Gesellschaft | 8. März Weltfauentag

Bauprojekt: Gleichberechtigung

Architektur, ein Männerberuf? Ein längst veraltetes Konzept, das Vorurteile hinterlässt - die Architektinnen Katharina Volgger und Dora Aichner im Gespräch über inklusives Arbeiten, weibliche Repräsentation und Wandel in der Architekturbranche.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Frauenmarsch Donne in Marcia
  • SALTO: Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede können Sie als Architektin am  Arbeitsplatz wahrnehmen?

    Katharina Volgger: Um diese Frage beantworten zu können, finde ich es sinnvoll, in die Geschichte zurückzublicken, denn vielen heutigen Dynamiken geht die Tatsache voraus, dass Frauen, wie auch andere marginalisierte Gruppen, Jahrhunderte lang strukturell nicht gleichberechtigt waren. Die Auswirkungen dieser historischen Ungleichberechtigung prägen unsere Gesellschaft noch heute sehr stark. Das konnte ich nicht nur an meinen vergangenen Arbeitsplätzen beobachten, sondern mir ist klar, dass auch ich in gewissen Denkmustern verfangen bin, etwa durch meine Art zu sprechen. 

    Ausdruck dieser noch immer sehr präsenten Denkweise ist beispielsweise die Frage, ob ich denn Innenarchitektin sei, die mir am Anfang meiner Karriere oft gestellt wurde, weil diese Branche vielleicht stereotypisch mehr mit Weiblichkeit verbunden wird. Dabei kümmere ich mich nicht nur um Innengestaltung, sondern um Projekte, die vom Städtebau bis zum Türknauf reichen. 

    Dora Aichner: Ich habe vor allem am Anfang meiner Arbeits-Karriere geschlechtsspezifische Unterschiede im Umgang zwischen Männern und Frauen festgestellt, besonders auf der Baustelle. Es war für viele ungewohnt, dass eine Frau als Architektin auf die Baustelle kommt. Im Laufe der Zeit hat sich das relativiert und im Moment empfinde ich keine großen Unterschiede mehr – vielleicht bin ich es mittlerweile gewohnt, bestimmte Reaktionen zu sehen, oder ich nehme diese vielleicht gar nicht mehr wahr. Ich habe jetzt das Gefühl, dass mein Geschlecht am Arbeitsplatz gar nicht von Bedeutung ist. Das hat bestimmt damit zu tun, dass auf den Baustellen jetzt mehr Frauen arbeiten.

    Dora Aichner

    Geboren 1957 in Bruneck, studierte sie an der TU Graz Architektur und arbeitete im Anschluss im Büro Franz & Gamper in Bruneck. Es folgte von 1989 bis zum Jahr 2000 eine Bürogemeinschaft mit Kurt Egger, die sich zur Gemeinschaft egger>aichner>seidl entwickelte. Seit 2003 leitet sie gemeinsam mit Werner Seidl das Architektenbüro aichner_seidl, außerdem sammelte sie Erfahrungen als Landessachverständige in verschiedenen Baukommissionen. Von 2009 bis 2013 bekleidete sie das Präsidentenamt der Kammer der Architekten und Landschaftsplaner der Provinz Südtirol.
    Weitere Informationen sind auf der Webseite http://www.as-architekten.it/it/Inoltre.html verfügbar. 

    Foto: Architektin Dora Aichner (Foto: Dora Aichner)
  • Der geschlechtsspezifische Unterschied besteht jedoch in und auch außerhalb der Arbeitswelt leider nach wie vor. Unsere Gesellschaft hängt immer noch an traditionellen, sozio-kulturellen, durch Kirche (nur Männer) und Staat (zum Großteil Männer) geprägten Geschlechterrollen fest, die die Frauen stark benachteiligen. Diese Ungleichheit taucht immer wieder auf und ist nur sehr mühsam abzutragen. Und in vielen anderen Kulturkreisen ist diese diskriminierende Rollenverteilung noch wesentlich stärker ausgeprägt und vorhanden.

    Kann man diesbezüglich einen Wandel feststellen, der im Laufe der Jahre stattgefunden hat? Haben sich bestimmte Haltungen seit Ihrem Karrierebeginn verändert?

