Kultur | Salto Weekend

Dem Namen nach

„Judas“, der Name löst einige Assoziationen aus, Wissen ruft er weniger in Erinnerung. Markus Westphal im Einpersonenstück von Lot Vekemans versucht eine Aufarbeitung.
Judas, Markus Westphal
Foto: Andreas Marini
Im Theater an der Altstadt wird unter der Regie Alexandra Wilkes gespielt, das Bühnenbild ist dabei auf den ersten Blick schlicht, aus Holzblöcken setzt sich der Name der Stunde zusammen. Solide Zimmermannsarbeit (Bühne: Walther Thaler). Ich erlaube mir den Witz, bald folgen weitere Jesuswitze auf der Bühne, das Stück will dabei nicht etwa gotteslästerlich, sondern ambivalent sein. Vor Beginn der Aufführung sind Straßeninterviews zu hören: „Was wissen Sie von Judas?“ Die Antworten sind verschiedene Variationen von: „Er hat Jesus verraten.“ Viel weiter kommt man bei der Kenntnis-Prüfung nicht, vielleicht auch weil man informiertere Stimmen nicht zu Wort kommen lässt, jedenfalls wundert es im 21. Jahrhundert nach Christus (und Judas) nicht.
Westphal betritt die Terrasse oberhalb der Bühne im schwarz-ledernen, langen Trenchcoat mit einer ähnlichen Frage, ob hier jemand sei, der ihn nicht kenne. Es würde bestimmte Erwartungen geben, welche er nicht erfüllen könne. Die Form des folgenden Stückes, mit einem zwischen Weltverdruss, Schicksalsergebenheit und aufbrausendem Zorn mit sich selbst hadernden Judas, ist weniger abgeschottet monologisierend und mehr eine durchlässige Stücksituation suchend. Immer wieder wendet sich Judas direkt ans Publikum. Durchlässig auch der „Fehlstart“ des Stückes: Westphals Assistentin informiert ihn, dass jemand seine Karte nicht bezahlt hat. (Ich war es, hatte den Vorteil eines Rezensenten angenommen, ohne mir groß Gedanken zu machen)
Judas hegt einen Groll, verwirft den Begriff der Ehrlichkeit, kommt kurz bei Anstand zum Stehen und legt die Sache vorerst mit einem „Wem der Schuh passt“ resignierend ad acta. Zur Auflockerung solle er einen Witz erzählen. Judas begibt sich auf Augenhöhe mit dem Publikum, es folgt eine Reihe trocken vorgelesener Jesuswitze, die man vielleicht schon kennt, ein Vorzeichen für sein komplexes Verhältnis zum Sohn Gottes. Die Stimmung hebt das nicht besonders, und um das zu unterstreichen, gibt es, um das blecherne und, ja, die Unaufrichtigkeit zu betonen, will ich den Englischen Begriff eindeutschen: Lachen aus der Dose. Sich des Mantels entledigend gibt Westphal Tanktop, Trainerhose und Klebetattoos frei, ein Spiel mit dem „Badboy“-Image. Auch spielt der Schauspieler dieses in Folge aus, um seinen Charakter als unzuverlässiger Erzähler zu unterstreichen und beginnt am Anfang seines Lebens, mit klausulierten biographischen Eckdaten: Er, Judas, sei am längsten Tag des Jahres geboren, als der Schatten den die Sonne warf, am längsten war. Den Fokus des Abends liegt auf den drei Lebensjahren, welche er mit seinem Meister teilte.
Auch hier ein Verweis auf die Grautöne der Figur und ein Setup für eine von mehreren Klammern, welche sich zum Ende des Stückes hin schließen sollen, was einen Abschluss ermöglicht, auch wenn sich „Judas“ nicht lösen lässt. Westphal erzählt in Folge Geschichten aus dem Leben „Jesu“, am liebsten solche, für welche nur er und Jesus Zeugen waren. Die Holzblöcke werden hierzu neu angeordnet, was Szenenwechsel schafft, in welchen Westphal seine Arbeit an der Figur mit körperlicher abwechselnd kann. Aus der Rolle schlüpft Westphal für die Dauer des Abends nie: Auch als er sich (gewollt oder ungewollt) den Kopf an der freistehenden Treppe stößt gibt es einen stummen Zeigefinger gen Himmel.
 
 
Womit Judas hadert, was ihn - neben unbezahlten Theaterkarten - zur Weißglut bringt ist dabei nicht der eigene Verrat („einer musste es tun“), sondern die restlichen Jünger und Jesus selbst, der sein Schicksal akzeptierte. Während Jesus gelassen in die gute Nacht ging, wütet Judas gegen das Sterben des Lichts, auch körperlich wenn er die Worte und Zeichen setzenden, massiven Holzbausteine geräuschvoll umstößt. Westphal gibt seinem Auftritt dadurch etwas physisch Bedrohliches, der Fokus des Stückes liegt auf Konfrontation und unangenehmen Fragen. Es soll ein „anregender“ Theaterabend sein, bei allem Polternden und aller Strenge auf der Bühne, ist es eine Einladung in sich zu gehen. Umso intensiver ist es, wenn Westphal dann mit Zärtlichkeit zurückblickt auf einen Menschen „aus Fleisch und Blut“, der für ihn die Welt bedeutete.
Zuviel sei nicht verraten, am Ende schließt sich auch noch bei der Musikwahl für den stilvollen Abgang von der Bühne eine letzte Klammer, als zum Intro des Songs der Gesang einsetzt und man die einzig folgerichtige Wahl getroffen hat. Mit „Judas“ zeigt das TidA ein Theaterstück, welches mit der Besetzung des Schauspielers steht oder fällt. Es steht, ist dabei hart aber fair, mit dem Publikum und mit sich selbst. Denken Sie also daran für den Eintritt zu zahlen.