Bühne | Kommentar

Mit dem Kopf durch die Wand

Über Depression zu sprechen fällt nie leicht. Im Meraner TidA tut man es mit „Die Wand“ seit gestern eindrucksvoll und empathisch nahe an (m)einer Lebensrealität.
Die Wand, TidA, Sabine Ladurner
Foto: Andreas Marini
  • Langanhaltenden Schlussapplaus gab es gestern zur nicht ganz ausverkauften Premiere im Theater in der Altstadt für die Frauen, die den Roman von Marlen Haushofer (Stückfassung von Dorothee Hartinger) auf die Bühne gebracht haben. Sabine Ladurner schlüpft in die Rolle der namenlosen Protagonistin und Ich-Erzählerin ihrer eigenen Existenz, die von einer unsichtbaren Wand am Verlassen eines Tals gehindert wird. Unter der Regie von Magdalena Schwellensattl hadert Ladurner mit dem ihr aufgezwungenen Alleinsein und versucht, daraus keine Einsamkeit werden zu lassen.

    So entwickelt sich eine zusehends vertrautere, allerdings nie auf Augenhöhe stattfindende Beziehung zu den Tieren, die mit ihr hinter der Wand eingeschlossen sind. Hund, Katz und Kuh kommen als Pappe-Aufsteller auf die Bühne, die neben Objekten einer Jagdhütte mit allerhand Tiermotiven in Collage, Bild und Plakatform bunt machen. Die großzügige Ausstattung von Zita Pichler auf der Bühne, die im ersten Moment vielleicht an ein Teenagertagebuch aus einem Hollywoodfilm erinnert, verfolgt dabei ebenso einen Zweck wie die visuelle Grenze die man im Bühnenraum zieht. Zweimal wird letztere überschritten, zweimal gibt es einen Grund dafür, der die Wand am Ende in unseren Augen nur verfestigt.

    Man muss kein Literaturwissenschaftler sein, um die Wand als Metapher für Depressionen zu verstehen, man muss noch nicht mal zu den direkt oder indirekt Betroffen zählen. Wie gut diese Metapher allerdings auf der Bühne funktioniert, ist mir wichtig festzuhalten. Sabine Ladurner setzt sich, nach einem Prolog auf dem Theaterstuhl der ersten Reihe in die Abgeschiedenheit und kommt in Beziehung zu sich selbst. Ab dem Moment, als sie in die Jagdhütte fährt und feststellt, dass tags darauf eine unsichtbare Grenze zwischen ihr und dem Rest der Menschheit gezogen wird, thematisiert das Stück auf gewisse Weise auch die zwingende, schwer zu durchbrechende Wechselwirkung zwischen Einsamkeit und Depression. Wenn die Frage, ob nun Einsamkeit eine Depression bedingt oder umgekehrt auch eine Frage nach Huhn und Ei ist, so befeuern sich die beiden Zustände doch gegenseitig.

  • Die Wand: Mehr und mehr leert sich im Laufe des Abends der bunte, anfangs fröhliche Bühnenhintergrund scheinbar. Alle Farben und Motive sind nach wie vor da, nur mit der Rückseite nach vorne. Analog dazu spielt uns in der Depression die Erinnerung einen Streich: Wir waren schon immer depressiv, Farbe hatte und wird nie einen Platz in unserem Leben finden. Foto: Andreas Marini

    Unsere Hauptdarstellerin spielt kaum mehr so direkt zum Publikum wie sie es zu Beginn getan hat, da ist immer etwas leicht Abwesendes, ein Moment in dem der Monolog mit Tieren knapp an uns vorbei gespielt wird. Mit Scham behaftet, weil sich für Außenstehende schwer eine Sprache finden lässt, ist auch das Gefühl, allein mit seinen Gefühlen zu sein, das den Rückzug und den Trugschluss sich niemand anvertrauen zu können noch bestärkt. Gerade diese Erfahrung hat dabei eigentlich fast schon etwas Universelles, Verbindendes, wenn wir den Mut finden offener mit dem Thema umzugehen.

    Auch in ihrem Spiel biedert sich Ladurner nicht zu sehr an das an, was man sich auf der Bühne erwartet. Immer wieder wird sie von depressiven Schüben oder manisch-verzweifelten Versuchen, positive Aspekte in ihrer Situation zu finden oder zu schaffen, eingeholt. Diese im ersten Moment als unpassend empfundenen Wege sind authentisch, wenn auch nicht zielführend. Hilfreich ist dagegen, das eigene Denken zu hinterfragen, wenn man sich, ob kurz oder lang, von negativen Gedanken „wie von einem Schwarm Hornissen“ verfolgt fühlt. Hier kann die Kunst uns dabei helfen festgefahrene Kreisläufe zu durchbrechen, Aussicht auf Möglichkeiten bieten. Dem Mexikanischen Poeten und Aktivisten gegen Gang-Gewalt César Cruz wird einer meiner liebsten Sätze zur Kunst zugeschrieben, den später auch Banksy übernehmen sollte: „Art should comfort the disturbed and disturb the comfortable.“ Kunst solle also jene, die verstört oder gestört sind trösten und die übrigen in ihrem Komfort stören.

    Wem die Erfahrung Depression erspart geblieben ist, der mag „Die Wand“ in gewisser Weise als eine Störung erleben, die nach Möglichkeit zugelassen werden sollte. Vielleicht kann das Stück hier Anfang eines Denkprozesses sein und zu mehr Verständnis gegenüber Betroffenen führen. Für die, denen Depression seit Langem oder auch erst seit Kurzem keine Fremde mehr ist, durchbricht das Stück die emotionale Illusion, allein mit der eigenen Situation zu sein. Auch wenn sich die Erfahrungen einer 43-jährigen Frau nicht eins zu eins auf jene eines bald 31-jährigen Mannes umlegen lassen, so ist da dennoch ausgesprochen viel, das in gewisser Weise als tröstlich erfahren werden kann.

    Auf dem Weg aus der eigenen Depression kann ich sagen, dass mir der Abend im TidA gutgetan hat, weswegen statt einer Rezension heute ein Kommentar erscheint, der zu mehr Offenheit im Umgang mit Einsamkeit und Depressionen animieren soll und den Frauen danke sagen möchte. Sprechen wir darüber. Gehen wir mit dem Kopf durch eine Wand, die zwischen uns nicht existiert.

  • „Die Wand“ wird das nächste Mal morgen Abend, 20 Uhr, im Theater in der Altstadt zu sehen sein und wird bis zum 26. April gespielt. Zur Reservierung und zu den weiteren Terminen finden Sie hier.