Gesellschaft | INTERVIEW

Auf dem Lebensweg unterstützen

Simon Mariucci und Leopold Veronesi Vedovelli absolvieren den freiwilligen Landeszivildienst in verschiedenen Jugendtreffs und arbeiten im Bereich der Offenen Jugendarbeit. Warum sie diesen Weg ausgewählt haben und wie es ihnen geht, erfahrt ihr im Interview

Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Graffiti Workshop beim Jugendzentrum Loop. Simon Mariucci mit einigen Jugendlichen
Foto: Simon Mariucci
  • Bitte stellt euch zwei vor. Wer seid ihr und wie seid ihr dazu gekommen Zivildiener zu werden?

    Simon Mariucci: Ich komme aus Sand in Taufers und bin 2003 geboren. Ich habe die Technische Fachoberschule in Brixen, Fachrichtung Grafik und Kommunikation, gemacht. Nach der Matura bin ich sechs Monate durch Neuseeland gereist, um neue Erfahrungen zu sammeln. Da habe ich viele verschiedene Menschen kennengelernt und gesehen, dass ich mich gerne mit Menschen umgebe und verstanden habe, dass ich ein sozialer Mensch bin. Als ich zurückgekommen bin, wusste ich nicht genau, in welche Richtung es für mich weitergeht und bin dann durch Gespräche mit verschiedenen Menschen zum Entschluss gekommen, hier im Jugendzentrum Loop in Sand in Taufers meinen Zivildienst zu machen, weil ich unbedingt im Sektor der Offenen Jugendarbeit tätig sein wollte. Das Jugendzentrum habe ich schon gekannt, weil ich es selbst immer besucht habe. Ich bin seit Oktober 2023 hier und habe mich auch entschlossen, den Zivildienst auf 12 Monate zu verlängern, anstatt der geplanten acht Monate. Dadurch kann ich ein ganzes Jahr Jugendarbeit miterleben und auch noch das Sommerprogramm mitgestalten.  

    Leopold Veronesi Vedovelli: Ich komme aus Neumarkt und bin 2004 geboren. Ich habe das Kunstgymnasium besucht - in meiner Freizeit mache ich Leichtathletik. Nach meiner Matura war ich unsicher, was ich machen will. Ich hatte schon vorher vom Zivildienst durch Bekannte gehört, dass es etwas Schönes sei, um neue Erfahrungen zu sammeln. Am Anfang habe ich mich bei der Young Caritas beworben, aber am Tag nach meiner Bewerbung habe ich den Geschäftsführer vom Point getroffen, der mir über das Jugendzentrum einiges erzählt hat: ich war begeistert, weil es nicht nach einer monotonen Arbeit klang - das wollte ich absolut nicht. Ich bin seit Oktober 2023 im Point, ein Jugendzentrum, das drei Sitze hat: Neumarkt, Auer und Laag.

     

  • Leopold Veronesi Vedovelli im Portrait Foto: Leopold Veronesi Vedovelli
  • Was sind eure Aufgaben?

    Simon: Ich helfe bei der Organisation verschiedener Veranstaltungen. Dann mache ich auch sehr viel im Bereich der sozialen Medien, weil ich mich in diesem Bereich recht gut auskenne - ich habe viel Wissen im Bereich der Grafik und designe deshalb auch Plakate und Broschüren. Am meisten aber arbeite ich im Bereich der Beziehungsarbeit, eine Arbeit, bei der das Augenmerk auf dem Austausch mit den Jugendlichen liegt. Ab und zu arbeite ich auch im Büro. Die Jugendlichen, die zu uns kommen, sind hauptsächlich zwischen 12 und 16 Jahre alt und meistens spielen wir mit ihnen Spiele wie Tischfußball oder Tischtennis. Es gibt aber natürlich auch Jugendliche, die öfter kommen, mit denen man eine engere Beziehung aufbaut. Dann passiert es schon, dass sie das Gespräch mit einem suchen, einen um Rat fragen und jemanden zum Reden brauchen.

    Leopold: Die Jugendlichen, mit denen ich in Austausch und Kontakt trete, sind Mittelschüler. Auch ich leiste viel Beziehungsarbeit, wir reden mit den Jugendlichen und versuchen, für sie da zu sein. Dann organisiere ich auch einige Events mit. Eine zusätzliche Herausforderung: Zu uns kommen Jugendliche, die nur Deutsch oder nur Italienisch sprechen. Viele italienischsprachige Kinder haben Migrationshintergrund und da ist es sehr wichtig, auch ihre Lebensgeschichte zu verstehen, damit auch sie sich wohl fühlen. Es ist wichtig, dass man den Jugendlichen zuhört und über ihre Probleme offen redet. Wir müssen auch manchmal kleinere Auseinandersetzungen zwischen den Freundesgruppen lösen.

