Gesellschaft | Bombenjahre

„Hier stimmt überhaupt nichts“

Der österreichische Militärhistoriker Hubert Speckner über sein neues Buch zu den angeblichen BAS-Attentaten am Pfitscherjoch, auf der Steinalm und der Porzescharte.
Speckner, Hubert
Foto: Wolfgang Stecher
Salto.bz: Herr Speckner, Sie stellen heute in Bozen ihr neues Buch über die Anschläge auf dem Pfitscherjoch, auf der Steinalm und auf der Porzescharte vor. Im Untertitel sprechen Sie von „merkwürdigen Vorfällen“. Was heißt das?
 
Hubert Speckner: Ich habe bereits ein Buch zum Vorfall auf der Porzescharte gemacht. Jetzt aber habe ich eine Reihe von neuen Erkenntnissen gesammelt. Vor allem durch die Zusammenarbeit mit Sprengstoffsachverständigen und auch mit Militärärzten, die also die offenbaren Verletzungen der Opfer analysiert haben. Diese neuen Erkenntnisse haben wir jetzt in Buchform vorgelegt. Außerdem werden im neuen Buch zusätzlich die beiden merkwürdigen Vorfälle auf der Steinalm und dem Pfitscherjoch im Jahr 1966 beleuchtet.
 
Ihre Grundthese dabei: Alle drei Attentate waren keineswegs Anschläge des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS), sondern Operationen der italienischen Nachrichtendienste?
 
Das kann man nicht so einfach sagen. Denn es gibt verschiedene Szenarien. Nehmen wir das Pfitscherjoch, wo im Mai 1966 der Finanzer Bruno Bolognesi ums Leben kommt. Das ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Gasexplosion. Der Vorfall auf der Steinalm im September denselben Jahres, wo drei Finanzer sterben, ist augenscheinlich ebenfalls ein Unfall. Dabei wurde eine Frage bis heute bewusst nicht geklärt. Wer war der Verursacher?
 
Es geht hier nicht um ideologische oder politische Vermutungen oder Beurteilungen, sondern die Untersuchungen beweisen, dass es sich bei diesen drei Ereignissen zumindest um „merkwürdige Vorfälle“ handelt.
 
 
 
Offiziell war es ein Anschlag für den Jörg Klotz, Alois Larch und Alois Rainer in der Berufungsverhandlung in Mailand verurteilt wurden?
 
Das stimmt. Interessanterweise bei der ersten Verhandlung in Mailand gibt der Staatsanwalt dem getöteten Südtiroler Finanzer Herbert Volgger im Großen und Ganzen die Schuld. Es dürfte sich mit einiger Sicherheit aber auch hier um einen Unfall handeln. Ein unbeabsichtigter Schuss in eine Kiste aus 64 Handgranaten. Das wurde bereits damals vor Gericht debattiert und wird heute in den Gutachten unserer Sprengstoffsachverständigen einwandfrei bestätigt. Zugleich ist aktenkundig, dass die Gasflaschen, die die Finanzer sowohl am Pfitscherjoch als auch auf der Steinalm verwendet haben, nicht dicht waren. Die waren innerhalb von drei Tagen leer. Dazu gibt es entsprechende Aussagen. Was für uns die Explosion auf dem Pfitscherjoch erklärt.
 
Sie sagen der Tod Bolognesis ist auf eine Gasexplosion zurückzuführen?
 
Ja. Denn die Schäden, die am Pfitscherjoch-Haus entstanden sind, sind ganz eindeutig nicht durch eine Sprengung verursacht. Dabei ist eines auch interessant. Ich habe im Buch die offiziellen Tatortfotos vom Pfitscherjoch abgebildet. Sie stammen aus dem Archiv des österreichischen Entschärfungsdienstes in Wien, der sie als Kopie von italienischen Behörden bekommen hat. Diese Fotos sind heute in ganz Italien nirgends mehr aufzutreiben. Auch das ist für mich kein Zufall, denn die Fotos beweisen eindeutig, dass es keine Sprengung war, sondern allenfalls eine Gasexplosion. Bei einer Sprengung hätte die Hütte ganz, andere Schäden, aber auch der Leichnam von Bruno Bolognesi würde völlig andere Verletzungen aufweisen.
 
 
 
 
Ihre Sachverständigen haben auch die Explosion auf der Steinalm nachgestellt. Sie kommen im Buch zum Schluss, Auslöser waren die 64 Handgranaten in einer Kiste. Diese These wurde in Mailand vor Gericht von den damaligen Sachverständigen verworfen?
 
Es war ein Schuss, der in die Kiste eingedrungen ist und die Explosion ausgelöst hat. Das ist technisch möglich. Bereits bei den ersten Prozessen in Mailand hat der österreichische Sachverständiger, Oberst Alois Massak, versucht, genau das nachzuweisen. Die italienischen Gutachter haben dagegengehalten, denn nur so konnten sie die BAS-Leute verurteilen. Doch das Gericht hat in erster Instanz die Angeklagten freigesprochen. Aufgrund der Massak-Gutachten. Erst in der Berufungsverhandlung 1976 - hier ist Massak nicht mehr dabei - hat man das Ganze dann gedreht. Wobei man eines sagen muss: Der italienischen Hauptsachverständiger war in allen diesen Fällen Teonesto Cerri, der Jahre später seine Karriere abrupt beenden musste, weil ihm einwandfrei nachgewiesen werden konnte, dass er im Auftrag der Nachrichtendienste Beweismaterial unterschlagen und manipuliert hat, um Linksextremisten Anschläge in die Schuhe zu schieben.
 
