Kultur | Salto Afternoon

Malcolm & Marie

Netflix sperrt zwei Menschen in ein nobles Haus. Dort wird geredet, gestritten und geliebt. Während des Corona-Lockdowns gedreht ist dieser Film Zeitgeist in Reinform.
Malcom & Marie
Foto: Netflix

Es ist ein Dilemma mit der Zwischenmenschlichkeit. In einem Moment liebt man sich, im nächsten wirft man mit Worten der Boshaftigkeit um sich, wieder im nächsten schmollt man und letzten Endes liegt man sich mit Tränen in den Augen im Arm.

Malcolm und Marie sind zwei Menschen, die ein Lied davon singen können. Er ist ein Filmemacher und sie seine Muse, doch das will er selbst nicht so recht zugeben. Die beiden kommen zu Beginn des nach seinen Protagonisten benannten Films von einer Premiere nach Hause. Es ist Malcolms großer Abend, sein Debütfilm wurde endlich vor einem Publikum aufgeführt, und die Reaktionen sind überschwänglich. Er wird mit Spike Lee und Barry Jenkins verglichen, eine Ehre, mit der er selbst nicht gerechnet hat. Doch Marie, seine Geliebte, scheint verstimmt. Er hat sie in seiner schier endlosen Aufzählung von Personen, denen er zu Dank verpflichtet ist, nicht erwähnt. Dabei war sie doch das Vorbild für die Hauptfigur von Malcolms Film, so zumindest behauptet es Marie. Malcolm bestreitet, dass die drogenabhängige Protagonistin von Maries Leben inspiriert ist, und es entbrennt eine hitzige Diskussion, nur die erste von noch so einigen in dieser Nacht. Wir als Zuschauer sind hautnah dabei, wenn sich Malcolm und Marie mit Worten in der Luft zerfetzen. Sie machen dem anderen Vorwürfe, konfrontieren ihn oder sie mit ihren Nachlässigkeiten und Fehlern und den kleinen Schönheitsfehlern in ihrer scheinbar perfekten Fassade.

Gespielt werden die beiden sich liebenden Streithähne von John David Washington und Zendaya. Ersterer ist der Sohn von Denzel Washington, doch mittlerweile längst dessen Schatten entkommen, zweitere ist eine aufstrebende Schauspielerin und Sängerin, die in den letzten Jahren immer wieder in diversen Produktionen in Erscheinung trat, und zuletzt vor allem in der preisgekrönten Serie „Euphoria“ glänzen konnte. Beide Darsteller spielen sich in ihrem aktuellen Film gegenseitig an Wand, wenngleich Zendaya mit ihrem minimalistischem Spiel dann doch die Nase vorne hat. Mit eindringlichen Blicken und trotz des deutlich reduzierteren Dialogs im Vergleich zu ihrem Spielpartner schafft sie es, jede Einstellung für sich zu erobern. Es tut weh, mit welcher Konsequenz sich die beiden Figuren niedermachen, und jede kleine Versöhnung tut gut, ist jedoch stets mit dem Wissen verbunden, dass die Harmonie nur von kurzer Dauer ist. Dennoch lieben sich die beiden, und diese innige Verbundenheit scheint immer wieder durch. „Malcolm & Marie“ ist ein Kammerspiel, und also solches ein Dialogfilm durch und durch. Diese Dialoge sind zumeist gut und authentisch geschrieben, insgesamt krankt das Drehbuch jedoch an einigen Längen und Durchhängern. Die besten Szenen sind jene, in denen Schweigen herrscht, in denen sich die Figuren nur mustern oder umgekehrt dem suchenden Blick des anderen ausweichen. Das Unausgesprochene ist wesentlich interessanter als die endlosen Monologe Malcolms, die tieftraurigen Reden Maries, oder das Geschrei beider, zwischen Käse-Makkaroni und atmosphärischem Jazz aus der Stereoanlage.

 

Malcolm & Marie | Official Trailer | Netflix

 

Gefilmt ist all das in wunderschönem Schwarz-Weiß, auf 35-mm, was ein deutliches Bekenntnis zum Kino in seiner traditionellen Form ist. Ironisch, dass es sich hierbei um den Film eines Streaming-Dienstes handelt. Regisseur Sam Levinson hat überhaupt größtes Interesse, seine Sicht auf die Filmindustrie darzulegen. Er tut dies durch den Mund von Malcom, der zugleich begeisterter Filmemacher und voller Verachtung für die Branche ist. Besonders sauer stößt ihm das Verhalten der Kritik auf, die besonders schwarze Autoren wie er es einer ist, nur zu gern auf die politische Schiene drängt. Ein nicht-weißer Künstler kann unpolitische Kunst machen, so Malcolm. Er hat damit natürlich recht, und das meiste von dem was Malcolm im Rausch von sich gibt, ist lobenswert und ihm kann zugestimmt werden. Dennoch übertreibt es Levinson in seiner ach so noblen Haltung. Er wehrt sich durch Malcoms Angriff auf die Filmkritik natürlich im selben Moment gegen jene, die sich nun mit „Malcolm & Marie“ beschäftigt. Etwas mehr Feingefühl und Subtilität wären an dieser Stelle angebracht gewesen.

So bleibt „Malcom & Marie“ ein recht deprimierender Film, weil er von einer von Ambivalenz geprägten Beziehung zweier kaputten Menschen erzählt, ein Film, der zu viel will, und dies zu laut tut, der aber dennoch sehenswert ist und allein wegen seiner Schauwerte und der hervorragenden Darsteller einen Blick wert ist.