Politik | Landesregierung

Das Bahn-Politikum

Die Mehrheit der Landesregierung will die Liftverbindung Kastelruth-Seiser Alm. Dafür nimmt man sogar einen Affront gegen die zuständige Landesrätin in Kauf.
Marinzenlift
Foto: Südtirolfoto/Helmuth Rier

“Das habe ich nicht.” Die wenigen Worte aus dem Mund von Maria Hochgruber Kuenzer bergen politische Brisanz. Am Dienstag hat sich die Landesregierung zum vierten Mal in vier Jahren mit der Liftverbindung von Kastelruth auf die Seiser Alm befasst. Und ihr zugestimmt. Den Beschluss dazu hat allerdings nicht die zuständige Landesrätin vorgelegt. Sondern einer ihrer Regierungskollegen.

 

Nach zwei Nein ein Ja


Die Vorgeschichte ist ebenso bekannt wie lang. Seit vielen Jahren treiben Wirtschafts- und Tourismusvertreter der Gemeinde Kastelruth das Vorhaben einer direkten Anbindung vom Hauptort auf die Seiser Alm voran. Und das, obwohl – oder gerade weil – nur einige Kilometer entfernt bereits zwei Umlaufbahnen stehen, die direkt auf die größte Hochalm Europas führen: eine in Seis am Schlern, das zur Gemeinde Kastelruth gehört, und eine in St. Ulrich in Gröden.

Im Oktober 2016 erteilt die Landesregierung dem Projekt eine erste Absage. Doch die Marinzen GmbH, die in Kastelruth das – inzwischen stillgelegte – Skigebiet Marinzen und die dazu gehörenden Lifte betreibt, gibt nicht auf, legt Rekurs beim Verwaltungsgericht ein. Dieses hebt den Beschluss Ende 2017 auf. Im März 2018 befasst sich die Landesregierung erneut mit der Machbarkeitsstudie – und lehnt sie erneut ab. Die Sache landet wieder vor dem Verwaltungsgericht, das den Beschluss der Landesregierung wieder aufhebt. Im April 2019 steht die Bahnverbindung zum dritten Mal auf der Tagesordnung der Landesregierung. Die ist inzwischen neu besetzt und sagt erstmals Ja zur Variante 2 der Machbarkeitsstudie, die keine Abfahrtspiste vorsieht.

 

Ein Urteil und kein Ende


Alle drei Beschlüsse werden in derselben Abteilung vorbereitet: jener für Natur, Landschaft und Raumentwicklung, die im Ressort für Raumordnung und Landschaft angesiedelt ist. 2016 und 2018 ist dafür Richard Theiner als Landesrat zuständig. 2019 Maria Hochgruber Kuenzer, die ihrerseits auf Ablehnung plädiert. Damit steht sie in der Landesregierung aber alleine da. Am 16. April 2019 stimmen Daniel Alfreider, Arnold Schuler, Thomas Widmann und Massimo Bessone gegen die Ablehnung des Marinzen-Projekts. Umweltlandesrat Giuliano Vettorato enthält sich. Arno Kompatscher und Waltraud Deeg nehmen an der Abstimmung nicht teil, Philipp Achammer fehlt entschuldigt. Einzig Hochgruber Kuenzer selbst stimmt dafür, dem Ganzen endgültig einen Riegel vorzuschieben. “Ich wusste, dass es in der Landesregierung zwei Richtungen gibt”, sagt sie tags darauf zu salto.bz. Sie selbst sei in diesem Fall “eine überzeugte Nein-Sagerin”, zumal diverse Ämter und Abteilungen große Bedenken anmelden.

Tatsächlich liegen ein negatives Gutachten des Umweltbeirates und teilweise negative Gutachten der Abteilungen Mobilität und Wirtschaft sowie des Amtes für Seilbahnen vor.

 

Auch auf das erstmalige Ja der Landesregierung im April 2019 folgen Rekurse. Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz mit dem AVS und die Seis-Seiser Alm Bahn AG, die die Umlaufbahn im Nachbardorf betreibt, fechten den Beschluss in zwei Rekursen an. Beide bekommen Anfang 2020 vom Verwaltungsgericht Recht. Die Richter heben den Beschluss, mit dem die Machbarkeitsstudie genehmigt wurde, auf. In der Urteilsbegründung heißt es unter anderem: “Dieser plötzliche Sinneswandel der Landesregierung wird nicht begründet.” Es sei “gänzlich unklar”, weshalb die Landesregierung vom anfänglichen Nein zum Ja umgeschwenkt sei. Zumal sich an der Machbarkeitsstudie für die Bahnverbindung inhaltlich nichts geändert hat.

Damit hätte das Tauziehen ein Ende finden können. Hat es aber nicht.