    Katharina Volgger: Die Diskussion zur Chancengleichheit hat in den letzten Jahren bestimmt extrem Auffahrt genommen. Es ist ein sehr wichtiges Thema, das auf mehreren Ebenen diskutiert und weitergeführt werden muss, so auch in der Architektur, denn es ist vereinzelt immer noch ein bisschen in den Köpfen der Menschen verankert, dass es sich dabei um einen Männerberuf handelt. 

    Ich muss sagen, dass ich mir während meiner Ausbildung eigentlich wenig Gedanken über Themen wie die Chancengleichheit gemacht habe, auch medial war die Diskussion nicht so ausgeprägt wie heute.  Als ich dann angefangen habe zu arbeiten, selbständig zu schaffen und an zwei verschiedenen Universitäten zu lehren, ist mir in der Berufspraxis jedoch schnell aufgefallen, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen und bewusst Position zu beziehen. In erster Linie kann darauf geachter werden, was ich sage und wie ich michausdrücke, nicht nur im Hinblick auf Gender-Equality. Dabei denke ich, dass die jüngere Generation sehr reflektiert und bestimmt ist, wenn es um gesellschaftliche Themen geht und ich wünsche mir, dass ihr Einsatz nicht aufhört. Aus diesem Grund ist es auch wichtig, dass die ältere Generation sich teilweise zurücknimmt, die Ohren öffnet und eine Debatte zulässt, denn dieser Austausch ist sehr bereichernd. 

    Wenn ich den gesellschaftlichen Prozess von damals, als ich meine Karriere begonnen habe, bis heute betrachte und auch in die Zukunft blicke, stelle ich mir mittlerweile auch die Frage, welche Rolle ich als Architektin konkret habe und welche Positionen ich einnehmen muss; dabei geht es nicht ausschließlich um das Bauen und Gestalten, sondern eben auch um ökologische und sozio-ökonomische Fragen, die eigentlich in jedem Projekt von großer Bedeutung sind und meine Überlegungen und Gestaltungen beeinflussen müssen. Ich glaube, dass wir Architekt*innen in diesem Hinblick die Verantwortung haben, auf sozio-ökonomische Fragen wie die Gleichstellung der Geschlechter einzugehen, die außerdem sehr eng mit der Debatte um den Klimawandel verknüpft ist. Es geht nicht nur darum,  wer die Zukunft denkt, sondern auch um die Art und Weise, wie wir sie denken.

     

    Es geht nicht nur darum, wer die Zukunft denkt, sondern auch um die Art und Weise, wie wir sie denken.

     

    Wie konnte dieser Wandel Ihrer Meinung nach stattfinden?

    Dora Aichner: Gewohnheit – man hat sich langsam an Frauen in technischen Berufen und auf der Baustelle gewöhnt, Frauen sind in technischen Berufen immer öfter anzutreffen.  Diese Tatsache ist sicher ein Faktor, der sich positiv auf die Art und Weise auswirkt, wie Frauen am Arbeitsplatz wahrgenommen werden. Was zu meinem Karrierebeginn noch eine Seltenheit war, die für Verblüffung gesorgt hat, ist heute kein großes Thema und keine Ausnahme mehr. Durch die Zunahme der Frauen in Architektur- und Baubranche hat sich auch das gesamte Ambiente gewandelt und ist inklusiver geworden.

     

    Hatten Sie am Beginn Ihrer Karriere das Gefühl, sich beweisen und für Ansehen kämpfen zu müssen?

    Dora Aichner: Ich kann nicht von mir behaupten, dass ich kämpfen musste, aber es stimmt sicher, dass ich einiges aushalten musste, zum Beispiel habe ich auf den Baustellen häufig erlebt, dass mir hinterhergepfiffen wurde, was aber auch fern vom Arbeitskontext der Fall war. Es handelt sich also um ein Problem, das sich nicht auf die Architektur beschränkt. Diese Art von kleinen Vorkommnissen war schon präsent, ansonsten hatte ich persönlich nicht das Gefühl, mich irgendwie beweisen zu müssen.

  • Wie stellen Sie sich eine inklusive Arbeitswelt vor? 

