Kultur | Salto Afternoon

Der "rückblickende" Skolast

Im Skolast 60:60 hat Birgit Eschgfäller einen Text zu den 68ern in der SH verfasst. Salto bringt einen Auszug. Dazu Fotos, Dokumente und eine Zeichnung aus dem Archiv.
Studenten
Foto: Quelle: asus.sh

Die 68er – Südtirol in Bewegung! Und die SH am Ruder?

Wenn ich an meine Studienzeit in Salzburg denke, so war dort die SH-Bude unser Fixpunkt, ein Anker auf unserer Reise, Südtirol im Mikrokosmos mit allem was dazugehört (Wattturnieren, Marende mit Speck und Schüttelbrot, Heimatdebatten, politischen Diskussionen aber auch dem ein oder anderen SH-Fest). Dementsprechend eine kleine Südtiroler Familie, die auch „weit weg“ von der Heimat ein gewisses Sicherheitsgefühl vermittelte.

Entsprach dieses Idyll in der Ferne, das auch heute noch viele Südtiroler Studierende sehr schätzen, auch dem Selbstverständnis der SH von 1968? Oder war sie der Nährboden für die Veränderung, der Rückhalt für die „Revolte“ – möglicherweise hielt sie gar die Revolte zurück? Und: Wie sah die Revolte in Südtirol überhaupt aus?
„1968“ in Südtirol kann nicht auf das Kalenderjahr reduziert und genauso wenig als Höhepunkt eines sich steigernden Protestzyklus gesehen werden, sondern eher als Startschuss dazu. Man  kann in Südtirol vielmehr von einem schleichenden Wandel bis Ende der 1970er, als von einer tosenden Revolution sprechen. Dennoch ist es berechtigt, die Zäsur auf das Jahr 1968 zu legen: Es fanden nämlich in diesem Jahr auch in Südtirol vermehrt klassische Aktionsformen der 68er-Bewegung, wie Sit-ins, Go-ins oder Provokationen, statt. In Bozen wurden als Protest gegen das hierarchische Schulsystem mehrere Schulen besetzt und auch auf Meran griffen die Proteste über. Es gab verschiedene Störaktionen, wie die Explosion eines Molotowcocktails in einem Beichtstuhl im Bozner Dom oder die Vertreibung des Unterrichtsministers Luigi Gui bei einer Rede. In Villnöß wurde eine Theatervorstellung in Form eines Go-ins gestört und in eine Diskussion überführt. Die SH definierte in diesem Jahr ihre Ausrichtung neu, indem sie eine kritischere Haltung in Bezug auf gesellschaftliche und politische Diskurse einnahm und die Athesia boykottierte. Zudem veranstalteten die „brücke“-Herausgeber bei der Studientagung in Innsbruck ein Teach-in zur Pressesituation in Südtirol. Auch die Demonstration gegen die Siegesfeiern vom 4. November in Bozen sorgte für großes Aufsehen. Die „brücke“ titelte:

Einmal im Jahr ist Maskerade für alle: Für Leute in zivil ist dafür der Fasching da – für den Staat der 4. November

… und rief zu Gegenveranstaltungen mit Antikriegsliedern auf. Diese endeten mit gewalttätigen Übergriffen und der Verhaftung einiger Demonstranten. Das heißt, auch in Südtirol gab es im Jahr 1968 mehr Protest von Seiten der Gesellschaft, als es im Jahr davor oder danach der Fall war. An den internationalen Kontext lehnten sich dabei besonders die übernommenen Aktionsformen an, die sich hierzulande verstärkt auf den sprachlichen Bereich konzentrierten und auf gesellschaftliche Verständigung abzielten. Zahlreiche Diskussionen auf verschiedenen Tagungen der SH, in denen immer wieder Konsens anstatt des offenen Zerwürfnisses mit der politischen Führung angestrebt wurde, geben Zeugnis davon. Ein weiteres Spezifikum der Bewegung in Südtirol war, dass sie sich themen- und nicht akteursspezifisch formierte. Ohne konkreten Anlass kam es in Südtirol nur selten zu Aktionismus, die zentralen Themen vom internationalen „1968“ wurden hingegen auch in Südtirol übernommen. Auch bei uns protestierte man gegen den Vietnamkrieg und viele trugen die Mao-Bibel in der Hosentasche.

