Kultur | Toblacher Gespräche

Die ökologische Konversion von unten

Karl-Ludwig Schibel, Koordinator der Toblacher Gespräche, über Wälder, Nachhaltigkeit und warum jede noch so kleine Veränderung zählt.

In Zusammenarbeit mit: Toblacher Gespräche

 

Vom 27.-29. September finden im Hochpustertal wieder die Toblacher Gespräche zu aktuellen Umweltthemen statt.

Das Thema ist heuer „Die Herrlichkeit und Drangsal der Wälder“; Experten und Interessierte aus aller Welt treffen sich in Toblach, um sich über neue wissenschaftliche Erkenntnisse auszutauschen und der Frage nachzugehen: Was können die Forstwissenschaft und –wirtschaft tun, um die Wälder vor dem Klimawandel zu schützen?

Karl-Ludwig Schibel ist Koordinator der Toblacher Gespräche, Soziologe und Präsident des Klimabündnisses Italien. Salto.bz hat ihn vorab interviewt:

Herr Schibel, worum genau geht es heuer bei den Toblacher Gesprächen?

Der wissenschaftliche Beirat der Toblacher Gespräche hatte bereits im Januar das Thema „Wald“ für dieses Jahr festgelegt, weil der Wald ein sehr wichtiger Bestandteil des alpinen Ökosystems ist. Seitdem wir das Thema entschieden haben, wird leider immer deutlicher, wie wichtig und wie bedroht der Wald ist: Brände in Sibirien, im Amazonasbecken, in Indonesien. Es ist die Rede vom „Walduntergang“, wie der Spiegel vorige Woche titelte. Das heurige Thema der Toblacher Gespräche ist also unseligerweise sehr aktuell.
Unser Ziel ist es, den Teilnehmern ein besseres Verständnis über den Wald als Ökosystem und seiner Rolle im Alpinen Raum zu vermitteln. Die zentrale Frage der Toblacher Gespräche ist immer die nach unseren Handlungsspielräumen als ökologisch bewusste Menschen. Es ist wichtig, dass man nicht nur Katastrophenszenarien zeichnet, sondern den Menschen auch Handlungsspielräume aufzeigt. Und zwar nicht nur im Hinblick auf das was man als Privatmensch mit dem eigenen Lebensstil bewirken kann, sondern auch auf das, was man als politisch handelnder Bürger und Akteur in der Öffentlichkeit tun kann.

 

Welches Zielpublikum sprechen sie an? Kommen bei so einem Kongress nicht vornehmlich diejenigen zusammen, die sowieso schon Wert auf Nachhaltigkeit und Umwelt legen?

Gewiss kommen zu den Toblacher Gesprächen diejenigen, die ohnehin schon an Ökologie interessiert sind, einen entsprechenden Lebensstil anstreben und vielleicht auch beruflich mit Umweltthemen zu tun haben. Und natürlich würden wir uns wünschen, dass zu der Veranstaltung auch Menschen kommen, die sich fragen, ob das mit dem Klimawandel nicht nur Panikmache ist; das wäre wunderbar, dann könnte man mit ihnen einen konstruktiven Austausch und Diskurs führen.

Aber der eigentliche Sinn der Toblacher Gespräche ist, diejenigen, die interessiert und engagiert sind, mit einem klareren Verständnis zum jeweiligen Thema – voriges Jahr war es Energiewende, heuer die Not des Waldes – und mit einem größeren Bewusstsein ihrer möglichen Rolle nach Hause zu schicken. Durch die Veranstaltung sollen die Teilnehmer sich noch mehr bewusst werden, was sie als Privatmensch in ihrem Freundeskreis und ihrem beruflichen Umfeld, aber auch als Bürger in ihrer Gemeinde vorantreiben können.

 

Im Privaten heißt das u.a. mehr Fahrrad fahren, weniger Fleisch essen, keine Plastikgegenstände kaufen, sparsam mit Wasser umgehen usw.. Aber was kann man als Bürger konkret tun, um eine Veränderung voranzutreiben?

