Chronik | Affäre

„Thanks Thomas“

Die gehackten Emails belegen, wie eng der IAAF-Manager Thomas Capdevielle und der von Alex Schwazer schwer belastete FIDAL-Arzt Giuseppe Fischietto zusammenspielen.
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Foto: upi
Es dauert genau acht Minuten bis zur Antwort.
Um 18.44 Uhr des 21. Februar 2017 verschickt der oberste Antidoping-Manager des internationalen Leichtathletikverbandes (IAAF) Thomas Capdevielle eine Mail. Der kurze Text:
 
„Dear Giuseppe, 
See attached an electronic version of the CAS award (on merits) with respect to the case of Alex Schwazer.
Best Regards
Thomas“
 
Als Anhang zur Mail findet sich ein 47 Seiten langes Dokument des „Court of Arbitration for Sport“ (CAS) in Lausanne. Es handelt sich um das Urteil im Schiedsgerichtsverfahren „CAS 2016/A/4707 Alex Schwazer versus IAAF, NADO ITALIA, FIDAL & WADA“.
Nach der positiven Dopingprobe war Alex Schwazer kurz vor den olympischen Spielen gesperrt worden. Der Südtiroler Olympiasieger wandte sich gegen diese Sperre an das internationale Sportschiedsgericht in Lausanne. Der Sportgerichtshof wies am 11. August 2016 den Rekurs Schwazers ab und bestätigte die achtjährige Sperre wegen Dopings.
Das schriftliche Urteil des Schiedsgerichtes wurde aber erst am 30. Jänner 2017 in Lausanne hinterlegt. Knapp drei Wochen später schickt Thomas Capdevielle diesen Schiedsspruch an eine private italienische Mail-Adresse.
Genau acht Minuten später, um 18.52 Uhr kommt die Antwort.
 
„Thanks Thomas.
Meet you soon.
Giuseppe.“
 
Es ist ein vom Inhalt her nichtssagender Wortwechsel. In Wirklichkeit aber macht auch dieser unschuldige Nachrichtenaustausch deutlich, wie generalstabsmäßig eine Reihe von internationalen Sportfunktionären in der Affäre gegen Alex Schwazer zusammenspielen.
Denn hinter „Giuseppe“ verbirgt sich ein italienischer Sportarzt und Funktionär der „Federazione Italiana Di Atletica Leggera (FIDAL), der von Alex Schwazer schwer belastet wird und sich derzeit in einem Strafprozess vor dem Landesgericht Bozen verantworten muss: Giuseppe Fischietto.
 

Der Prozess

 
Nach seinem Dopingvergehen 2012 ging Alex Schwazer im Strafverfahren einen Vergleich und eine Schuldzumessung (patteggiamento) ein. Gleichzeitig aber packte er als Kronzeuge aus.
Sein Trainer Sandro Donati hat schon vor eineinhalb Jahrzehnten aufgedeckt, dass im italienischen aber auch im internationalen Spitzensport das illegale Dopingsystem nur deshalb floriert, weil Doping von maßgeblichen Funktionären in den Verbänden geduldet wird. Im Klartext: Man schaut bewusst weg.
Alex Schwarzer füllt dieses System vor dem Staatsanwalt mit Namen und Fakten.
Der Kalcher Geher sagt aus, dass er zwar aus freien Stücken mit dem Doping begonnen habe, dann aber den Sportarzt und FIDAL-Funktionär Pierluigi Fiorella selbst über seine Vergehen informiert habe. Informiert waren - laut Schwazer - aber auch der Leiter der Antidoping-Stelle der FIDAL Giuseppe Fischietto und die Leiterin des technischen Bereichs, Rita Bottiglieri. Offiziell für den Kampf gegen Doping zuständig, schauten alle drei aber weg.
 
Der frühere Bozner Oberstaatsanwalt Guido Rispoli und sein Nachfolger Giancarlo Bramante leiteten 2013 ein Ermittlungsverfahren ein. Telefonabhörungen, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen ergaben weitere Beweise, die die drei FIDAL-Funktionäre schwer belasten. 2015 wird am Bozner Landesgericht das Hauptverfahren eingeleitet. Die Anklage gegen das Trio lautet auf „Beihilfe zum Sportbetrug durch Mitwissen“.
Der Prozess ist derzeit vor Richterin Carla Scheidle noch im Gang. Alex Schwazer hat seine Aussagen im Gerichtssaal bestätigt. Während Giuseppe Fischietto im Zeugenstand alle Vorwürfe vehement bestreitet.
 

