Gesellschaft | Schwangerschaftsabbruch in Polen

Von Frauen*, die auszogen...

...die Regierung das Fürchten zu lehren. Der 3. Oktober zeigt, dass Kämpfe um Frauen*rechte nicht abgeschlossen sind. Und dass Solidarität Unmögliches möglich macht.
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Foto: salto

Massen an Frauen* und solidarischen Männern* in Schwarz auf den Straßen - in Warschau, Lublin, Katowice, Białystok, Krakau und Poznan, aber auch solidarische Gruppen in Berlin, Kiev, in Städten der USA, in London, Wien und sogar in Nairobi: In Anlehnung an den isländischen Frauenstreik, der 1975 das Land lahmgelegt hatte, verließen am „schwarzen Montag" polnische Frauen* ihre Arbeitsplätze, um an den Protesten teilzunehmen. „No women, no kraj“, hieß es auf den Schildern und Transparenten - keine Frauen, kein Land. Und vielleicht das berühmteste Bild, verbreitet von Anja Rubik bereits am Tag vorher aus Paris:

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Tage später die große Überraschung: Nachdem selbst das EU-Parlament das Thema aufgegriffen hatte, erklärte die polnische Regierung ihre Kehrtwende. Nein, man werde das absolute Abtreibungsverbot nicht weiter verfolgen. Nein, die Regierung arbeite nicht an einem neuen Gesetzesentwurf diesbezüglich, stellte Regierungschefin Szydło bereits am Dienstag klar. Am Freitag im Parlament wurde der Entwurf letztendlich mit überwältigender Mehrheit abgelehnt: 352 Abgeordnete stimmten gegen den Entwurf, 58 dafür, 18 Mandatar_innen enthielten sich. Wer hätte das gedacht?

Als ich an jenem Montag zum Treffpunkt in der Varšuvos gatvė, der Warschauer Straße, in Vilnius, kam, war ich schon etwa 20 Minuten zu spät. Auch hier schlossen wir uns solidarisch #czarnyprotest, dem schwarzen Protest, an: Das von der polnischen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) geplante absolute Verbot des Schwangerschaftsabbruchs sollte dafür sorgen, dass selbst auf Inzest oder Vergewaltigung beruhende Schwangerschaften künftig ausgetragen werden müssen. Selbst die strafrechtliche Verfolgung von Frauen*, die eine Fehlgeburt erlitten haben, ist möglich. Und - anders als früher - wird nicht mehr ausschließlich die Person verfolgt, die die Abtreibung vorgenommen hat, sondern auch die betroffene Frau*.

In der der Varšuvos gatvė in Vilnius waren wir etwa 20 Personen, Frauen*, Männer* - eine recht gemischte Gruppe, (Erasmus-)Student_innen, Mütter mit Kindern, ungefähr ein Drittel Männer*, natürlich in Schwarz. Weitere Aktionen fanden vor der polnischen Botschaft statt. Ich war dennoch enttäuscht, dass in Polens Nachbarland nur so wenige demonstrierten. Das Medieninteresse war überproportional, die Stimmung dennoch gedrückt: Eine national-konservative Regierung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament - und wir wollten sie davon abhalten, ihre Gesetzesvorschläge umzusetzen?

Ich muss zugeben: Ich hatte nicht geglaubt, dass wir etwas ändern könnten. Die Massenproteste in Warschau, die es seit Sommer gab, hatten die Regierung nicht von ihrem Kurs abbringen können, internationale schlechte Presse hatte sie nie gescheut, genauso wenig die Konfrontation mit der EU. Nun haben wir das Schlimmste verhindert, wir alle gemeinsam. Am Montag waren wir in der Defensive - was können wir erst schaffen, wenn wir dabei bleiben?

Es gibt Tage, da scheint plötzlich alles möglich. Sogar die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes in Polen. 

Lesetipp: 
Ein sehr aufschlussreiches Interview über Reproduktionsrechte, Gleichbehandlung und die Auswirkungen rechter und konservativer Regierungen auf Frauen*rechte veröffentlichte kürzlich die Wienerin. 

Der Beitrag wurde ursprünglich auf easterneuropeantrails.wordpress.com veröffentlicht.