Ein inhaltlich für die Südtiroler Bewegung sehr spezifisches Thema war die Neuperspektivierung der Sprachgruppenproblematik mit SH-Kontroversen: So warnte etwa Paul Zanon in Bezug auf die italienischen Hochschüler in Südtirol vor einem Experimentierfeld des kulturellen Austausches, eine Haltung, die viel Kritik erzeugte und die SH in eine Krise stürzte. Der Bezug zu „1968“ wird in diesem Bereich in Form des verwendeten Vokabulars deutlich: So wurden beispielsweise interethnische Bewegungen als „Klassenkämpfe“ definiert und auch hierzulande sprach man von „Machtapparat“ und „Establishment“. Ähnliche Überschneidungen aber auch Verschiebungen lassen sich in anderen Themenfeldern beobachten: Während in Deutschland die „Axel-Springer-Presse“ zum erklärten Erzfeind wurde, waren in Südtirol die „Ebner-Presse“ und vor allem die „Dolomiten“ Zielscheiben der Kritik. Deutlich wird dies etwa in einer „Skolast“- Ausgabe von 1968:

(…) Nur gut, dass Südtirols Studenten weit weg sind! So kann in Südtirol geschehen, was Klein Axel beliebt.

Diese polemische Haltung wird schließlich noch durch eine Karikatur des „neuen Betätigungsfeldes eines Sprengstoffattentäters“ unterstrichen. Der Bezug zum Springer-Verlag, welcher besonders in der BRD Katalysator für den Studentenprotest war, macht deutlich, dass der internationale Kontext nicht von Südtirol weggedacht werden kann. Obwohl der Athesia-Verlag eine noch größere Monopolstellung innehatte als der Springerkonzern, löste diese Tatsache in der Provinz jedoch keine vergleichbare Massenmobilisierung aus.

Protestierte man in anderen Ländern gegen den Kapitalismus oder den Kommunismus, war es in Südtirol das Einparteiensystem der SVP, das man kritisierte. Demonstriert wurde gegen den Nationalismus auf Seiten der Italiener und der Südtiroler. Zum ersten Mal formierten sich in Südtirol politische Alternativen und interethnische Gruppierungen, die der Lagerbildung trotzten. Angestrebt wurde damit auch bei uns eine gesellschaftliche Öffnung. Die 68er in Südtirol haben folglich einiges der internationalen Bewegung reflektiert, anderes ausgeblendet, aber auch Neues generiert. Die SH war dabei u.a. wesentlich, weil sie das einzige verbindende Element zwischen den im Ausland studierenden Südtirolern darstellte und dadurch Impulse gab. Dementsprechend wichtig war ihre Rolle auch für das Aufbegehren der Studierenden in der Provinz. Ihre Funktion als kritisches Ferment der Südtiroler Gesellschaft nahm die SH allerdings erst ab Mitte der 60er Jahre ein. Sie änderte ihren Kurs, indem sie sich von der engen Bindung an die SVP löste.


Der vollständige Text kann im SKOLAST 60:60 nachgelesen werden

Birgit Eschgfäller Lehrtätigkeit am Sozialwissenschaftlichen Gymnasium Meran im Fachbereich Humanwissenschaften und Philosophie, derzeit Ausbildung zur Gestaltberaterin an der Gestaltakademie Bozen, Studium in Salzburg von 2005-2010 (Lehramt Psychologie, Philosophie und Geschichte); Diplomarbeit in Geschichte: Südtirol in Bewegung: die 68er, Analyse der unterschiedlichen Facetten des kulturellen und gesellschaftlichen Aufbruchs der 60er und 70er Jahre im internationalen Kontext (2010).