Kultur | Salto Return

#101118

In Salto Return geht es nicht um mafiöse Zustände in Österreich, Ungarn, USA oder Italien. Es geht um Theater, um Manifeste, um alte und neue Kunst. Und um Cannoli.
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Foto: Foto: Salto.bz

Manifesta  
„Ein millionenschwerer Auftrag wird in Palermo auf dich warten…“ versprach mir eine geheime aber ansonsten gut formulierte E-Mail-Nachricht Anfang November. Prompt machte ich mich auf den Weg. Welchen Auftrag ich in Sizilien zu erledigen hätte, sollte ich allerdings erst in La Kalsa, einem palermitanischen Stadtteil, in Erfahrung bringen. Über eine erneute E-Mail ereilte mich dann am vergangenen Samstag (pünktlich um 17.51) Uhr die Botschaft, ich möge mich schleunigst zum Teatro Garibaldi aufmachen. Ich wusste natürlich, dass das alte Haus im fernen Jahr 1861 erbaut wurde, dass dort Garibaldi seine Rede O Roma, o morte gehalten hatte, und dass dort sogar Wim Wenders mit einem gewissen Campino am Film Palermo Shooting gearbeitet hat.
Ich stärkte mich also um 17.52 Uhr mit einem wohl nicht letzten süß-großen Cannolo und marschierte mit einem passenden Geschäftskoffer um 17.53 von der Pasticceria an den vereinbarten Ort.

Ich trat in das wunderbare Theater und erblickte, in einem Liegestuhl sitzend, einen Mann mit Hut. Ich lugte über seine Schulter in sein Skizzierbuch und staunte nicht schlecht. Er spürte wohl meinen feinen Gauloises-Atem im Nacken und drehte sich um.
„Simma?“ fragte ich.

Wir verließen auf leisen Sohlen den schmucken Theatersaal und bogen in die nächste menschenleere Gasse. Dort flüsterte Simma in mein Ohr: „Palermo war bezaubernd, auch wenn es die letzten Tage der Manifesta fast andauernd regnete. Zum Abschluss der gewaltigen Kunstschau gab es dann aber reichlich Sonnenschein. Die Manifesta durchschaute diese wunderbare Stadt und platzierte dementsprechend alle Veranstaltungen in wunderbar anmutenden Orten, stolzen Palazzi oder meist nicht öffentlich zugängliche Bauten aus dem Glanz und dem stillen Anmut dieser uralten und trotzdem so lebendigen Stadt. Bravo Manifesta, bravo Palermo!“
Dann schenkte mir Simma zum Abschied seine Hand und eine Zeichnung vom Teatro und verschwand in der Dunkelheit. Verängstigt aber glücklich lief ich zurück ins Teatro Garibaldi, buchte mir am Manifesta-Schalter ein Ticket für den kommenden Tag, verschlang auf dem Heimweg noch drei oder sechs Cannoli und schlief anschließend luftig und frei wie ein Engel.

Manifest
Am nächsten Tag suchte ich nahezu alle von Manifesta realisierten Artspaces auf, ging erhobenen Hauptes durch den Orto Botanico, fuhr auf den Pizzo Sella, besuchte die grandiosen Palazzi ButeraForcella De Seta und Ajutamicristo, in welchem ich sogar eine Arbeit von Rayyane Tabet erspähte, der gegenwärtig eine noch größere Arbeit in Bozen ausstellt.

Für die am Abend angesetzte Manifesta-Abschlussveranstaltung inkl. Bürgermeister im Teatro Garibaldi stärkte ich mich noch mit acht oder zwölf Cannoli, legte mich im Anschluss auf den Theaterboden und hörte zu, was die Menschen an der Manifesta gut und weniger gut fanden. Doch dann überkam mich plötzlich eine unerklärlich wohltuende Übelkeit. Was war geschehen?

Ich hörte noch ein leises „Grazie Manifesta“ aus dem Munde von Leoluca Orlando, dann – ich nehme an, es lag an den millionenschweren Bio-Cannoli – fiel ich in einen künstlichen Tiefschlaf:
In tragikgotresken Traumphasen durchstreifte ich Palermos Vergangenheit, war zu Gast in herrschaftlichen Palazzis, lief mit breitem Grinsen durch die Gassen des Quartiere Borgo Vecchio, beobachtete die Fertigstellung des Teatro Massimo und die Anbringung des Schriftzuges L'arte rinnova i popoli e ne rivela la vita. Gegen Ende meines Traumes begegnete ich einem Maler der gerade den sakralen Bau San Giovanni degli Eremiti zu Papier brachte. Ich wußte wer er war und fragte sogleich, weshalb er gegenwärtig mit Rayyane Tabet im Rahmen einer größeren Arbeit in Bozen gezeigt wird.
Der Künstler antwortete mit: „Sì, ma...?“
Dann brach unser Gespräch ab und ich erwachte, nachdem ich rund eine Woche lang rasender Hauptprotagonist meines eigenen Kunstschlafes gewesen war. Wahnsinn.

Nun saß ich am Ende, eine Woche nach dem ganzen Manifesta-Trubel, ganz alleine im Teatro Garibaldi. Was sollte ich hier noch machen? 
Spontan nutzte ich die Gunst der Stunde, krämpelte meine Ärmel hoch und setzte das Manifest für eine Europäische Republik auf den leeren Spielplan des Theaters. Bühne frei!