 

Beschluss aus dem Sack

 

Denn zum einen geht die Marinzen GmbH gegen das Urteil des Verwaltungsgericht rechtlich vor – das Verfahren behängt vor dem Staastrat. Und zum anderen kommt am Dienstag dieser Woche (6. Oktober) die “Erweiterung des Skigebietes Marinzen mit Anbindung an das Skigebiet Seiser Alm in der Gemeinde Kastelruth” erneut in die Landesregierung. Die Empfehlung lautet, anders als 2019, auf “Genehmigung der Variante 2 mit Auflagen”. Dass man sich zum wiederholten Mal mit dem Bahnprojekt befassen muss, erfahren die Landesräte – bis auf den Einbringer – erst im letzten Moment. Denn der Beschluss wird nicht auf die Tagesordnung gesetzt, sondern kommt “fuori sacco”, also erst in der dienstäglichen Sitzung auf den Tisch.

Die Medien werden am Dienstag Abend informiert: “Mit einigen Auflagen hat die Landesregierung am 6. Oktober die Variante 2 für die Erweiterung des Skigebietes Marinzen (Gemeinde Kastelruth) und dessen Anbindung an das Skigebiet Seiser Alm genehmigt. Eine kuppelbare 10er-Umlaufkabinenbahn soll in einigen Jahren die Wintersportler von Marinzen in Kastelruth auf den Puflatsch auf die Seiser Alm bringen und somit die beiden Gebiete miteinander verbinden. Zudem soll ein Schlepplift für Skifahrer ab der Bergstation des derzeit bestehenden Sessellifts gebaut werden.”

Weil der Beschluss auch einen Tag später noch nicht veröffentlicht ist, fragt salto.bz bei Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer nach. Warum wurde er zum wiederholten Mal vorgelegt, wenn ihn das Verwaltungsgericht doch Anfang des Jahres aufgehoben hat? In den jüngsten Beschluss sei die vom Gericht bemängelte fehlende Begründung für den “Sinneswandel” eingeflossen, erklärt Hochgruber Kuenzer. Die Landesregierung hat nun also schriftlich dargelegt, weshalb sie von der zuvor jahrelang vertretenen Position abgerückt ist. Ob das reicht, um weitere rechtliche Schritte gegen das Projekt zu verhindern, darf bezweifelt werden. “Ich kann Ihnen dazu nichts sagen, solange ich nicht weiß, wogegen wir Rekurs einlegen könnten”, meint der Geschäftsführer des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz Andreas Riedl, der den Inhalt des Beschlusses ebenfalls noch nicht gesehen hat, auf Nachfrage von salto.bz. Jedenfalls sei er überrascht gewesen, als er aus den Medien erfahren habe, dass das Marinzen-Projekt wieder aufgerollt wird.

 

Affront gegen die Landesrätin

 

Dasselbe dürfte auch für die zuständige Landesrätin gelten. Sie hat, wie 2019, gegen das Vorhaben gestimmt. Den Beschluss dazu aber “habe nicht ich vorgelegt”, sagt Maria Hochgruber Kuenzer. Nach Informationen von salto.bz war es Daniel Alfreider, der die Beschlussvorlage am Dienstag “aus dem Sack” gezogen hat. Der Mobilitätslandesrat hat 2019 für die Bahnverbindung gestimmt – trotz der teilweisen negativen Gutachten aus seinen eigenen Ämtern und trotz der anderslautenden Empfehlung der zuständigen Landesrätin. Doch die Marinzen-Bahn ist längst zu einem politischen Anliegen geworden. Die Mehrheit der Landesregierung will sie.

 

Dabei ist klar, dass nicht die Landesrätin, die überzeugt dagegen ist, den neu begründeten Beschluss nochmals einbringen kann. Deshalb wird lange diskutiert, ob Philipp Achammer als Wirtschafts- oder Daniel Alfreider als Mobilitätslandesrat die politische Patenschaft übernehmen soll. Am Ende nimmt sich Alfreider der Sache an. Damit hat der Landesrat für Mobilität in einen Kompetenzbereich eingegriffen, der nicht der seine ist – und nicht nur Hochgruber Kuenzer vor den Kopf gestoßen. “Das kommt einem Misstrauensantrag gegen die Landesrätin oder gar einer Aufforderung zum Rücktritt gleich”, sagt einer, der die Causa bestens kennt. Und Andreas Riedl meint: “Das Procedere der Genehmigung ist durchaus eigenartig. Das Thema und der Beschluss standen gar nicht auf der Tagesordnung und ann bring Landesrat Alfreider die Beschlussvorlage ‘fuori sacco’, obwohl das Verfahren im Ressort der Landesrätin Hochgruber Kuenzer angesiedelt ist. Die vormaligen Beschlüsse zu Marinzen kamen aus diesem Ressort. Warum dieser jetzt nicht mehr? Warum wurde der Beschluss nicht auf der Tagesordnung angekündigt?”

Landeshauptmann Arno Kompatscher hat an der Abstimmung am Dienstag übrigens nicht teilgenommen.