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Große Reform – wenig Wirkung?

Die Reform der Einkommensbesteuerung, welche mit Jänner 2022 in Kraft getreten ist, bringt Vor- und Nachteile. Wer profitiert und wer leer ausgeht, erklärt Stefan Perini.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: AFI-IPL

Egal ob Deutschland, Italien oder Südtirol, ein Thema heizt die Gemüter auf: die soziale Gerechtigkeit. Sie wird eines der zentralen Themen der nächsten Jahre sein. 
Wie soziale Gerechtigkeit und Steuergerechtigkeit zusammenhängen und ob die in Italien beschlossene Steuerreform überhaupt Wirkung zeigen wird, erklärt Stefan Perini, Direktor des Arbeitsförderungsinstituts im nachfolgenden Interview. 

 

Salto.bz: Warum das Thema Steuergerechtigkeit? Was gibt diesem Thema Aktualität? 

Stefan Perini: Aktuell ist das Thema deshalb, weil Ende Dezember in Italien eine Steuerreform, genauer gesagt die Reform der Einkommensbesteuerung zusammen mit dem neuen Haushaltsgesetz diskutiert und verabschiedet worden ist. Reformiert wird nicht nur das Steuersystem, sondern auch jener Teil der Sozialleistungen, der sich auf die Familienleistungen bezieht. 

Hängen soziale Gerechtigkeit und Steuergerechtigkeit unmittelbar zusammen? 

Ja, natürlich. Es gibt keine soziale Gerechtigkeit ohne Steuergerechtigkeit. Deshalb sollte uns interessieren, ob und in welchem Maße die Steuerreform in Italien einen Beitrag zur angestrebten sozialen Gerechtigkeit leistet. Die zwei anderen großen Themen, die derzeit ganz Europa beschäftigen, sind die Corona-Pandemie und der Klimawandel. Auch hier gilt: wenn man weiterkommen will, muss man alle mitnehmen. Es müssen auch die Schwächeren der Gesellschaft miteinbezogen werden. Das Risiko in all diesen Fällen ist, dass die Schere der Gesellschaft immer weiter auseinanderklafft. 

Eine kleine Zeitreise: Wie ordnen wir das Thema Steuern überhaupt ein, wo können wir es historisch verankern? 

Das Thema Steuern ist alt – so alt, wie die Menschheit selbst. Schon in der Bibel und in anderen antiken Schriften findet man Hinweise über Steuereintreiber. Das Thema „Steuern“ ist eine der großen Menschheitsfragen: Wer zahlt, wie viel, warum und wofür? Wie viel trägt jeder zum Gemeinwohl bei?  

Heute finden wir das Thema Steuern in der italienischen Verfassung wieder. 

Genau. Bereits Artikel 4 der Verfassung besagt, dass die Republik allen Bürgern ein Recht auf Arbeit zuerkennt, aber auch die Pflicht, nach den eigenen Möglichkeiten und nach eigener Wahl eine Arbeit oder Tätigkeit auszuüben, die zum materiellen und geistigen Fortschritt der Gesellschaft beitragen kann. Spezifischer noch der Artikel 53, der besagt, dass jedermann dazu verpflichtet ist, im Verhältnis zu seiner Steuerkraft zu den öffentlichen Ausgaben beizutragen. Das Steuersystem richtet sich außerdem nach den Grundsätzen der Progressivität. Das bedeutet: Wer breite Schultern hat, muss mehr beitragen, als jener, der schmale Schultern hat. 

Wer breite Schultern hat, muss mehr beitragen, als jener, der schmale Schultern hat. 

Kommen wir zur Irpef-Reform in Italien. Warum gibt es eigentlich diese Reform der Einkommenssteuer? 

Eigentlich spricht man in Italien schon seit längerer Zeit davon, die Einkommensbesteuerung zu reformieren, doch das Vorhaben wurde immer wieder auf die lange Bank geschoben. Nun aber ist die Reform eine der Bedingungen, um an die EU-Gelder zur Abfederung der Corona-Krise – „Next Generation EU“ genannt - heranzukommen. Italien soll 209 Milliarden Euro von der EU erhalten, um Investitionen vor allem in den Bereichen Ökologie, Digitalisierung, Mobilität, Bildung und Sanität zu finanzieren. Diese EU-Gelder sind aber mit Auflagen verbunden, zu denen eben Reformen zählen. Um diesen nachzukommen, war die Regierung Draghi gezwungen, sich zu beeilen und die Reform der Einkommensbesteuerung durchzudrücken. 

Was sind die wesentlichen Neuerungen der Reform? 

