Umwelt | Große Beutegreifer

Plädoyer für einen echten Almfrieden 2

Gedanken zum Landesgesetz 10/2023 (Wolfsentnahmen) und weshalb der Schuss nach hinten los gehen kann. Versuch einer gesamtheitlichen Betrachtung in drei Kapiteln.
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Kapitel 2: Wild

Rot-Reh- und Gamswild waren in der Zeit zwischen 1800 und 1900 auf klägliche Restbestände dezimiert. Im Österreichischen Staatsarchiv in Wien befinden sich Jagdstatistiken aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, welche dies eindrücklich belegen. Im historischen Tirol (Tirol, Südtirol, Trentino) und in Vorarlberg wurden im Jahr 1878 insgesamt 2600 Stück Schalenwild erlegt, heute sind es in derselben Großregion ca. 60.000 Stück. Ein Fachmann sagte mir, dass es nach dem heutigen Wissensstand seit dem Mittelalter nie so hohe Wildstände in den Alpen gab wie heutzutage. Und die Jagdstrecke (Anzahl der erlegten Tiere) gibt einen guten Anhaltspunkt über die Wilddichte, denn es gilt die wildbiologische Regel, je höher die Jagdstrecke desto höher die Wilddichte.

Weil es damals vor 150 Jahren praktisch keinen Wald mehr gab (s. Kapitel 1) und aus diesem Grund nur wenig Wild, gab es auch keinen Lebens- und Jagdraum mehr fürs Großraubwild. Wolf und Bär wurden damals durch großräumige Abholzung ihres Lebensraumes Wald einerseits und durch gezielte Nachstellung andererseits ausgerottet. Gezielt bejagt wurden Wölfe, weil sie ohne ihre üblichen Beutetiere wie Rot- und Rehwild vermehrt Schafe und Ziegen auf der Weide angriffen. Erfolgreiche Kleinviehhaltung war aber damals für viele bitterarme Familien von existentieller Bedeutung.

Der Südtiroler Wald hatte sich nach 1850 zuerst äußerst langsam, nach dem 1. Weltkrieg etwas rascher und nach dem 2. Weltkrieg rasend schnell erholt. Die Wälder verdichteten sich enorm und auch flächenmäßig haben sie sich deutlich ausgebreitet. Beides, Verdichtung und Ausdehnung finden heutzutage immer noch statt. Dichter Wald bedeckt mittlerweile die Berghänge und erstreckt sich bis hinauf an die Waldgrenze, die sich ihrerseits temperaturbedingt immer höher schiebt . In diesem relativ jungen Waldparadies haben sich seit den 1970iger Jahren Rot-, Reh- und Gamswild prächtig entwickelt und große, über weite Gebiete auch übergroße Populationen gebildet.

Für den Wolf ist damit heutzutage der Tisch reich gedeckt: Untersuchungen in Deutschland haben gezeigt, dass sich Wölfe zu 95% von Wildtieren ernähren. Und das wird bei uns auch nicht anders sein. Nachdem rund ums Land Wolfsrudel leben, werden wohl immer Wölfe ins Land drücken, weil Südtirols Wälder überaus reich an Wild sind. Dieses wird auch morgen und übermorgen Beutegreifer anlocken. Und falls Wölfe auf ihren Streifzügen nach Wild auf ungeschützte Weidetiere treffen, werden sie ihrer Natur entsprechend alles daran setzten, leichte Beute zu machen. Und ungeschützte Weidetiere gibt es in Südtirol zuhauf!

Zusammenfassend halten wir fest: Viel Wald bedeutet viel Wild, viel Wild bedeutet hohe Anziehungskraft auf Wölfe. Das Verständnis dieses ökologischen Zusammenhangs ist für die folgenden Management-Überlegungen wichtig. Kapitel 3 erscheint am Sonntag.