Gesellschaft | Interview

“Ich suche nie nach Skandalen”

Markus Wilhelm rüttelt mit seinen Aufdecker-Geschichten an festgefahrenen Tiroler Strukturen. Was treibt den Blogger und Bergbauern an?
Markus Wilhelm
Foto: Privat

Dieser Tage ist Markus Wilhelm mit Heuarbeiten beschäftigt. Im Ötztal bewirtschaftet der 62-Jährige inzwischen einen Bergbauernhof. Doch neben dem Ausmisten im Stall gehört das “Ausmisten in der Politik” zu Wilhelms Lieblingsbeschäftigungen, wie es der FALTER 2011 auf den Punkt brachte. Der Tiroler Publizist und Blogger schreibt seit 1984 über Missstände und Vorgänge in der Tiroler Politik, Wirtschaft und Kulturszene. Set 2004 betreibt er den Blog dietiwag.org.
Mit seiner Mischung aus gründlicher Recherche und spitzfedriger Polemik durchleuchtet er etwa Verquickungen zwischen Tiroler ÖVP und dem landeseigenen Stromkonzern Tiwag – die ihm ab 1988 eine Serie an Gerichtsverfahren bescheren. Wilhelm gräbt in der braunen Vergangenheit der Schützen, in den Abgründen der Festspiele von Erl und veröffentlicht Anschuldigungen gegen deren künstlerischen Leiter Gustav Kuhn. Sein jüngster Coup: Ende August deckt Markus Wihelm Unregelmäßigkeiten bei einem Gewinnspiel des inzwischen in den Nationalrat gewählten ÖVP-Abgeordneten Dominik Schrott auf. Nachdem der öffentliche Druck wächst, tritt Schrott zurück. Was treibt Markus Wilhelm an, wie arbeitet er? Und warum sieht er sich selbst nicht als Aufdecker?

Trotz Heuarbeiten hat er sich Zeit genommen, auf diese und weitere Fragen zu antworten.

salto.bz: Herr Wilhelm, Wikipedia stellt Markus Wilhelm als “Publizist, Umweltaktivist und Bergbauer” vor. Als was sehen Sie sich?

Markus Wilhelm: Bah, die Leute brauchen halt Zuschreibungen. Wenn etwas über mich auf Wikipedia steht, dann wohl nicht weil ich nebenbei ein kleiner Schrofnbauer bin mit Sense und Mistgabel. Die einen sagen, ich sei ein politischer Aktivist, die anderen, ich sei ein Journalist, ich hab da keinen Einfluss darauf, mir ist das auch ziemlich egal. Es geht ja nicht um den Begriff, sondern um das, was man tut. 

 

Was Sie tun: sich scheinbar ohne Scheu mit vielen “Mächtigen” anlegen. Woher kommt dieser Drang?

Das ist alles andere als ein Drang von mir. Eher umgekehrt: Zustände und Machenschaften drängen sich mir auf. Ich bin nie auf der Suche nach Skandalen.

 

Was wollen Sie bezwecken?

Es ist ganz lustig, sozusagen für einen Tag, wenn jemand zurücktreten muss. Aber es befriedigt mich nicht. Damit ändert sich strukturell noch nichts. Köpfe kommen und gehen, die Zustände selbst sind viel hartnäckiger. Und eigentlich kämpfen wir ja gegen diese und nicht gegen irgendwelche austauschbaren Figuren.

 

Wertvolle und verwertbare Informationen kommen genauso von ganz unten wie von ganz oben.

 

“Nur weil die anderen die Zudecker sind, seh mich noch nicht als Aufdecker”, sagen Sie 2013 in einem Interview. Wer sind “die anderen”?

Zum Beispiel Journalisten, die von der Politik oder der Wirtschaft vorbereitete Texte verbreiten, Gefälligkeitsinterviews machen, zu Pressekonferenzen hinlaufen oder den Themen nachrennen, die irgendjemand anderer lanciert usw. Damit kann man ganz, ganz viel zudecken. Trotzdem ist aufdecken allein noch kein Selbstzweck, deswegen mag ich den Begriff “Aufdecker” auch nicht. Das greift mir zu kurz. Aufdecken allein ist ja noch nichts Aufklärerisches. Man muss dann schon auch das analysieren, was darunter liegt. Um die bloßgelegten Strukturen geht es da erst, in der Analyse und Beschreibung dieser Zusammenhänge liegt der Mehrwert einer sogenannten Aufdeckung.

 

Penible Recherche, Hartnäckigkeit, Unerschrockenheit – vermissen Sie diese Ihre Eigenschaften im Journalismus heute?

Nicht grundsätzlich. Es gibt schon richtig, richtig gute Journalisten, auch im Inland. Natürlich gibt es immer zu wenige davon.

 

Aufhören? Da würden sich manche vielleicht freuen.