Man kann zum Beispiel dem Stadtrat für Umwelt oder dem Bürgermeister in der eigenen Gemeinde eine Email schreiben und auf eine ehrgeizigere  Mobilitäts-, Energie- und Klimapolitik drängen, oder in der Betriebskantine in der eigenen Firma fordern, dass es jeden Tag mindestens ein fleischloses Gericht geben muss. Bei den Toblacher Gesprächen versuchen wir an den Alltag anknüpfend ein sogenanntes „Empowerment“ (engl. Ermächtigung) der Teilnehmer, sie zu ermutigen, mit ihrem Wissen auch in den verschiedenen Lebensbereichen zu handeln.

Wir sollten alle viel mehr Gebrauch von Kommunikationskanälen wie Email und sozialen Medien machen und immer wieder unsere Anliegen an die entsprechenden Stellen herantragen. Je mehr Feedback, Beschwerden, Sorgen von Seiten der Bürger und Konsumenten kommen, desto mehr Druck wird aufgebaut, dass sich was ändert. Hier geht es vor allem um die lokale Ebene, denn man kann viel eher beim Gemeinderat oder Bürgermeister konkrete Maßnahmen bewirken und in Gang bringen als beim Minister oder Präsidenten.

 

Die „ökologische Konversion von Wirtschaft und Gesellschaft“, um die es bei den Toblacher Gesprächen geht, muss also von unten kommen? Braucht es nicht auch ein „Machtwort“ von oben und eine entsprechende Reglementierung der Wirtschaft?

Der Anstoß zu großen Umwälzungen und Veränderungen kommt immer von unten. Natürlich ist es wichtig, dass diese Impulse oben aufgenommen und in politisches Handeln umgesetzt werden, aber der Anstoß für sozialen und politischen Wandel ist in der Vergangenheit so gut wie immer von unten gekommen. So wichtig zum Beispiel die internationalen Klimakonferenzen auch sind, so setzen sie doch nur Rahmenbedingungen, die von der Wirtschaft, von der Politik und von jedem von uns aufgenommen werden müssen, wenn der Klimawandel verlangsamt werden soll. Lokal ist jeder von uns gefragt, konkret in seinem oder ihrem Umfeld zu handeln und den Wandel mitzutragen, sonst hat die ökologische Konversion keine Chance. 

Natürlich geht es auch bei der Umweltthematik um enorme Wirtschaftsinteressen und Machtfragen. Aber das heißt nicht, dass wir eine passive Haltung einnehmen dürfen im Sinne von „was ich mache, ist sowieso nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Solche Gedanken führen zu nichts und machen zusätzlich auch noch schlechte Stimmung. Die Frage könnte vielmehr sein: „Welchen Beitrag kann ich konkret leisten? “ und in einem Lebensstil münden, der beides bewirkt, eine bessere Umwelt und eine bessere Lebensqualität. Aber es geht nicht nur um einen Lebenswandel sondern auch um einen Kulturwandel. Jeder Fahrradfahrer mehr in der Stadt ist ein kleiner Schritt weg von der fossilen Kultur individuellen Kraftfahrzeugverkehrs und mit jedem Fahrrad mehr wird auch der politische Druck größer für eine menschenfreundliche Stadt mit nachhaltiger Mobilität. Wir sollten nicht darauf warten, dass die Gesetze geändert werden, sondern anfangen die Kultur zu ändern, und die ändert sich mit der Anzahl der Menschen, die eine neue „Mitweltkultur“ praktizieren. 

 

 

Was ist ihr Werdegang, wie kamen Sie dazu sich beruflich mit Umweltschutz und Klimawandel zu beschäftigen?