    Katharina Volgger: Für mich geht es in einer inklusiven Arbeitswelt um die Zusammenarbeit, das gemeinsame Generieren von Wissen und um den Austausch. Es ist natürlich sehr viel einfacher, einen eigenen Lösungsweg vorzuschalgen, denn das gemeinsame Denken und Agieren schafft viel Diskussion, teilweise auch Konflikte zwischen Interessensgruppen. Trotzdem merke ich immer wieder, wie wichtig die Diskussion ist. Wenn ich an Urbanismus oder ‚Ruralismus‘ denke, also an Projekte, das viele Nutzer*innen einbezieht - denn wir alle benutzen die Stadt und das Land -  kann man interessanterweise feststellen, dass die gebaute Umwelt in der Vergangenheit fast ausschließlich von Männern errichtet wurde. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass es mehr Gemeinschaften gibt, die räumliche Konfigurationen konzipieren, nicht nur ein Individuum oder eine einzelne Interessentgruppe, die einen Masterplan errichtet und an die Spitze eines Personenkults gestellt wird. 

    Zuallerletzt geht es mir persönlich bei der Gender Equality auch nicht ausschließlich darum, ob ich als Frau eine Führungsposition bekleide oder ein eigenes Architekturbüro leite, sondern vielmehr darum, wie wir gemeinsam die Zukunft gestalten können, um komplexe Fragestellungen von morgen zu lösen. Deswegen lege ich meinen Fokus auf ein inklusives, kollaboratives Handeln, das ich auch in meinem Arbeitsalltag zu reproduzieren versuche, denn gemeinsam können wir uns gewissen Herausforderungen stellen und haben viel mehr Stärke. Durch kollaboratives Denken können Lösungsansetze von miteinander verknüpfte gesellschaftliche Probleme gefunden werden - das muss natürlich architekturübergreifend und genderübergreifend passieren. 

    Dora Aichner: Bestimmt ist in diesem Sinne der Unterschied zwischen den Gehältern von Männern und Frauen von großer Bedeutung, also wäre ein Ausgleich der sogenannten Gender Pay Gap ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Außerdem finde ich weibliche Präsenz am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft sehr wichtig - ich persönlich etwa war zunächst im Vorstand der Architektenkammer tätig und wurde im Anschluss gebeten, dieser als Präsidentin vorzustehen. Das Präsidentenamt ist sehr mühsam und mit viel Arbeit verbunden, doch ich habe es trotz dieses Wissens angenommen, und zwar in gewissem Maße für alle Frauen. Ich glaube, dass wir Frauen in dem Moment, in dem wir die Möglichkeit haben, in unserer Gesellschaft und in der Berufswelt ganz vorne zu stehen, nicht weglaufen dürfen, sondern diese Gelegenheiten nutzen müssen. Es war also auf eine Art eine Entscheidung zur Wertschätzung der Frauen. Dieses Thema ist mir im Gespräch über geschlechtsspezifische Unterschiede sehr wichtig.

     

    Ich glaube, dass wir Frauen, wenn wir die Möglichkeit haben, in der Berufswelt ganz vorne zu stehen, nicht weglaufen dürfen.

    Katharina Volgger

    Aufgewachsen in Vahrn, heute lebt sie in Berlin und Südtirol, arbeitet auf der Achse Berlin/Bozen und leitet ihr eigenes Architekturbüro, https://www.katharinavolgger.com/, das seinen Fokus auf das Um- und Weiterbauen setzt. Ebenso ist sie Lehrende der Raumgestaltung an der TU Darmstadt und Dozentin in Städtebau an der Berlin International University of Applied Science. Laufende Bauprojekte hat sie in Berlin, Augsburg und Brixen. 
    Studiert hat Katharina Volgger in Graz, Aarhus und Reykjavik. Nach dem Studium war sie forschend tätig und beschäftigte sich hierbei mit ressourcenschonenden Systemen innerhalb regionaler Kreisläufe, am Beispiel von Abwärme als Katalysator für eine soziale und räumliche Praxis. 
    Bevor sie sich selbstständig machte, arbeite sie in diversen renommierten Architketurbüros in Basel, Berlin und Köln, im Bereich Wohnungs,- Büro,- aber auch Städtebau. Dazu gehört u.a. die Planung eines Laborgebäudes am Novatiscampus in Basel, ein über 300 m langes Bürogebäude in Berlin, und die Leitung eines städtebaulichen Projekts im Zentrum von Hamburg. Zur Zeit gibt es eine Kollaboration mit der schwedischen Architektin Elisabet Sundin, gemeinsam erarbeiten Sie ein Projekt in Bayern.
    Weitere Informationen zu ihren Projekten sind auf der Webseite https://www.katharinavolgger.com/ zu finden. 

