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Trumps letzter Trumpf

Nach dem Sturm auf das Kapitol scheint Trump geschlagen. Was ihm noch blüht, was ihm bleibt und wie es weitergeht - auch für Europa.
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Foto: Max Letek - Unsplash

Der 6. Januar 2021 wird ohne Zweifel als einer der unrühmlichsten Tage in die Annalen der US-amerikanischen Zeitgeschichte eingehen. Bis zu jenem Tag war es keiner Protestbewegung jemals gelungen, die Hallen und Zimmer des Kapitols in Washington zu stürmen, dem Sitz der Legislative der Vereinigten Staaten. Der neugewählte US-Präsident Joe Biden sprach nach dem gewaltsamen Mob von „einem beispiellosen Angriff auf unsere Demokratie“ – der wohlgemerkt ältesten Demokratie der Welt.

Nahezu widerstandslos zeigten sich die für den Schutz der Parlamentsgebäude zuständigen Polizisten der Capitol Police, angesichts tausender, vielfach gewaltbereiter Anhänger des bald scheidenden Staatsoberhauptes Donald Trump. Unter ihnen fanden sich auch zahlreiche Vertreter rechtsextremer, neonazistischer und rassistischer Gruppierungen. Am Ende starben fünf Menschen während der Unruhen im und um das Kapitol. Noch schwerer wiegen dürfte hingegen aber der symbolische Schaden für die vulnerabel wirkenden und durch Trump in Mitleidenschaft gezogenen demokratischen Institutionen des Landes.

 

Mit dem noch amtierenden Präsidenten war schnell ein Mitschuldiger für die Ausschreitungen gefunden. Mitt Romney, einer der wenigen parteiinternen Widersacher Donald Trumps sprach im Zuge des Kapitolsturms von einem „Aufstand, angestachelt vom amerikanischen Präsidenten.“ Ähnliche Worte eines von Trump „angezettelten, bewaffneten Aufstandes gegen Amerika“ fand auch die kürzlich wiedergewählte Sprecherin des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi. 

In der Washington Post waren folgende Zeilen zu lesen: „Trump ist sowohl Symptom als auch Ursache der Ausbrüche am Mittwoch, ein Präsident, der in einem Aufschrei des Protests gewählt wurde und der die Macht seines Amtes genutzt hat, um Wut und Feindseligkeit nicht einzudämmen, sondern erst zu entfachen. Es sollte keine Überraschung sein, dass es in den letzten Tagen seiner Präsidentschaft zu einer Revolte gegen die Wahlergebnisse kommen würde.“

Alles andere als unvorhersehbar nannte auch Joe Biden die Eskalation von Mittwoch: „We could see it coming.“ Tatsächlich kursierten auf Twitter schon im Dezember Informationen, wonach es am 6. Januar zu geplanten Unruhen kommen könnte. Man hätte es also kommen sehen müssen, hätte Vorzeichen und Warnungen ernstnehmen sollen.

 

Die interne und weltweite Empörung war dennoch immens. Unklarheit herrscht indes noch darüber, ob die Ereignisse in Washington der traurige Tiefpunkt und krönende Abschluss der letzten vier Jahre waren, oder ob die fehlenden neun Amtstage noch weitere Überraschungen bereithalten.

 

Womit ist bis zur Amtsübergabe zu rechnen?

 

Wie es die US-amerikanische Verfassung will, wird Joe Biden am 20. Januar als 46. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Dass dieser Regierungswechsel geordnet stattfinden wird, hat mittlerweile auch Trump eingestehen müssen, auch wenn er seine Teilnahme an der Angelobung bereits abgesagt hat. Bis dahin hält dieser aber noch wesentliche Zügel der Exekutive in seiner Hand.

Besonders in außenpolitischen Fragen hat er weitreichende Befugnisse. Wie Martin Weiss, Österreichs Botschafter in Washington, aber im ORF feststellt, wäre es eine völlige Umkehr von Trumps Politik, nun einen Krieg vom Zaun zu brechen. Er glaubt ohnedies kaum, dass sich die Lage weiter zuspitzen wird bis zur Amtsübergabe - der Schock sitze laut ihm zu tief. Zudem würden viele Parteifreunde, die ihm bis dato eisern den Rücken gestärkt hatten, zurückrudern - obgleich die Basis der Partei noch in großer Zahl zu ihm halten dürfte. 

 

Bei Exponenten der Demokratischen Partei wurden kurz nach den Ausschreitungen bereits Stimmen laut, wonach Donald Trump in den letzten Tagen seiner Präsidentschaft nach Möglichkeit noch seines Amtes enthoben oder durch den Zusatzartikel 25 der Verfassung entmachtet werden sollte.