     

    Wie würdet ihr die Jugend beschreiben? Wie sind die Jugendlichen von heute, was sind ihre Schwierigkeiten?

    Simon: Das Jugendalter ist das Alter der Selbstfindung. Die Jugendlichen wissen oft noch nicht richtig, wo sie im Leben stehen oder wer sie sind. Sie suchen Antworten auf Fragen wie: „Wer bin ich eigentlich, was macht mich aus und was sind meine Stärken oder meine Schwächen?" Ich glaube, dass es ihnen gut tut, wenn sie bei uns sind und Neues kennenlernen und ausprobieren können. Die Jugendlichen können bei uns Grenzen austesten. „Was darf ich sagen und was nicht? „Was sind die Konsequenzen meiner Worte und Handlungen?" Das sind Fragen, mit denen sie sich auseinandersetzen. Wir zeigen ihnen dann diese Grenzen auf. Wir wollen sie nicht erziehen, dafür sind die Eltern zuständig, aber wir wollen ihnen eine gewisse Richtung aufzeigen.

    Leopold: Jugendliche im Mittelschulalter haben sehr ähnliche Probleme. Zusätzlich ist es eine Zeit, in der man viele Fehler machen kann und macht, eine Zeit, in der sich die Jugendlichen oftmals denken "Wieso habe ich das so gemacht?". Schule und Arbeit sind sehr große Themen, die ihnen durch den Kopf gehen. Wenn sie sich wohl fühlen, sprechen sie auch über ihre eigene Sexualität oder über zwischenmenschliche Beziehungen. Jugendliche wollen viel lernen und wissen und es ist schön, ihnen etwas mitgeben zu können. Sie suchen nach Perspektiven und wir können ihnen dabei helfen, diese zu finden. Allgemein ist es für mich schwierig, genau einzuordnen, wie die Jugend heutzutage ist. Ich finde ihren Wortschatz spannend. 

     

    Welcher ist euer Blick auf die Jugendarbeit? Was sind die positiven und negativen Aspekte?

    Simon: Besonders schön ist, dass die jungen Menschen zu einem kommen und sie etwas von einem mitnehmen können. Unser Ziel ist es, so viele Jugendliche wie möglich zu erreichen. Der Sektor der Jugendarbeit ist kein so einfaches Arbeitsfeld, wie es die Leute vielleicht meinen. Es gehört viel mehr dazu, als nur etwas Tischtennis zu spielen oder zu chillen. Es gibt Menschen, die sagen: "Ach, dir geht es ja gut, du tust den ganzen Tag gar nichts." Das stimmt nicht, diese Arbeit kann nicht jeder. Deshalb braucht es kompetente Begleiter*innen. Es ist wichtig, dass den Jugendlichen zugehört wird und dass man sich für sie interessiert. Wenn zuhause kein Interesse für bestimmte Themen gezeigt wird, für die sie brennen, sollten wir ein offenes Ohr haben. Das Positive ist also, die Möglichkeit, eine Beziehung mit Menschen aufzubauen und sie auf ihrem Weg zu begleiten und zu unterstützen. Dieses Arbeitsfeld ist deshalb sehr wichtig. Es gibt kaum Negatives, der Jugendarbeit fehlen aber leider oft die finanziellen Möglichkeiten, um all das umzusetzen.

    Leopold: Die Jugendarbeit ist eine sehr vielfältige Arbeit. Es gibt Routineaufgaben, aber eigentlich keinen Tag, der genau gleich ist.  Es ist schön, dass die Jugendarbeiter*innen die Jugendlichen in die Gesellschaft integrieren wollen und ihnen im Leben weiterhelfen wollen. Schwierig in der Jugendarbeit ist, dass man so viele Ideen und Hilfen für die Jugendlichen hat, die man gerne umsetzen würde, aber manchmal vielleicht zu große Schritte machen will. Ich denke oft, ich würde so gerne, so viel, in kurzer Zeit verändern, aber das ist natürlich nicht machbar. Auf die Projekte bezogen, haben wir z.B. oft extrem viele Ideen und können nicht immer alles konkretisieren. Eine weitere Schwierigkeit in der Jugendarbeit ist für mich, die Arbeit mit den Jugendlichen von meiner Freizeit zu trennen, da ich im gleichen Ort lebe und arbeite und ihnen deshalb oft außerhalb der Arbeitsstunden begegne. 

