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Oscars: Südkorea schreibt Filmgeschichte

"Parasite" triumphierte" bei der 92. Oscar-Verleihung in vier Kategorien und sorgte damit für eine historische Wende in der Geschichte des Filmpreises.
Bong Joon-ho
Foto: Fox

Die Academy Awards, kurz Oscars, sind eine konservative, vorhersehbare und von brancheninternen Machtdemonstrationen geprägte Preisverleihung. Das ist nicht erst seit einigen Jahren so, wurde gefühlt aber zunehmend schlimmer. Den Höhepunkt der Lächerlichkeit und wohl der gleichzeitige Tiefpunkt einer in den Verruf gekommenen Veranstaltung markiert der Sieg des vergessbaren Feel-Good-Films „Green Book” als Bester Film im letzten Jahr. Aus diesem Grund, und weil es im Vorfeld so aussah, als gäbe es auch in diesem Jahr keine Überraschungen zu erwarten, wollte ich zunächst nichts zur Verleihung schreiben. „1917” von Sam Mendes, ein gut gemachter, aber kaum hervorstechender Kriegsfilm, der, je mehr Zeit vergeht, deutlich an Wirkung verliert, galt als großer Favorit auf die Hauptpreise Bester Film und Beste Regie. In den technischen Kategorien wie Beste Kamera konnte der Film durchaus triumphieren, doch die Show wurde ihm überraschenderweise von „Parasite” des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho gestohlen. Die bitterböse Gesellschaftsatire mit Elementen des Thrillers und Horrorfilms galt zwar als Garant für den Besten Internationalen Film, doch dabei bleibt es meist. Selbst Filme hochgeschätzter ausländischer Regisseure können bei den letzten Endes doch sehr amerikanischen Oscars nur in ihrer eigenen Nische siegen. So geschah das Wunder. Die Academy zog den langen Stock aus ihrem Arsch und wagte es doch tatsächlich, Bong Joon-ho mit den Preisen für das Beste Drehbuch, die Beste Regie, den Besten Internationalen Film UND den Besten Film zu prämieren. Besonders letzteres ist bemerkenswert und in der Geschichte einzigartig. Mit dem Sieg in der Königsklasse markiert „Parasite” einen Wendepunkt. Zum allerersten Mal in 92 Jahren seines Bestehens ging der Hauptpreis an einen nicht-englischsprachigen Film und ebenso zum ersten Mal an den selben Film, der auch in der Internationalen Kategorie siegen konnte. Wer die Oscars ein bisschen kennt, der weiß, dass die Academy besonders beim Hauptpreis gerne gefällige Filme auszeichnet. Solche, die niemanden wehtun und auch die sich alle einigen können. Solche, die man innerhalb eines Jahres wieder vergessen hat und weit von großem künstlerischem Wert entfernt sind. Es gibt viele Ausnahmen, sicherlich, doch dass die Oscars in dieser Hinsicht wieder mutiger werden, darf doch als Überraschung gelten. Nun wurde als Südkorea diese Ehre zu Teil. Noch dazu ist „Parasite” der erste Film aus diesem Land, der den Oscar gewinnt. Abermals dürften Kenner der Filmgeschichte überrascht und zurecht verstimmt die Augenbrauen heben, ist doch ausgerechnet der südkoreanische Film spätestens seit Anfang der 2000er Jahre einer der international lautesten und präsentesten, gehaltvollsten und variantenreichsten. Die künstlerische Identität des Landes hinterlässt seit Jahren tiefe Fußabdrücke. Bong Joon-ho ist ein Teil dieser Flutwelle an Filmen, die ihren Anfang in den 1990er Jahren fand. Die sogenannte Neue Koreanische Welle, etwa das Äquivalent zu der Nouvelle Vague oder dem New Hollywood zeigte von Anfang an eine große Varianz in Sachen Genre und Themen. Von politischen Blockbustern bis hin zu romantischen Komödien oder ungewöhnlichen Perspektiven auf das Genre-Kino war alles dabei und verhalf dem Land zu filmhistorischer Größe. Vieles davon fand wohlgemerkt im eigenen Land statt und drang nicht in den internationalen Mainstream. Kenner aus dem Ausland freuten sich aber über die Filme von Park Chan-Wook, Yeon Sang-ho, Lee Chang-dong oder eben Bong Joon-ho, die allesamt vom koreanischen Regisseur Kim Ki-young und seinem 60er Jahre Film „The Housemaid” beeinflusst wurden. „Oldboy”, „Burning”, „Memories of a Murder”, „Train to Busan”... diese Liste ist lang.

 

Parasite - Official Trailer

Was bedeutet der Sieg von „Parasite” nun also für Bong Joon-ho und das südkoreanische Kino im Allgemeinen? Der Regisseur selbst, der jedoch auch schon vor diesem historischen Erfolg in der Branche anerkannt und für seinen markanten Stil, nämlich das geschickte Vermischen von Genre-Film und Gesellschaftskritik („The Host”, „Snowpiercer”) bekannt war, dürfte nun einen kompletten Freifahrtschein haben. Nur wenige Filme konnten seit ihrer Premiere, in „Parasite”´s Fall in Cannes, derart viele Preise einheimsen und Begeisterung auf der ganzen Welt hervorrufen. Ob Bong Joon-ho in seinem nächsten Werk, was immer es auch sein mag, abermals mit einheimischen Darstellern arbeitet, oder wie etwa bei „Snowpiercer” oder „Okja” auch amerikanische Schauspieler miteinbezieht, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist er spätestens jetzt ganz oben angekommen und als Auteur des Weltkinos nicht mehr wegzudenken. Für sein Land und dessen Filmindustrie verheißt das ebenfalls nur gutes. Durch den bedeutenden Mehrfachsieg bei den Oscars erhält nicht nur „Parasite” einen enormen Werbeeffekt, sondern auch Südkorea festigt sich als Filmland in den Köpfen der Menschen. „Parasite” wird nun in deutlich mehr amerikanischen Kinos laufen als zunächst geplant. Das ist bemerkenswert, da nicht-englischsprachige Filme, anders als in Europa, in den USA kaum im Kino gezeigt werden. Untertitel zu lesen ist ja schließlich eine besonders kräftezehrende Aufgabe und dem amerikanischen Publikum wohl nicht zuzumuten. Vielleicht werden Kinobetreiber nun eines besseren belehrt. Auch aus politischer Sicht ist die Wahl des Siegers ein deutliches Zeichen an das Weiße Haus. Das US-amerikanische Kino sagt damit: Das Ausland ist bei uns willkommen und kann selbst über die guten bis sehr guten einheimischen Produktionen siegen. Der Nationalismus-Wahn eines Donald Trump hat keinen Einfluss auf die Vergabe des Preises. In diesem Sinne möchte ich mich bei den Oscars für ihre Einsicht bedanken, Qualität vor Produzenten - Einfluss zu stellen, dem südkoreanischen Kino gratulieren und auch den Südtirolern ans Herz legen, mehr Internationales zu schauen. Besonders der asiatische Raum hält so manches Wunderwerk bereit. Es lohnt sich. Auch wenn mal keine deutsche Synchronisation vorliegt. Denn wie sagte schon Bong Joon-ho selbst in seiner Rede bei den Golden Globes:

 

"Once you overcome the one-inch tall barrier of subtitles, you will be introduced to so many more amazing films!"