„Dieser Mensch ist tödlich, für unsere Demokratie und für unser Volk“, empörte sich Pelosi am Tag nach dem Mob. Noch heute am Montag könnte laut CNN von Seiten der Demokraten eine Resolution zur Amtsenthebung Trumps - es wäre seine zweite - in das Repräsentantenhaus eingebracht werden. Nahezu unmöglich wäre allerdings der erfolgreiche Abschluss so eines Verfahrens, noch vor dem regulären Ende seiner Amtszeit am 20. Jänner, da der Senat spätestens am 19. Januar darüber beraten könnte, berichtet die New York Times. Allerdings kann ein sogennantes Impeachment auch vollzogen werden, wenn die betroffene Person ordnungsgemäß aus dem Amt geschieden ist. Der Vorteil für die demokratische Partei läge auf der Hand: wird Donald Trump nämlich von einer einfachen Mehrheit des Repräsentantenhauses und in weiterer Folge von einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Senats für schuldig befunden, könnte er in Zukunft kein öffentliches Amt mehr bekleiden, jenes des Präsidenten der Vereinigten Staaten eingeschlossen. 

Auch auf medialer Front spitzt sich die Lage für den Präsidenten jetzt noch zu. Nach dem vermeintlichen Bruch mit seinem Haus- und Hofsender Fox News, sehen sich nun wohl auch die sozialen Medienriesen Twitter und Facebook, die Trump jahrelang eine formidable Bühne für Hasstiraden und Falschbehauptungen boten, im Endspurt seiner Regierungsperiode zum Einschreiten gezwungen: der Kurznachrichtendienst werde Trumps Profil auf unbestimmte Zeit blockieren, Mark Zuckerberg kündigte an, Trump bis mindestens 20. Januar von seinen Plattformen Facebook und Instagram verbannen. 

 

Der letzte Trumpf

 

Einen letzten Trumpf scheint Trump vermeintlich doch im Ärmel zu haben. Der Politologe Peter Filzmaier hält es für möglich, dass Trump über seine eigene Begnadigung noch vor Ablauf seiner Amtszeit nachdenkt. Möglich wären laut Filzmaier zwei Szenarien: Trump könnte einerseits versuchen, sich selbst zu begnadigen. Die Rechtslage hierzu scheint aber höchst undurchsichtig, einen Präzedenzfall gibt es nicht.

Die zweite Möglichkeit bestünde in der Anwendung des oben genannten 25. Zusatzartikels der Verfassung - der (eigenen) Feststellung der Amtsunfähigkeit des Präsidenten - und der Machtübergabe an Vizepräsident Mike Pence, der Trump wiederum in letzter Minute begnadigen könnte. Dies wäre insofern von großer Bedeutung, als Trump mit der endenden Präsidentschaft auch seine Immunität verliert. Damit könnten ihm eine Vielzahl an Verfahren und Untersuchungen drohen, unter anderem in Zusammenhang mit seiner wirtschaftlichen Tätigkeit.

 

Biden übernimmt. Und dann...? 

 

Ungeachtet des Schicksals von Donald Trump, übernehmen die Demokraten in wenigen Tagen die Macht im Weißen Haus und den beiden Kammern des Kongresses. Auf der Agenda des neugewählten Präsidenten stehen imminente Themen: die Bewältigung der Covid-19-Krise, Maßnahmen gegen Klimawandel und die „Wiederherstellung der Demokratie“, wie er es selbst formulierte.

Laut Peter Filzmaier wird es für Biden kein einfaches werden, einerseits die zum Teil polarisierenden demokratischen Agenden umzusetzen und andererseits einer hochgradig polarisierten Trump-Anhängerschaft gegenüberzustehen. Geht es aber nach Botschafter Weiss, dann könne kaum jemand besser mit den Republikanern zusammenarbeiten, als Biden, der bereits zu Barack Obamas Amtszeiten ein gutes Gespür zur Kooperation hatte.

Die Gefahr Trump könnte – zumindest vorerst – gebannt sein. Roger Johnson, der Vizepräsident der Republicans Overseas hält gar eine neuerliche Kandidatur Trumps bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2024 für unwahrscheinlich, wie er im ORF gesteht. Ein erfolgreiches Impeachment-Verfahren gegen Trump würde dessen Ambitionen für eine zweite Amtszeit aber ohnehin zunichtemachen.

 

Dennoch bleiben wohl die Nachwirkungen Trumps nach dessen Abdankung spürbar – auch in Europa. Dort hofft man aber nach vierjähriger transatlantischer Beziehungskrise mit Biden in ein ruhigeres Fahrwasser zu kommen. „Joe Biden wird auf Europa zugehen mit ausgestreckter Hand, die Töne werden ganz andere werden. Er wird ein guter Partner sein“, gibt sich Martin Weiss überzeugt.

Europa komme trotzdem nicht umhin, seine Hausaufgaben selbst zu erledigen, so Weiss: „Gemeinsam kommt man viel besser durch die Schwierigkeiten der Welt. Europa muss sich aber um seine eigene Sicherheit kümmern, unabhängig von den USA.“

Die Symbolik der Ereignisse in Washington bleibt für die demokratischen Staaten Europas schockierend und warnend zugleich. In Deutschland evozieren sie Erinnerungen an ähnliche Versuche im August, den Bundestag in Berlin zu stürmen. Europa sei nicht gefeit vor der Gefahr des Rechtspopulismus und müsse wohl selbst erstmal vor der eigenen Haustür kehren, unterstreicht auch Ewa Ernst-Dziedzic, Politikwissenschaftlerin und Grüne Abgeordnete zum österreichischen Nationalrat, nicht zuletzt mit Blick nach Polen und Ungarn.