    Foto: Architektin und Lehrende Katharina Volgger, katharinavolgger studio, - Achse Berlin-Bozen (Foto ©Natsha Nandabhiwat, Japan)
  • Frau Aichner, was hat sich in Ihrem Umfeld verändert, als Sie diese Position angenommen haben?

    Dora Aichner: Ich hatte weniger Zeit für mich, Familie und unser Architekturbüro, ansonsten waren die Veränderungen unwesentlich. Der Bekanntheitsgrad steigt, das ist wahr, aber ansonsten hatte ich hauptsächlich einfach nur mehr zu tun.

     

    Frau Volgger, inwiefern fließen Feminismus und Kollaboration in Ihre Arbeit ein, etwa beim Design der Buchhandlung „She Said“ in Berlin, das Sie realisiert haben? 

    Katharina Volgger: Das ist nun natürlich eine interessante Frage, da ich vorhin über urbnistische Angelegenheiten gesprochen hatten. Dieses Projekt ist nun ein anderer Maßstab, wo wir aber versucht haben, dieselben Prinzipien einzusetzten. „She Said“ ist ein Buchladen in Berlin, in dem Werke von Frauen und queeren Personen verkauft werden, durch den mir unter anderem aufgefallen ist, wie wenige von Frauen verfasste Bücher eigentlich in meiner eigenen Bibliothek stehen und wie wichtig es ist, Diversität auch in der Lektüre zu fördern. Die Idee, die hinter dem Buchladen steht, kam von meiner Klientin, Emilia von Senger - ich denke, sie hat dabei genau den Zeitgeist einer neuen Welle des modernen Feminismus getroffen, denn das Projekt hat in Berlin und auch im deutschen Sprachraum sehr viel Diskussion generiert und wurde sehr gut angenommen. Die Arbeit, die ich gemeinsam mit der Architektin Mara Kanthak realisiert habe, basiert auf einem großen anfänglichen Austausch darüber, in welche Richtung wir uns mit „She Said“ bewegen wollen. Auf der einen Seite lagen die Bedürfnisse eines ganz gewöhnlichen Buchladens, andererseits war es uns wichtig, diesem besonderen Projekt eine eigene starke visuelle Identität zu geben, die nicht übertragbar ist, weil es sich um einen ganz speziellen Ort handelt, der als eine generationenübergreifende Plattform für viele Menschen fungiert. „She Said“ ist offen, neugierig und sehr mutig. 

    Ausschlaggebend für das Projekt war der Austausch mit anderen Menschen; wir haben dabei auch versucht, ganz nach dem Motto „She Said“ viele Frauen zu involvieren, wobei wir tolle Frauen kennenlernen durften. Beispielsweise gibt es im Buchladen einige gedrechselte Details an Tischen und Regalen, wofür wir uns spezifisch nach einer Drechslerin umgeschaut haben. Tatsächlich sind wir in Kreuzberg-Berlin mit der Drechselmeisterin Fine Heider fündig geworden. Durch die Zusammenarbeit mit vielen Künstlerinnen ist es uns gelungen, eine besondere schöne Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Wir Architektinnen hatten zwar die gestalterischen Fäden in der Hand, jedoch haben wir das Gespräch mit allen Teilnehmer*innen gesucht und zugelassen.

    Die Arbeit, die in den Entwurfsprozessen und nachfolgenden Schritten viele Menschen involviert, ist natürlich schwieriger, aber vor allem dieses Projekt hat dadurch sehr an Stärke gewonnen. Für mich ist Architektur eben nicht ausschließlich das fertige Produkt, sondern wirklich diese Kollaboration und der inklusive Prozess in sich, den man mit verschiedenen Personen macht. Mir ist wichtig, nicht jedem Bauprojekt nur meine eigene Architektursprache aufzudrücken, sondern stets zu beobachten und zu verstehen, was jedes Projekt individuell braucht und wie man dies zusammen erreichen kann. Für solche Prozesse braucht es offene und mutige Klient*innen. Doch ich versuche diese Offenheit in Workshops und Diskussionen zu fördern, egal ob es ein Umbau einer Wohnung oder ein Neubau eines Einfamilienhauses ist, die Gestaltung einer Kunstgalerie oder die Erweitung eines Hotels.

     

    Welche Meinung vertreten Sie bezüglich des 8. März als Weltfrauentag und was würden Sie sich für dieses Datum wünschen? 

