Chronik | Doping

Winnebacher Vorspiel

Der aktuelle Dopingfall um die österreichischen Langläufer hat weit mehr Querverbindungen nach Südtirol als bisher bekannt. Die Chronik einer Ermittlung.
Blutbeutel
Foto: upi
Es ist ein sehr diskreter bilateraler Polizei-Gipfel, der Mitte Juni 2014 in der Carabinierikaserne in Winnebach über die Bühne geht.
Drei führende Ermittler der Carabinierisondereinheit NAS kommen an diesem Vormittag aus Florenz und Trient. Aus Wien reisen hingegen zwei Beamte des Bundeskriminalamtes an. Es handelt sich um den Leiter und einen Mitarbeiter des „Criminal Intelligence Service Austria“, einer Abteilung, die sich mit den Bereichen „Doping, Pharmaceutical Crime and Match Fixing“ befasst.
Beim Treffen im Hochpustertal geht es nicht um illegales Wettspiel, sondern um Doping und Sportbetrug. Die italienischen und österreichischen Beamten tauschen an diesem Tag Ermittlungsergebnisse in einem Dopingfall aus. Dabei legt man in Winnebach auch das Organigramm eines illegalen Doping-Netzwerks auf den Tisch.
In diesem Netzwerk finden sich auch die Hauptpersonen der vergangene Woche geplatzten Blutdoping-Affäre um die österreichischen Langläufer. Etwa der Dopingarzt Mark Schmidt aus Erfurt oder der Kronzeuge in der Affäre Johannes Dürr. 
 
Sicher ist: Der Großteil der Erkenntnisse, die jetzt zu den aktuellen Razzien und Anklagen in Österreich und Deutschland geführt haben, waren bereits damals den Ermittlern bekannt.
Fünf Jahre lang hat man weiter ermittelt, bis man die Bombe mit den Verhaftungen in Seefeld während der laufenden nordischen Skiweltmeisterschaft vor einer Woche platzten ließ.
 

Der Schwiegersohn

 
Das Interesse der italienischen und österreichischen Dopingermittler konzentriert sich an diesem Junitag vor fünf Jahren vor allem auf eine Person: Johannes Dürr.
Der heute 32jährige Niederösterreicher Langläufer kann auf eine Sportkarriere mit Licht und viel Schatten zurückblicken. Johannes Dürr, der bei der Junioren-WM 2007 Vierter wurde, galt lange Zeit als große, österreichische Hoffnung. Durch Krankheiten zurückgeworfen, konnte der Wintersportler jahrelang die Erwartungen aber kaum erfüllen.
Aufhorchen lässt Johannes Dürr im Jänner 2013, als er bei der Tour de Ski Achter wird. In den Wochen danach schafft er in zwei Weltcup-Rennen eine Top-Ten-Platzierung. Doch Dürrs Karriere endet im Februar 2014 jäh. Während der Olympischen Winterspiele in Sotschi wird der Langläufer positiv auf EPO getestet. Dürr gesteht das Doping sofort. Wenige Tage vor dem Ermittlergipfel in Winnebach wird er für zwei Jahre gesperrt.
 
Zu diesem Zeitpunkt ist der Dopingsünder nicht weit von seinen Jägern entfernt. Denn Johannes Dürr heiratet 2013 Mirjam Taschler, Tochter der Südtiroler Biathlonlegende Gottlieb Taschler und Schwester des Biathleten Daniel Taschler. Das Paar hat ein gemeinsames Kind. Die Beziehung wurde Ende 2015 aber getrennt.
Johannes Dürr, der bei der Zollwache in Innsbruck arbeitet, wohnte zeitweise in Antholz. Den österreichischen Ermittlern erzählt Dürr, dass er das EPO in Österreich gekauft und nach Antholz mitgenommen und dort im Keller versteckt habe.
Lange plant Johannes Dürr sein Comeback für die WM in Seefeld. Doch dazu wird es nicht mehr kommen. Der ehemalige Langläufer schreibt zusammen mit dem Autor Martin Prinz das Buch „Der Weg zurück“ über Doping und Sport, das Mitte Februar 2019 erscheint. Vor allem aber gibt er sein Insiderwissen für die ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping“ preis.
Seine Aussagen sind laut Staatsanwaltschaft München der Auslöser für die „Operation Aderlass“, die Verhaftungen und Ermittlungen zum Blutdoping, die seit vergangener Woche die internationale Sportwelt erschüttern.
 

Antholzer Ermittlungen

 
Das Interesse der Carabinieri der NAS an Informationen zu Johannes Dürr hat einen präzisen Hintergrund. Im Frühsommer 2014 ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Bozen gegen Taschler-Schwiegersohn. Dürr ist von Anfang an in die Dopingaffäre um Daniel Taschler verwickelt.
Auslöser ist eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft Padua gegen den bereits wegen Doping verurteilten Sportarzt Michele Ferrari. Dabei kommt zu Tage, dass Ferrari 2010/11 auch engen Kontakt zu Gottlieb und Daniel Taschler hat. Ferrari hat Daniel Taschler behandelt. Die Ermittler glauben durch Abhörungen, einen Lauschangriff und Autobahndaten beweisen zu können, dass Taschler von Ferrari EPO bekommen hat.
Am Ende hielten diese Beweise. Gottlieb und Daniel Taschler sowie Michele Ferrari wurden 2016 vom Landesgericht und im November 2017 in der Berufung vom Oberlandesgericht zu bedingten Haftstrafen verurteilt. Das Kassationsgericht hob diese Verurteilungen aber im Juni 2018 wegen eines Formfehlers bei einem Lauschangriff auf. Das Verfahren muss nun vor dem Oberlandesgericht neu aufgerollt werden. Der Ausgang ist offen. Doch eines ist jetzt schon klar: Sollten die Verurteilungen bestätigt werden, sind die Straftaten inzwischen verjährt.
 
