete man sich von der Mitte des 20. Jahrhunderts ins Jahr der Haupthandlung, 2010. Die Geschichte von Alois Irrwein, des Großvaters des Protagonisten Johannes A. Irrwein folgte dabei rigoros der Regel Show-Don’t-Tell und der Verlauf des Stücks war hier schleppender als jener der zweiten Hälfte. Die Aufmerksamkeit des Publikums hielt dabei anfangs, nach einer leicht hölzernen, aus der Handlung ausgegliederten Einleitung durch den jungen Irrwein, vor allem das Novum, dass hier eine Sprache auf ein Format traf, das so zu ihr nicht passen kann: Operngesang über Bandwürmer, das Forschungsobjekt des alten Irrwein und die eine oder andere Zeile im Dialekt machten den Anfang. Die Musik der Bürgerkapelle Gries, so viel sei an dieser Stelle vermerkt, war durch das Stück hindurch gleichbleibend überzeugend. Die Kompositionen von Thomas Doss, welche sie spielten hatten dabei immer wieder Anklänge von Filmmusik, teils subtil, teils als ironisierender Verweis, erweckten manchmal jedoch den Eindruck, dass sie sich in einer eher ungleichen Ehe dem Libretto von Silke Dörner anzubiedern hatten.
 
 
Die Doppelregie von Alexander Kratzer und Christian Mair hätte den Handlungsverlauf, es muss gesagt werden, etwas straffen müssen. Mit dem Tod von „Doktor Opa“ Irrwein beschleunigt sich der Zeitfluss ein Stück weit, aber auch hier wird wieder auf die Bremse getreten um die ausgesprochen sympathische, aber doch eher nebensächliche Figur des Paters einzuführen und um den Weg zur Reifeprüfung des sich selbst als Nachwuchsforscher in Sachen Anthropologie sehenden Johannes A. Irrweins Weg. Wäre hier das eine oder andere gestrafft, resümiert oder ausgelassen worden, hätte wohl schon am Ende der ersten Hälfte der zentrale Konflikt des Stücks - ein Freundschaftsspiel zwischen dem Fußballverein des fiktiven Dorfes und dem FC St. Pauli - eingeführt werden können. Auch auf eine der laiengerecht choreografierten „Ballet“-Einlagen, die gegen Ende hin zum Tempolimit wurden, hätte man verzichten dürfen. So flachte der Spannungsbogen gänzlich ab und die Handlung von „Blasmusikpop“ startete an einer unglücklichen Stelle erneut.
 

St. Peter versus St. Pauli

 
Die Stärken der Produktion griffen nach wie vor: Man hat es sich in einer Oper wohl noch nicht herausgenommen das Wort „Arschkarte“ zu singen und das hat im schöngeistigen Gesang einen Effekt. In der zweiten Hälfte des Stücks rückt auch das Dorf mehr in den Vordergrund und damit  auch die Laiendarsteller aus der Bürgerkapelle, welche in Hälfte Eins hauptsächlich in Form des Digamma Klubs am Internat als etwas fremd aufgefallen waren.
In Hälfte Zwei war es auch eine gemischte Partie, aber gerade der leicht antagonistische Ältestenrat von St. Peter am Anger - gespielt von Michael Komiss (Trompete), Andreas Oberkofler (Tuba), Andreas Riegler (Horn), Franz Targa (Flügelhorn) - konnte mit Manierismen und visuellem Humor viel Sympathie und einige Lacher ernten.
 
 
Bei den Gesangsrollen machten es sich Erwin Belakowitsch, der als Irrweins Vater Johannes Gerlitzen noch mehr in seinem Element war als in der Rolle des Großvaters, Laura Obermair und als Maria Rettenstein und deren „gehörnter“ Freund Peppi Gippel (ein wiederkehrendes Thema), gespielt und gesungen von Sascha Zarrabi aus, wer die schönsten Momente in den nicht wirklich homogenem Abend setzen durfte. Gerade die Beziehung von Peppi und Maria, eigentlich eine Nebenhandlung, ist interessant, da sie mehr Tiefgang hat, als das Spiel der beiden Ahnungslosen, die aufkeimende Liebe von Johannes A. und der im zweiten Akt zugereisten „Großstadt-Aphrodite“ Simona Nowak. In der Rolle von letzterer hat Laura Schneiderhahn sowohl mit einer eigenen musikalischen Identität, die nach Jazz, Urbanität und Andersartigkeit klingen soll, als auch mit den ungelenksten Texten des ganzen Stückes zu kämpfen. Die Darbietung hat etwas Holpriges, doch das ist wohl nicht der Sängerin anzukreiden. Die Beziehung erleben wir als Missverständnisse die sich abseits der Bühne ereignen und als Aussprache, die sich mit Social-Media-Referenzen in die Länge zieht. Chemie ist da leider fast keine zu spüren.
Ins kleine Dorf soll dann ja aber auch noch der große Fußballverein kommen, wir sehen das Spiel dann schlussendlich nur als Ergebnisticker zwischen Bühne und den italienischen Übertiteln (oder, bei Dialekt auf der Bühne, auch Standarddeutschen Übersetzungen) auf die Kulissen-Wolken projiziert, während zehn Kapellenmitglieder bei Saallicht in Dressen durch den Publikumsraum laufen. Dabei kann man auf den Ergebnisstand achten, wenn man selbst in diese Oper gehen möchte und einiges über das fußballerische Talent von Peppi Gipfel ablesen, was nur zwischen den Zeilen steht. Am Ende, kurz nach dem Spiel geht dann wieder alles schnell und die Handlung wird zusammengepackt und mit positiven Aussichten für ein Dorf, das sich in der Öffnung befindet, zwei Lieben und Gemeinschaft zu Ende gebracht. Die Parabel darauf, was eine Gruppe gemeinsam schaffen kann, das dem Einzelnen misslingt, stolpert ein wenig über die Größe des Projekts: Zu viele (über 100 Mitwirkende waren am Werke) wollen gehört werden, oder auch ihren stillen Anteil an der Aufführung haben. Dass Pop dabei früher dem Radio und heute den Streaming-Diensten in seiner Länge angepasst wurde und wird, hätte man als Herausforderung annehmen können, um die Oper kompakter zu gestalten. Ein Popsong - man kann das Format mögen oder nicht - das sind drei Minuten Musik aus einem Guss. Mut, eine gemeinschaftliche Anstrengung die Respekt verdient und gute Momente, die dafür sorgten, dass man nie wirklich aus dem Geschehen ausstieg kann man „Blasmusikpop“ attestieren. Wirklich mitreißend ist das Drama um Anthropologie, Dorfliebe und einen Fußballplatz allerdings auch nicht geworden.