Bereits im ersten Buch haben Sie auf die Widersprüche und Merkwürdigkeiten in der offiziellen Version des Anschlages auf der Porzescharte hingewiesen. Jetzt haben Ihre Sachverständigen auch diese angebliche Mienenexplosion nachgestellt. Hat sich ihre These dadurch erhärtet?
 
Ja absolut. Einer der Sachverständigen, der mit mir zweimal auf der Porzescharte war, hat die offizielle Version mit Dummies nachgesprengt. Dabei hat sich eindeutig herausgestellt, dass es so nicht gewesen sein kann. Dazu kommt die Expertise eines sehr renommierten Militärarztes des österreichischen Bundesheeres, der im Fall Kriegschirurgie habilitiert ist und der die Verletzung der Opfer und des einzigen Überleben analysiert hat. Das Ergebnis dabei ist sonnenklar: Alle Verletzungen stimmen nicht mit den angeblichen Tatverlauf überein.
 
 
 
Was stimmt nicht?
 
Ganz einfach ausgedrückt: Der Mann, der heute noch am Leben ist und bis heute wie ein Grab schweigt, müsste eigentlich mausetot sein. Denn laut offizieller Darstellung wäre er viel zu nah beim Explosionsherd gestanden. Genau das hat die Nachsprengung ergeben. Während jene zwei Opfer, die 50 oder 40 Meter weit weggeschleudert worden sind, von allen sprengtechnischen Grundlagen her, eigentlich noch am Leben sein könnten. Diese beiden Leichen sind total entstellt, aber auf der Vorderseite, während sie laut offiziellem Tathergang die Explosion angeblich von hinten getroffen hat.
 
Der Mann, der heute noch am Leben ist und bis heute wie ein Grab schweigt, müsste eigentlich mausetot sein.
 
Es gibt im volkstumspolitischen Bereich eine einflussreiche Gruppe, die seit Jahren zu den Bombenjahren ein neues, politisch motiviertes Narrativ kultiviert und fördert. Die Südtirol-Attentäter sind unschuldig, alle Anschläge bei denen Menschen gestorben sind, schiebt man den italienischen Geheimdiensten oder Gladio in die Schuhe. Muss man nicht auch ihr neues Buch in diese Bemühungen miteinreihen?
 
Nein, das sehe ich nicht so. Aus einem einfachen Grund: Wir legen klare Thesen auf den Tisch, die dann durch sprengtechnische und medizinische Grundlagen erhärtet werden. Es geht hier nicht um ideologische oder politische Vermutungen oder Beurteilungen, sondern die Untersuchungen beweisen, dass es sich bei diesen drei Ereignissen zumindest um „merkwürdige Vorfälle“ handelt. Denn hier stimmt überhaupt nichts. Das heißt: Die Personen, die angeblich am Tod dieser acht Menschen schuld sein sollen, können es nicht gewesen sein. Weder die Pusterer Buam können am Tod von Bruno Bolognesi schuld sein noch Jörg Klotz & Co für die Explosion auf der Steinalm. Auch die drei Attentäter um Peter Kienesberger können nicht für die Toten auf der Porzescharte verantwortlich sein. Das ist die Kernaussage des Buches.
Wir legen klare Thesen auf den Tisch, die dann durch sprengtechnische und medizinische Grundlagen erhärtet werden.
 
Der Schritt zur absoluten Reinwaschung des Südtiroler BAS bei allen tödlichen Anschlägen ist damit nicht mehr weit?
 
Im Buch gehe ich ausschließlich auf diese drei Episoden ein. Allerdings erlaube ich mir eines schon anzumerken: Wenn man sich in den Bombenjahren alle Vorfälle mit Toten anschaut, dann gibt es keinen einzigen bestätigten Fall, wo man eindeutig sagen kann, wer wirklich der Täter war. Das ist schon beeindruckend. Das soll aber kein allgemeiner Freispruch oder eine kollektive Reinwaschung sein. Mir geht es darum, aufzuzeigen, was wirklich passiert ist. Wobei niemand, der sich ernsthaft mit dieser Zeit auseinandergesetzt hat, das Mitwirken des italienischen Nachrichtendienstes und des von ihm geführten Gladio-Netzwerkes bestreiten wird.
 
Der Fratelli D’Italia-Abgeordnete Alessandro Urzì hat jetzt den Vorschlag gemacht, erneut eine parlamentarische Untersuchungskommission zu den Südtiroler Bombenjahren einzusetzen. Wäre eine solche Kommission sinnvoll?
 
Absolut. Voraussetzung ist aber, dass sich die Untersuchungskommission wirklich vorurteilslos mit den Ereignissen und Beweisen befasst. Ich kenne die Protokolle der parlamentarischen Untersuchungskommission zu Gladio. Dort wird augenscheinlich, dass man die Aufklärung auf ganzer Ebene behindert und eingebremst hat. Vor allem aber muss man diese Anschläge ab 1965 in einem außenpolitischen Kontext stellen. Es ist Professor Rolf Steininger, der den Begriff des „Notenkrieges“ geprägt hat. Schaut man sich diese diplomatischen Noten an, wird deutlich, dass es damals Italiens darum ging, Österreich international zu diskreditieren, um Österreich aus seiner Schutzmachtrolle für Südtirol hinauszudrängen. Und das ist auch der politische Hintergrund dieser drei blutigen Vorfälle in den Jahren 1966 und 1967.