    Dora Aichner: Ich hoffe, dass dieses Datum Schritt für Schritt etwas verändert. Ich glaube, dass alle Bemühungen, die Frau zu bestärken, wichtig sind - denn auch im Hinblick auf die viele Gewalt gegen Frauen frage ich mich, wie es sein kann, dass diese Probleme noch immer in unserer Gesellschaft bestehen. Wir haben in diesem Bereich einen sehr großen Nachholbedarf und ein Datum wie der 8. März spielt eine wichtige Rolle, um die Thematik in den Fokus zu rücken.

     

    Ich hoffe, dass das Datum des 8. März Schritt für Schritt etwas verändert.

     

    Katharina Volgger: Der 8. März ist in Berlin, wo ich unter anderem lebe, ein Feiertag, sozusagen der Tag der fehlenden Gleichberechtigung, der anstelle eines religiösen Feiertags eingeführt wurde. Der Ursprung dieses Feiertages liegt vielleicht auch in der Geschichte der Stadt: Berlin gehörte teilweise zur DDR, wo der Tag der Frau ideologisch gefeiert wurde - daher stellt er heute immer noch einen großen Bestandteil der ostdeutschen Kultur dar, auch wenn er jetzt von internationaler Bedeutung ist. Im sozialistischen System der DDR haben Frauen damals auch tatsächlich Gleichberechtigung erfahren, im Gegensatz zu Westdeutschland oder auch Südtirol. Dabei ging es vor allem um Ausbildungsmöglichkeiten von Frauen bzw. auch um die Care-Arbeit, also die Sorgearbeit, für die der Staat eintrat. Sicher hatte die Gleichberechtigung in der DDR ihre Lücken, neben die anderweitige Probleme traten, doch waren bereits einige Ansätze der geschlechtlichen Gleichstellung präsent, die heute noch immer diskutiert werden. 

    Persönlich ist mir egal, ob mir am 8. März eine Mimose geschenkt wird oder nicht, wie es in Italien Tradition ist, sondern es geht eher um mediale Präsenz: Wenn der 8. März in sozialen Medien, im Fernsehen und in Online-Zeitschriften thematisiert wird, kann das dazu führen, dass mehr Menschen diese Themen besprechen - auf eine gewisse Art und Weise ist dieses Datum auch eine Erinnerung daran, zu reflektieren, sich selbst zu hinterfragen sowie daran, dass sich in der Geschichte einiges geändert hat und eine Gelegenheit, Frauen zu feiern, die viel Vorarbeit geleistet haben. Der 8. März bietet die Möglichkeit, über Gleichberechtigung zu sprechen, unter anderem weil die Medien in dieser Hinsicht beitragen. 

    In Italien etwa gibt es die Gruppe Rebelarchitette, die auf Instagram sehr vertreten ist und für viel Diskussion sorgt. Es handelt sich um eine Gruppe von Frauen, die in der Architektur tätig sind und sehr gute Inputs für den Architekturdiskurs in Italien geben. Etwa haben sie es geschafft, die weibliche Bezeichnung der Architektinnen in die Alltagssprache, aber auch als Bezeichnung für unseren beglaubigten Stempel einzuführen, weshalb ich mich heute in Italienisch als „architetta“ bezeichnen kann, nicht als „architetto“ im generischen Maskulinum.

    In diesem Hinblick ist es jedoch ausschlaggebend, nicht nur den 8. März zu feiern, sondern eigentlich jeden Tag aktiv zu sein, eben weil ich Mensch bin und somit Teil der Gesellschaft. 

     

    Frau Aichner, welche Schwierigkeiten nehmen Sie derzeit am Arbeitsplatz wahr?

    Dora Aichner: Was mich in letzter Zeit besonders an meiner Arbeit bewegt, ist die Tatsache, dass sich die Arbeitsweise im Architekturbüro aufgrund der Digitalisierung so stark verändert hat, dass ich mich nicht mehr wirklich wohlfühle. Mir fehlt im Vergleich zur jüngeren Generation der selbstverständliche Umgang mit den neuen Medien und den vielen verschiedenen Programmen. Für mich macht die Digitalisierung meine Arbeit schwieriger, auch wenn ein längerer Entwicklungsprozess dahinter liegt und sich die Arbeit nicht von einem Tag auf den anderen verändert hat. Fakt bleibt, dass die heutige Jugend eine sehr viel ausgeprägtere Fähigkeit besitzt, etwa mit digitalen Medien oder komplexen Zeichenprogrammen in der Architektur umzugehen, während ich eine ganz andere Startposition habe. Trotz der Lernprogramme und Kurse, die mich mit den Neuerungen vertraut machen sollten, habe ich diesen Lernprozess als sehr mühsam empfunden. Den ersten Schub, in dem aus heutiger Sicht einfache Zeichenprogramme erstmals zum Einsatz kamen, habe ich verpasst, weil ich damals in Elternzeit mit einem Kind zu Hause war. Ich habe die Entwicklung also bereits mit einer Lücke begonnen - ein Mann an meiner Stelle hätte diese Lücke wahrscheinlich nicht gehabt.

