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Elf Jahre Istanbul-Konvention

Das Übereinkommen gegen Gewalt an Frauen unterzeichnete Italien als einer der ersten Staaten. Vorzeigeland bei Gewaltschutzzentren ist es aber noch lange nicht.
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Foto: Gemma Chua-Tran on Unsplash
Am 11.5.2022 jährt sich die sogenannte Istanbul-Konvention. Das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt wurde am 11.5.2011 vom Europarat übernommen und trat am 1.8.2014 in Kraft: Internationale Richtlinien, welche Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Menschenrechtsverletzung (hurra, Frauen sind auch Menschen!) und als direkte Folge der Ungleichstellung von Frauen und Männern definieren.
Darüber hinaus geben die 4 P (prevention, protection, prosecution, policies) durchwegs klare Vorgaben und umfassende Instrumente, um die Gewalt gegen Frauen und die häusliche Gewalt wirkungsvoll zu bekämpfen. Zentraler Punkt: die Potenzierung der Gewaltschutzzentren als spezifische Einrichtungen im Allgemeinen und vor allem in den Bereichen Prävention und Schutz.
Das Ganze ist nicht nur ein formaler Akt, sondern verbindlich für alle Staaten, welche die Konvention ratifizieren.
 
Das mag jetzt vielleicht nach trockener Juristerei klingen, ist es aber nicht. Vor allem sollte die Istanbul-Konvention nicht nur in Gerichtssälen oder politischen Kreisen zum Einsatz kommen, sondern in sämtlichen Lebensbereichen als nützliches Instrument genutzt werden. So sollten beispielsweise Journalist:innen sich bei jedem Artikel fragen, ob sie mit der einen oder anderen Zeile gegen die Konvention verstoßen und dann dementsprechend korrigieren. Kindergärtner:innen könnten die Bücher der KIGA-Bibliothek, Lehrer:innen das Schulmaterial nur dann einsetzen, wenn es nicht gegen die Konvention verstößt. Ärzt:innen und Pflegekräfte müssten die notwendigen Voraussetzungen haben, um mit Opfern von Gewalt zu interagieren. Musiker:innen, Werbeagenturen & Co. sollten sich dessen bewusst sein, dass ihre Veröffentlichungen nicht gegen die Vorgaben der Konvention arbeiten dürfen. Ordnungskräfte, Richter:innen, Anwält:innen sollten… oje. Und die No-Choice Vereine? Die sollten keine Unterstützung von öffentlicher Hand erfahren. Auch sie sabotieren die Präventionsarbeit dieser Konvention.
 
Italien hat die Istanbul-Konvention sogar als eines der ersten Länder 2013 ratifiziert und mit dem Gesetz Nr. 77 von 2013 rechtskräftig gemacht. Die obengenannten Beispiele sollten also nicht mein ganz persönlicher Wunschtraum sein, sondern auch hierzulande schon längst tatkräftig umgesetzt werden.
Detto, fatto. Oder doch nicht? Denn so sehr die Istanbul-Konvention immer wieder mit Alibifunktion als Schild vorangetragen wird, so traurig sieht es mit ihrer tatsächlichen Umsetzung aus. Davon spricht sehr detailliert der von der Expertengruppe GREVIO ausgearbeitete Bericht über gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen zur Umsetzung dieses Übereinkommens. So war Italien 2020 vertragsbrüchig, sei es bezüglich des Schutzes von Frauen, sei es hinsichtlich Prävention und auch was die Präsenz der Gewaltschutzzentren und die zur Verfügung gestellten Ressourcen betrifft.
 
Und Südtirol? Hat leider auch keine Vorbildfunktion. So wurde zwar ein neues Landesgesetz zu den Frauenhausdiensten verabschiedet, das sich zumindest formell an die Istanbul-Konvention lehnt, doch wie es bei der Umsetzung aussieht, wird sich erst zeigen. Was jetzt schon klar ist: die Potenzierung der Gewaltschutzzentren, die in der Konvention einen sehr bedeutenden und zentralen Punkt stellt, kann eindeutig verbessert werden. Dabei geht es um Ressourcen, z.B. den Vorgaben entsprechende Frauenhäuser oder Finanzierung von spezifischen Projekten zur Unterstützung von Frauen und Kinder in Gewaltsituationen. Es geht um das Einbeziehen der Expertinnen bei strategischen Entscheidungen und Präventionsmaßnahmen. Und es geht eigentlich um die allgemeine Anerkennung und Unterstützung der Gewaltschutzzentren als spezifische Einrichtungen mit klarer feministischer Haltung und kritischem Blick auf das ungleiche Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern und der daraus resultierenden Gewalt und Diskriminierung von Frauen. Im Sinne der Istanbul-Konvention kann die Transformation der Gesellschaft nur so bewirkt werden.
 
Woher dann dieser Widerstand? Ganz banal: Die Freiheitsrechte der Frauen stellen eindeutig die bestehende Ordnung in Frage. Höchste Zeit dafür! Wir bleiben dran … ich lade euch herzlich ein zu einem Flashmob am 11. Mai 2022 um 18.00 Uhr am Waltherplatz in Bozen! Freut Euch auf eine lustvolle und laute Aktion von Frauenmarsch – Donne in Marcia mit weltweitem musikalischem Wiedererkennungswert!!!