Das ist zunächst die Anzahl der Einkommensklassen sowie die Veränderung der Hebesätze. Ab dem kommenden Jahr tritt ein neuer Besteuerungsmechanismus mit vier Steuersätzen – anstelle der bisherigen fünf Steuersätze – in Kraft. Zudem sind auch die Steuersätze neu definiert worden. Doch auch das System der Steuerfrei- und -absetzbeträge soll umgewandelt werden. Spätestens hier wird es kompliziert.

Welche Vorteile bringt dies den Bürgerinnen und Bürgern? 

Die Berechnungen des Finanzministeriums zeigen auf, dass jeder von der Reform profitieren dürfte. Es wird also Steuersenkungen für alle geben – jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Es gibt jene, die daraus mehr Nutzen ziehen werden, andere weniger. Aufgrund der neuen Steuerklassen ist der Vorteil bei Einkommen zwischen 40.000 und 50.000 € relativ gesehen am größten. Zum Beispiel liegt der Gewinn bei einem Einkommen von 40.000 € bei ca. 620 € netto. Für Einkommen über 75.000 € liegt der Vorteil hingegen konstant bei 282 €. 

Was hat es mit dem „assegno unico per le famiglie“ auf sich? 

Mit der Reform der Einkommensbesteuerung hat Italien gleichzeitig eine Reform der Leistungen für Familien verabschiedet. Das läuft unter dem Namen „assegno unico per le famiglie“ – zu Deutsch einheitliches Familiengeld. Dieses wird ab 1. März 2022 kommen. Mit der Einführung des einheitlichen Familiengeldes wurden vier frühere staatliche Leistungen gebündelt: der Babybonus, das Kindergeld, die Steuerfreibeträge für zu Lasten lebende Kinder, die Familienzulage. 

Macht mit dieser Steuerreform Italien einen Sprung nach vorne? 

Nein, die wahre italienische Krankheit, die Steuerhinterziehung, wird damit nicht kuriert. Das große Problem ist, dass das, was auf den Steuererklärungen angegeben wird, nicht immer der Wahrheit entspricht. Die Einkommensklassen und Steuersätze zu ändern ist gut und recht – aber die Basis für mehr Steuergerechtigkeit ist, dafür zu sorgen, dass die Angaben auf den Einkommenserklärungen auch stimmen. Des Weiteren klammert die Reform die Besteuerung der Vermögen aus.

Die Einkommensklassen und Steuersätze zu ändern ist gut und recht – aber die Basis für mehr Steuergerechtigkeit ist, dafür zu sorgen, dass die Angaben auf den Einkommenserklärungen auch stimmen.

Was besitzen die Italienerinnen und Italiener an Vermögen? 

Das Vermögen der italienischen Familien besteht zu 55% aus Immobilien, sprich: der Hauptvermögenswert ist die eigene Wohnung, oder eben mehrere Wohnungen. Der andere Teil ergibt sich aus Finanzvermögen – also Erspartes in Form von Geld, Wertanlagen oder Versicherungen. Wenn wir uns das Problem der Ungleichheit vor Augen führen, können wir sehen, dass die Verteilung der Vermögen viel ungleicher ist, als jene der Einkommen. Das heißt, dass der Hauptgrund für die soziale Ungerechtigkeit in erster Linie dort zu suchen ist.

Wo sollte die Politik also ansetzen? 

Sie müsste nicht nur bei den Einkommen aktiv werden, sondern auch bei den Vermögen. Es geht vor allem darum, Immobilien- und Finanzkapital angemessen zu besteuern. Weltweit hat man sich nämlich in den 80er- und 90er-Jahren von der Vermögensbesteuerung schrittweise verabschiedet. Die Erbschaftssteuer ist weggefallen, ebenso wie Steuern für Yachten und andere Luxusgüter; die Immobiliensteuer ist zurückgefahren worden und alles hat sich so weiterentwickelt, dass die Verteilung des Wohlstandes in der Gesellschaft immer ungleicher wurde. 

Wir leben in Zeiten der Globalisierung, Geld und Kapital können weltweit zirkulieren. Ist da ein Umschwenken überhaupt möglich? 

Stimmt, Kapital ist mobil, es kann also ins Ausland transferiert werden. Daher ist es ungemein schwierig, Kapitalströme zu kontrollieren – sei es von Privatpersonen als auch von großen Konzernen. Einzelne Staaten haben hier nur einen bedingten Handlungsspielraum. Phänomene wie diese müssen auf globaler Ebene geregelt werden. Eine vielversprechende Lösung ist jene einer einheitlichen Konzernbesteuerung. Vor einigen Monaten haben sich die G20-Länder darauf verständigt, in Zukunft eine globale Konzernbesteuerung von 15% einzuführen. Gleichzeitig soll auch das Phänomen der Steuerflucht durch internationale Zusammenarbeit besser in den Griff bekommen werden. Es gilt, Steueroasen endlich auszutrocknen. Globale Probleme brauchen eben globale Lösungen.