 

Wie gelangen Sie an Ihre Informationen?

Das ist ganz verschieden. Es gibt Geschichten, die ich einfach selber gerne machen mag und wo ich dann nach Informationen suche und mein Netzwerk nutze, und dann gibt es Hinweise jeder Art und Qualität, die auf den verschiedensten Kanälen zu mir gelangen, wobei anonyme und damit oft auch unüberprüfbare am wenigsten taugen. Wertvolle und verwertbare kommen genauso von ganz unten wie von ganz oben.

 

Warum tragen Ihre Quellen die Informationen nicht woanders hin?

Es ist ja nicht so, dass andere Medien keine guten Infos bekommen. Bestimmte kommen eher zu mir, weil es bei mir keine wirtschaftlichen Abhängigkeiten und keinen politischen Einfluss gibt. Die Erl-Geschichte hätten “TT” (Tiroler Tageszeitung, Anm.d.Red.) oder ORF Tirol vielleicht auch irgendwie gemacht, die Betonung liegt auf “irgendwie” – in Form eines Einmalberichts. Ich bleib da aber dran – auch nach einer ersten Veröffentlichung, ein Jahr lang, wenn nötig auch länger. Und dabei kommt immer mehr ans Licht, immer schlimmere Dinge. Das ist auch das Spannende.

 

Von Politik und Gegnern werden Sie schon mal kleingeredet – ärgert oder ehrt Sie das?

Hätt’ ich jetzt nicht gemerkt. Ich bin mir auch leicht groß genug. Es hat nicht nur Vorteile, wenn man als “Aufdecker”, gar “der Aufdecker” verschrien ist. Man wird dann auch zeitweise richtiggehend zugestellt und zugemüllt mit Zuschriften und Anrufen, quasi als Ombudsmann für alles und jedes gesehen und, ja, missbraucht. Da wäre mir das Kleinreden fast lieber. Aber was Politik und Gegner in Bezug auf mich tun oder nicht tun, ist mir ziemlich wurscht.

 

Etablierte Medien bedienen Sich gern Ihrer Geschichten, verschweigen jedoch, wer sie ins Rollen gebracht hat. Zum Beispiel hat die Tiroler Tageszeitung zuletzt die Causa Schrott “nach einem Bericht eines Internetportals” aufgegriffen. Warum? Darf es nicht sein, dass ein Blogger als Aufdecker präsentiert wird?

Hier muss man unterscheiden: Sämtliche Medien in Österreich oder auch in Südtirol oder Deutschland geben, wenn sie was übernehmen, mich oder meine Internetseite als Quelle an – mit Ausnahme der “Tiroler Tageszeitung”. Der Hintergrund ist, dass ich den TT-Chefredakteur Zenhäusern im Falle des stockbetrunkenen Alt-Landeshauptmanns Partl der Zeitungsente des Jahres überführt habe und den Geschäftsführer der TT-Mutter “Moser-Holding” Hermann Petz bei seinem gefeierten Buch-Erstling als plumpen Plagiator entlarvt habe.

 

 

Sie durchleuchten traditionelle, lang gewachsene Strukturen, Gebilde und Verflechtungen. Gibt es für Sie (k)ein Tabuthema?

Im Prinzip nicht. Aber ich trau mich natürlich an Sachen nicht heran, wenn ich davon zu wenig verstehe. Wenn es zu speziell, zu fachspezifisch zum Beispiel, wird oder etwas in Form eines Internet-Artikels nicht vermittelbar ist, lasse ich die Finger davon. Oder wenn ich etwas aus eigener Anschauung nicht beurteilen kann. Es gibt ja genug andere Themen.

 

Haben Sie sich je davon abbringen lassen, die eine oder andere Geschichte nicht zu bringen?

Ja, aber nur, wenn das Material letztlich nicht gereicht hat oder die Recherchen nicht zu machen waren.

 

Was Politik und Gegner in Bezug auf mich tun oder nicht tun, ist mir ziemlich wurscht.

 

Wieviele Prozesse haben Sie inzwischen hinter sich bzw. am Laufen? Haben Sie je daran gedacht, aufzuhören?

Genug. Nein, zu viele. Im Moment sind acht Stück anhängig. Alle in Zusammenhang mir Erl und Kuhn und Haselsteiner. Prozesse kosten Zeit und Geld und binden Energie. Was ja von den Klägern auch genau so beabsichtigt ist. Aber aufhören? Da würden sich manche vielleicht freuen. Daran denke ich nicht, solange der Spaß den Stress überwiegt.

 

“Ausmisten im Stall und in der Politik” betitelt der FALTER 2011 ein Porträt von Ihnen. Was machen Sie lieber?

Das eine ist körperlich anstrengend, das andere Kopfarbeit. Beides ist notwendig.