Russen und „Crucchi“

 
Giuseppe Fischietto ist aber nicht nur ein FIDAL-Spitzenfunktionär, sondern auch Mitglied der höchsten medizinischen Antidoping-Kommission der IAAF.
In dieser Rolle scheint der Arzt auch internationale Dopingvergehen geduldet zu haben. Das legen Beweisstücke nahe, die im Laufe des Bozner Ermittlungsverfahrens zu Tage kamen.
Als die Bozner Staatsanwaltschaft völlig überraschend die Computer Fischiettos beschlagnahmt, findet man auf den Datenträgern auch Datenmaterial von Dutzenden internationalen Spitzensportlern, deren Werte und Blutbilder Doping nahe legen. Darunter eine ganze Gruppe russischer und türkischer Sportler. Damit dringt man unbeabsichtigt in das geschützte und diskrete Reich der IAAF vor.
Am Abend des 18. Juni 2013 schneiden die Ermittler der Carabinierisondereinheit ROS ein Telefongespräch Fischiettos mit einem Bekannten mit. Auszug aus dem Abhörprotokoll:
Der frühere Bozner Oberstaatsanwalt Guido Rispoli hat bestätigt, dass die auf Giuseppe Fischiettos Computern sichergestellten Daten inzwischen zu wichtigen Beweisstücken in einem internationalen Ermittlungsverfahren wegen Dopings gegen russische Sportler und dem russischen Verband geworden sind.
Wie sehr Giuseppe Fischietto aber seinen Ankläger Alex Schwazer hasst, wird aus einem anderen Telefongespräch deutlich. Am 18. Juni 2013 ruft Fischietto seine Mitangeklagte Rita Bottiglieri an. Der Wortlaut des Gespräches:
 
Mit Kostner ist die Grödner Eiskunstläuferin Carolina Kostner gemeint, die langjährige Freundin von Alex Schwazer.
 

Zeuge Capdevielle

 
Im Bozner Strafverfahren tritt ausgerechnet auch jener Mann auf, der an diesem Februartag die Mail verschickt. Thomas Capdevielle ist einer der Entlastungszeugen für Pierluigi Fiorella und Giuseppe Fischietto im Bozner Prozess.
Gleichzeitig aber nimmt Capdevielle auch eine zentrale Rolle bei der zweiten Überführung von Alex Schwazer als angeblichen Dopingsünder ein.
Die Urinprobe Schwazers, am Neujahrstag 2016 in Kalch genommen, wird wenig später in Köln analysiert. Der Befund: Negativ. Erst knapp 80 Tage später wird auf ausdrückliche Anordnung von Thomas Capdevielle die Probe erneut aus dem Kühlschrank im Kölner Labor geholt und einem Spezialverfahren unterzogen. Es ist jener positive Dopingtest, der zur Sperre von Alex Schwazer führt.


 
Dieser Paukenschlag passiert genau in dem Moment, als der Strafprozess gegen Giuseppe Fischietto am Bozner Landesgericht in die entscheidende Phase geht.
Die positive Dopingprobe Schwazers bewirkt einen deutlichen Kollateralschaden. Alex Schwazer soll öffentlich diskreditiert und damit auch seine Aussagen unglaubwürdig gemacht werden, die die FIDAL-Funktionäre schwer belasten.
Alles nur Zufall?
 

Lausanner Urteil

 
Wie sehr Thomas Capdevielle und Giuseppe Fischietto zusammenspielen, wird in den jetzt geleakten Mail nochmals deutlicher.
Am 30. Jänner 2017 gibt der „Court of Arbitration for Sport“ (CAS) in Lausanne das Urteil heraus, mit dem das Sport-Schiedsgericht Schwazers Rekurs abweist. Der Schiedsspruch wird den Parteien zugestellt. Sie haben die Möglichkeit innerhalb einer Woche auf Fehler im Urteil hinzuweisen oder Berichtigungen zu fordern.
Am 13. Februar schreibt der IAAF-Anwalt Ross Wenzel, der zu diesem Zeitpunkt gerade damit beschäftigt ist, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Proben Schwazers aus Köln nach Parma ausgeliefert werden, an Thomas Capdevielle:
 
„By the way, I think we can assume now that the Award can be made public. I have heard from CAS that no requests for redaction have been made (somewhat surprisingly).“
 
Acht Tage später schickt Thomas Capdevielle dann das Lausanner Urteil ausgerechnet an Giuseppe Fischietto. Einen Arzt, der wegen Beihilfe zum Doping in Bozen vor dem Richter steht.
Der Kronzeuge im Prozess ist zufällig der Mann, der im Schiedsspruch unterlegen ist: Alex Schwazer.