     

    Frau Volgger, welche Unterschiede haben Sie bezüglich Ihrer Wahrnehmung in der Arbeitswelt in Bozen beziehungsweise Berlin erlebt? Worin unterscheiden sich die Landeshauptstadt Südtirols und die Metropole Berlin aus der Sicht einer Architektin? 

    Katharina Volgger: Der Diskurs ist in Berlin bestimmt etwas anders als in Bozen, da sich die Gegebenheiten und das Umfeld in den beiden Städten einfach sehr unterscheiden: die eine ist eine Groß- und Hauptstadt eines europäischen Staates, die andere eine kleinere Hauptstadt einer ländlich geprägten Region. Man kann behaupten, dass es sowohl in Berlin als auch in Bozen viel Offenheit und gleichzeitig einen gewissen Grad an Verschlossenheit gibt, vielleicht andere Themen betreffend. Das Interessante ist meiner Meinung nach - das habe ich sehr stark in Berlin beobachtet und glaube aber, dass es in Südtirol ähnlich ist - dass zurzeit eine neue Generation von Architektinnen herantritt, die vermehrt gesellschaftliche Themen reflektieren möchte. In Bozen geht es etwa um die Frage, ob ein Auslaufmodell der 80er und 90er Jahre - eine Shopping-Mall in prominenterster Lage – für die Stadt sinnstiftend ist, in Berlin darum, ob ein innerstädtisches Areal mit Luxusapartments bebaut werden kann. In diesem Hinblick finde ich, dass der Berliner Senat und die Südtiroler Landesregierung und Stadtverwaltung die Verantwortung tragen, auf diese lautwerdenden Stimmen zu reagieren und vielmehr komptetente Menschen mit einbeziehen, um Leitlienien zu entwickeln.

    Da ich unter anderem Städtebau lehre, denke ich viel über das Thema Stadt nach, und ich wünsche mir eine inklusive, vielfältige und diverse Stadt, denn Projekte, die sich ausschließlich nach Profit ausrichten, lassen lediglich Platz für eine einzige, ganz bestimmte Art von Stadt. Es wäre schön, egal ob in Berlin oder in Bozen, dass Urbanismus oder ‚Ruralismus‘ von Seiten der Politik stärker geleitet wird, um eine lebendige Stadt zu schaffen und zuzulassen. Sowohl Bozen als auch Berlin sind eigentlich zwei privilegierte Orte mitten in Europa, in denen man die Möglichkeit hat, solche Themen aufkommen zu lassen. Doch habe ich manchmal das Gefühl, dass die gesellschaftlichen Transformationen, die an diesen Orten passieren, in beiden Städten häufig gegen Verlustängste ankämpfen müssen, also gegen tatsächliche Angst vor dem ständigen Wandel, in dem wir uns befinden, und den Veränderungen in unserem gewohnten Umfeld. Die Gleichberechtigung ist Teil von diesen sozialen Transformationen: Geschichte verändert sich und es handelt sich um einen Prozess, bei dem Adaptation sehr wichtig ist und dem man vielleicht mit weniger Angst begegnen sollte, immer im Sinne von Inklusion statt Exklusion.

     

    Die Gleichberechtigung ist Teil der sozialen Transformationen; es handelt sich um einen Prozess, bei dem Adaptation sehr wichtig ist.

     

  • Haben Sie das Gefühl, dass Ihre weibliche Identität bei Interviews wie diesem zu sehr in den Fokus gerückt und damit Ihren Kompetenzen und arbeitsbezogenen Fähigkeiten der Raum genommen wird? 