     

  • Simon Mariucci, Zivildiener im Jugendtreff Loop, Sand in Taufers Foto: Simon Mariucci
  • Ihr bekommt 450 Euro pro Monat, diese Spesenrückvergütung vermittelt euch das Netz. Was ist eure Meinung dazu?

    Simon: Ich bin grundsätzlich schon zufrieden mit der Spesenrückvergütung, aber es ist schon etwas wenig. Ich bin zum Beispiel nicht rentenversichert, weil das Gehalt mit Honorarnote ausgezahlt wird. Ich arbeite 30 Stunden pro Woche und wenn ich noch einen kleinen Nebenjob mache, habe ich kaum Freizeit - die 30 Stunden nehmen schon viel meiner Zeit ein. In der heutigen Zeit ist alles etwas teurer und mit 450€ kommt man einfach nicht über die Runden. Meiner Meinung nach ist diese Summe auch zu wenig im Vergleich zu dem, was wir leisten. Die Jugendarbeit ist ein anspruchsvoller und einer der wichtigsten Sektoren unserer Gesellschaft - wir haben viel Verantwortung und leisten auch dementsprechend viel. Es wäre schön, wenn man uns mehr entgegenkommen könnte. 

    Leopold: Da ich noch zuhause wohne und keine größeren Spesen habe, fühle ich mich nicht unter Druck gesetzt, noch mehr zu verdienen. Ich fände es aber schon gut, wenn die Summe etwas höher wäre, weil es dann auch für mehr Menschen attraktiv wäre. Der Zivildienst ist etwas Schönes. Er bietet dir die Möglichkeit, für einige Monate in die Arbeitswelt hineinzuschnuppern, man bekommt einen guten Einblick. Grundsätzlich habe ich den Zivildienst ausgesucht, um Erfahrung zu sammeln und nicht um zu verdienen, aber es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man ausgenutzt. Wenn das Land besser finanzieren würde, gäbe es sicher mehr Zivildiener*innen.

     

    Bildet ihr euch auch im Sektor der Jugendarbeit fort?

    Simon: Wir haben durch den Zivildienst die Möglichkeit, Fortbildungskurse zu besuchen. Wir hatten einen ganztägigen Erste-Hilfe-Kurs, einen "Kommunikations- und Konfliktmanagement" Workshop und einen Kurs über Suchtprävention und eine Einführung in die Arbeitswelt. Das ist wirklich interessant. Vom Jugendzentrum aus kann ich auch einige Kurse besuchen und mich weiterbilden. Es ist etwas sehr Schönes, dass man Unterstützung für die Weiterbildung bekommt. Zivildiener müssen eine gewisse Anzahl an Weiterbildungen machen.

    Leopold: Genau, wir haben Pflichtweiterbildungen, von denen Simon bereits gesprochen hat. Es gibt viele verschiedene Fortbildungen, die auch vom netz | Offene Jugendarbeit ausgehen, zum Beispiel über Sexualaufklärung. Ich habe noch nicht sehr viel gemacht, aber das Angebot ist sehr cool. 

  • Die Jugendlichen feiern im Jugendzentrum Point gemeinsam Halloween. Foto: Leopold Veronesi Vedovelli
  • Und wie schaut eure Zukunft aus?

    Simon: Sei es im Lebenslauf, als auch in der persönlichen Erfahrung bringt der Zivildienst einem sehr viel, es ist eine Bereicherung für die eigene Karriere, weil man auch eine sehr praktische Arbeitserfahrung hat. Ich würde gerne soziale Arbeit oder Psychologie studieren, ich weiß es noch nicht. Wahrscheinlich zieht es mich wieder in die Jugendarbeit zurück, aber bis dato ist noch alles offen. 

    Leopold: Ich würde schon sehr gerne studieren. Höchstwahrscheinlich werde ich soziale Arbeit studieren, aber eher in Richtung Sozialpädagogik in Wien. Die Arbeit als Jugendarbeiter gefällt mir sehr gut, und wahrscheinlich werde ich auch wieder in diesem Sektor arbeiten. Es ist so schön, mit Menschen zu arbeiten und zu sehen, wie sich diese verändern. Es ist bereichernd, ihnen die Hand zu reichen und zu sagen "Ich begleite dich jetzt auf deinem Lebensweg".

     

    Ein Interview von Julia Lardschneider