Ich bin Soziologe, mich interessieren die Strategien einer ökologischen Konversion, ganz in der Tradition von Alexander Langer, Europaabgeordneter aus Südtirol, der 1995 verstorben ist. Mein Interesse an den Umweltthemen hat sich aus einem Interesse für soziale Themen entwickelt. Ich habe mich während des Studiums mit sozialer Ökologie befasst, habe Bücher des Sozialökologen Murray Bookchin, dem Begründer des sozio-ökologischen Denkens, übersetzt und ihn auf Vortragsreisen begleitet. Das war die Zeit, in der in Deutschland die Grüne Partei entstand, die aus der Bewegung der Atomkraftgegner hervorging. Mich interessierten immer schon die sozialen Aspekte der Ökologie und das brachte mich dazu 1975 mit einer Gruppe von einem Dutzend Personen eine Landkommune in Niederbayern zu gründen, das war unsere Form der Kontinuität der Bewegung der Sechziger Jahre. Andere aus der Bewegung gründeten marxistisch-leninistische Parteien, mir persönlich ein Greuel, noch andere gingen in die Betriebe, um dem Proletariat die Notwendigkeit zur Revolution zu vermitteln. Ich fand mich aber eher in dem Gedanken wieder, dass man im eigenen Lebensumfeld anfangen muss: wenn wir eine Gesellschaft wollen in der die Differenz zwischen Hand- und Kopfarbeit geringer wird, mit einer gerechten Arbeitsteilung, in der die Hierarchien tendenziell flach sind, in der Männer und Frauen die gleichen Rechte haben, dann müssen wir versuchen Elemente davon inmitten einer durch Hierarchie, Ungleichheit und Naturausbeutung gekennzeichneten Gesellschaft ein Stück weit zu verwirklichen. Ich schrieb zum Beispiel an meiner Dissertation, aber wenn ich Küchentag hatte, war ich den ganzen Tag am Herd und an der Spüle. 1982 sind wir dann als Gruppe nach Umbrien übergesiedelt; hier bin ich Mitglied in einer landwirtschaftlichen Genossenschaft und Klimaaktivist: wir haben 120 Schafe und stellen einen sehr wohlschmeckenden biologischen Pecorino her; neben meiner Tätigkeit im Klimabündnis bin ich im Moment dabei, einen Obstgarten anzulegen. Bis Ende des Jahres hoffe ich, ganz im Sinne der Toblacher Gespräche, mehrere Dutzend Obstbäume zu pflanzen.

 

Die Fridays-for-Future Bewegung hat sicherlich einen positiven Effekt auf die Wahrnehmung der Umweltproblematik gehabt, allerdings wurde die Medienaufmerksamkeit viel auch auf die Person Greta Thunberg gerichtet und so die eigentlichen Themen, die sie anspricht, bagatellisiert. Inzwischen sind viele überdrüssig und man muss befürchten, dass die Demonstrationen und die öffentliche Aufmerksamkeit langsam verebben. Wie kann man eine solche wichtige Diskussion trotzdem weiterhin wachhalten?

Es gibt verschiedene Ebenen des Engagements. Bewegungen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion oder 350.org, geprägt von jungen Menschen, reizen viele zu Aussagen wie: „das sind ja nur Kinder, in 5 Jahren weiß kein Mensch mehr wer Greta Thunberg oder Fridays for Future waren“.

Dann gibt es die Ebene, auf der ich mich mit dem Klimabündnis der Städte bewege. Hier geht es um konkrete Klimapolitik: Verkehr, Abfall, Energieproduktion und -effizienz. Auch hier könnte man sagen: „das bringt ja nichts, denn selbst wenn der CO2 Ausstoß der europäischen Städte zurückgeschraubt wird, was ist das schon im Vergleich zu Chinas CO2 Emissionen, das muss auf globaler Ebene geregelt werden“.

Und wenn dann auf höchster institutioneller Ebene die jährliche globale Klimakonferenz stattfindet, sagen manche: „das ist nur ein Zirkus, die fliegen um die Welt, verschwenden Geld und es kommt ja doch nichts dabei heraus“. Was ich sagen will ist: wir dürfen nicht erlauben, dass diese Ebenen gegeneinander ausgespielt werden und wir uns so gegenseitig entmutigen. Es ist unrealistisch zu glauben, dass alles wie bisher weitergehen kann, aber es ist auch unrealistisch zu erwarten, dass alles von heute auf morgen auf die Maximalforderungen umgestellt werden kann. Wenn die CO2 Werte in einer Kleinstadt dank der ergriffenen Maßnahmen nur um 20% sinken, ist das vielleicht global nicht relevant aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung und bedeutet nicht zuletzt bessere Luft für die Bewohner dieser Kleinstadt. Irgendwo müssen wir anfangen, jedes bisschen hilft und ist ein Schritt in die richtige Richtung.