    Dora Aichner: Heute habe ich diesen Eindruck nicht mehr - als ich erstmals in die Arbeitswelt eingestiegen bin, habe ich mich vermehrt so gefühlt, aber jetzt wird mein Geschlecht in Bezug auf meine Karriere nicht mehr so stark thematisiert. Dies scheint auch in anderen Berufssparten jetzt ähnlich zu sein,

    Katharina Volgger: Ich kann auf diese Frage nicht wirklich mit ja oder nein antworten; Gender Equality ist ganz und gar nicht mein Hauptmetier, aber die Architektur ist sehr breit gefächert und es geht dort auch um dieses Thema. Das erlebe ich in meiner Architekturpraxis und vor allem dadurch, dass ich an der Universität unterrichte, wo diese Sachen häufig diskutiert werden. Natürlich würde ich mir wünschen, auch über meine Arbeit konkret zu sprechen, aber es ist sehr wichtig, soziale Diskussionen dabei nicht außen vor zu lassen, um die Arbeitswelt dadurch auch positiv zu beeinflussen - denn was mir persönlich damals im Studium vielleicht ein bisschen gefehlt hat, war ein weibliches Role-Model, da ich hauptsächlich von Männern unterrichtet worden bin. Auch mein Mentor, der mich sehr beeinflusst hat, war ein Mann - es wäre sicher interessant gewesen, eine Frau in dieser Rolle zu sehen, um vielleicht einen Blick auf ihren Werdegang werfen und mich inspirieren lassen zu können. Dadurch, dass ich heute selbst als Dozentin wirke und mein eigenes Architektenbüro leite, muss ich mir stets überlegen, wie ich mich positioniere und ob ich vielleicht Vorbild für andere sein kann, das geht Hand in Hand mit meiner praktischen Arbeit und ist mir sehr wichtig. Das Schöne an der Universität ist, dass Themen wie Gender Equalitygenauso brisant diskutiert werden wie die Wärmedämmung oder das kreislaufgerechte Bauen, oder eben wie das Licht in einen Innenraum kommt. Hier kommen sehr viele Fragen auf, die alle mit der Architektur zu tun haben, denn das Soziale ist Teil unserer Arbeitswelt. Daher spreche ich gern über diverse Inhalte, die nicht nur ganz spezifisch mit meinen Bauprojekten zu tun haben.

     

    Was muss in unserer Gesellschaft noch konkret getan werden, um geschlechtsspezifischen Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken? 

    Katharina Volgger: Hier muss jede einzelne Person für sich herausfinden und entscheiden, wie sehr sie in dieses Thema einsteigen möchte und sich diesbezüglich auch aktivieren kann; es ist natürlich auch ein Privileg, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Aber wenn ich über Role-Models nachdenke, dann kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass man sich vielleicht von gewissen Personen besonders angesprochen fühlt und es ist sehr wichtig, diese Bindung selbst aktiv zu suchen. Ebenso ist es auch wichtig, sich in der Arbeitswelt gegenzeitig zu unterstützen, innerhalb der Disziplin aber auch im Klient*inn - Planer*inn Verhäntnis. Auf der Suche nach Diskussion findet man häufig Verbündete, die ähnlich denken und gemeinsam kann man lauter sein - damit meine ich kein aggressives Lautsein, sondern die Fähigkeit, aktiver zu werden, für die eigenen Überzeugungen einzustehen und vielleicht auch schneller handeln zu können.

    Dies kann nun natürlich auch für zukünftige Bauleute, Kolleg*Innen und Denker*innen so verstanden werden, die mit mir zusammenarbeiten, da sie meine Denk- und Arbeitsweise schätzen. (lacht)

    Dora Aichner: Ich denke, dass es sehr wichtig ist, das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken, damit sie sich von diesen Dynamiken der Ungerechtigkeit emanzipieren können - ich weiß, dass es nicht leicht ist; es gibt Voraussetzungen, unter denen solch eine Bestärkung nur ein frommer Wunsch ist. Eine andere wichtige Besserung wäre es, das Einkommen von Männern und Frauen wirklich anzugleichen, das wäre bereits eine wichtige Wertschätzung der Frauen und ein Schritt zur Gleichstellung von Männern und Frauen. Wichtig ist ebenso die Unterstützung der Frauen bei der Kinderbetreuung und Hausarbeit – bei den unbezahlten Arbeiten, die zum Großteil von den Frauen verrichtet werden. Es wäre hilfreich, die Väter und Männer zu fördern, mehr in diesem Bereich beizutragen, damit eine Gleichberechtigung ermöglicht wird und Ungleichheiten vermieden werden.