Bei Durchsuchungen in Antholz stoßen die Carabinieribeamten aber auch auf Johannes Dürr. Gegen den österreichischen Langläufer wird anfänglich auch ermittelt, doch dann wird das Verfahren archiviert und die Ermittlungsergebnisse werden den österreichischen Behörden zur Verfügung gestellt. Sie sind Teil jener Ermittlung, die in den vergangenen Wochen zu rund einem Dutzend Verhaftungen geführt haben.
 

Der Manager & der Arzt

 
Am Dienstag führt Armin Wolf für die ZIB2 ein langes Interview über den aufgebrochenen Dopingsumpf mit Stefan Matschiner. Der Linzer Sportmanager weiß, wovon er redet.
Matschiner absolviert eine erfolgreiche Karriere als Mittelstreckenläufer, bevor er sich als Sportmanager einen zweifelhaften Namen macht. 
Als bei den Olympischen Spielen 2006 in Turin ein Dopingskandal rund um das österreichische Langlaufteam unter Trainer Walter Mayer platzt, ist auch Matschiner vor Ort. Wenige Jahre später wird der Manager dann überführt. Matschiner, der intensive Kontakte zur Wiener Blutbank Humanplasma hatte, wurde von mehreren österreichischen Athleten beschuldigt, sie zum Blutdoping verleitet zu haben. 2010 wurde er deshalb zu 15 Monaten Haft verurteilt.
Beim Treffen in der Carabinierikaserne in Winnebach taucht vier Jahre später der Name Stefan Matschiner wieder auf. Die Beamten des Wiener Bundeskriminalamtes erläutern, dass man die Metadaten des Telefonverkehrs von Johannes Dürr ausgewertet habe. Dabei stieß man 2013/2014 verständlicherweise nicht nur auf regen Telefonkontakt mit der gesamten Familie Taschler, sondern auch mit Stefan Matschiner.
Die BKA-Beamten zeichnen in der Innichner Fraktion im Juni 2014 die Ermittlungsergebnisse nach. Nach dem Skandal um Walter Mayer habe Matschiner mit Dopinggeldern die gesamten Instrumente für die Bluttransfusion der Humanplasma abgekauft und zuerst ein Labor für Blutdoping in Österreich und dann in Budapest eingerichtet, wo das Ganze dann von der Polizei beschlagnahmt wurde. Als nach dem Prozess das gesamte Instrumentarium wieder freigegeben wurde, verkauft Stefan Matschiner die Gerätschaften nach Deutschland. „Das war ein Fehler“, spielt Matschiner im ZIB2-Interview diese Transaktion jetzt herunter.
 
Denn der Abnehmer war Mark Schmidt. Ein Sportarzt aus Erfurt, mit dem Matschiner jahrelang zusammengearbeitet hatte, der bereits seit Jahren in mehrere Blutdoping-Fälle verwickelt war und der jetzt zu einer der zentralen Figuren im aktuellen Skandal wurde.
Am 27. Februar 2019 wird der 45jährige Sportmediziner in seiner Praxis in Erfurt festgenommen. Die Polizei beschlagnahmt rund 40 Blutbeutel. Schmidt wird vorgeworfen in großem Stil Blutdoping bei Langläufern, Radfahrern und anderen Sportlern betrieben zu haben. Angeblich soll es Hunderte Kunden geben, die jeweils 5.000 Euro für die Behandlung gezahlt haben.
 

Dürrs Geständnis

 
Beim Treffen an der Grenze im Hochpustertal tauschen die Ermittler auch die Erkenntnisse zu Mark Schmidt aus. So hatte Johannes Dürr im Verhör erklärt, mit Schmidt nichts zu tun zu haben.
Inzwischen ist klar, dass der ehemalige Taschler Schwiegersohn gelogen hat. Denn Johannes Dürrs Position hat sich in den vergangenen Tagen entscheidend verändert. Aus dem Kronzeugen wurde ein Beschuldigter. Dürr wurde am Dienstag in Innsbruck festgenommen und nach mehreren Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt.
Nach Informationen der ARD-Sportredaktion hat Johannes Dürr im Verhör vor der Innsbrucker Staatsanwaltschaft gestanden, bis Ende 2018 weitergedopt zu haben. Und zwar mittels Bluttransfusionen von Mark Schmidt. Dürr gab im Verhör an, dass auf seinem Blutbeutel der Tarnname „Lucky Luke" stand.
2015, also mitten in den laudenden Ermittlungen um Daniel und Gottlieb Taschler, habe er sich vom Erfurter Sportarzt Blut abzapfen lassen und für Dopingzwecke deponiert. 2018 sei es dann mindestens dreimal zum Blutdoping gekommen. Schmidt hat bei Johannes Dürr im Sommer und im Oktober drei Transfusionen durchgeführt. Ausgerechnet mitten in den Dreharbeiten zur ARD-Dokumentation gegen Doping, wo Dürr den Saubermann spielt.
Auch die beiden überführten österreichischen Langläufer Max Hauke und Dominik Baldauf haben inzwischen erklärt, dass sie auf den Erfurter Sportarzt Mark Schmidt 2016 durch Dürrs Hinweis gekommen seien.
Demnach könnte es in diesem Skandal noch zu einigen Überraschungen kommen. Hoffentlich nicht auch in Richtung Südtirol.