Politik | Wir und unsere Nachbarn

Ist mir doch Wurst!

Ist mir doch Wurst, wer den Europäischen Song Contest gewinnt. Über musikalischen Geschmack muss nichts mehr geschrieben werden. Das Festhalten am Wettbewerb zwischen den Nationen, so als ob wir alle in Konkurrenz stünden, wirkt jedes Jahr noch ein bissel mehr antiquiert. Und doch ist der Song Contest als Gradmesser der Stimmungslage zwischen den einzelnen Volksgruppen immer wieder spannend. Wie kann es sein, dass 48 Jahre nach Udo Jürgens Österreich wieder gewinnen kann?

Genau das ist es: Nicht Österreich hat gewonnen, sondern Conchita Wurst. Kein nationales „Wir sind Papst“ Erstarken wellte durch die Österreichische Medienwelt, sondern Respekt vor der Kunstfigur Tom Neuwirths, die im eigenen Land genauso unterschätzt wurde, wie nach 48 Jahren Erfolgspause das eigene nationale Selbstwertgefühl. Ich dachte zuerst, Strache würde von seinem Austria sprechen, als er von sich gab:

Ist es jetzt ein “Es”, ein “Er” oder eine “Sie”?

Straches Sager kristallisierte sich dann doch als Ausspruch über Wurst heraus, Ausdruck unverwurzelter Überforderung der heimischen Rechten, die anstatt vor den Europawahlen den Wahlplakaten entsprechende, nationale Gesinnung zu zeigen, sich lieber derart nahtlos in Kommentare Russischer Politiker einreiht:

"Unsere Empörung ist grenzenlos, das ist das Ende Europas", sagte Schirinowski, der in Staatsduma als Fraktionsvorsitzender seiner Liberaldemokatrischen Partei Russlands (LDPR) amtiert, im russischen Fernsehen "Rossija". "Da unten gibt es keine Frauen und Männer mehr, sondern stattdessen ein Es", ergänzte der Politiker und fügte hinzu: "Vor fünfzig Jahren (sic!) hat die Sowjetarmee Österreich besetzt und wir waren bis 1955 dort. Es war aber ein Fehler, dem Land die Freiheit zu geben. Wir (unsere Truppen, Anm.) hätten dort bleiben sollen." Er bezog sich auf die Besatzungszeit in Österreichs Osten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Da wird mir doch eines augenscheinlich: es geht nicht mehr um Männlein oder Weiblein, nicht mehr um rechts oder links, nicht mehr um äußere oder innere Feinde einer Nation, nicht mehr um Nationalstolz und nicht um nationales Beleidig Sein gegenüber der ehemaligen Besatzungsmacht. Wie gut das tut!

Conchita Wurst hat sicher eine gute Figur gemacht. Hat durch Mut und durch eine Darbietung, die sich ganz bewusst auf das Wesentliche konzentriert, ja reduziert hat, Sympathiepunkte geholt. Und genau damit hat sie Österreich ehrlich repräsentiert. Das laute Gepolter der Haiderzeiten scheint überwunden. Zehn Punkte hat es sogar aus Frankreich gegeben. Zwölf Punkte aus Slowenien wären sich ohne die Entspannungspolitik Peter Kaisers den Kärntner Slowenen gegenüber wohl nicht ausgegangen. Zwölf Punkte aus der Schweiz hätte es nicht gegeben, hätte sich Österreich, so wie etwa Deutschland, über die jüngste Schweizer Volksabstimmung lustig gemacht. Sind zwölf Punkte aus Italien nicht wie Balsam auch auf Südtiroler Wunden?

Und Deutschland? Auch das Deutsche Televoting Publikum entschied sich für Wurst. Es war die Experten-Jury, die dies auf die viel zitierten, mageren sieben Punkte herunter gedämpft hatte. Aus Ungarn 10, aus der Ukraine 8. Sämtliche Euro-Krisenstaaten (Irland, Griechenland, Portugal, Spanien, Italien) gaben Österreich die volle Punktezahl.

Will man denn nun aus diesen Zahlen tatsächlich etwas ableiten, dann was denn? Dass Österreich wieder wählbar ist? Dass mit seiner unspektakulären, unarroganten und doch immer konstruktiven und konstanten Politik der letzten Jahre das Land seinen Platz im Herzen Europas wiedergefunden hat? Bei aller Vorsicht, den ESC überzubewerten, der Gradmesser für Geosympathie kann inmitten der vordergründigen Genderdiskussionen nicht unbeobachtet bleiben:

Österreich hat nicht mit Conchita Wurst gewonnen. Vielmehr hat Conchita bewiesen, dass Österreich ein souveräner Sieger ist. Bescheiden. Unlaut. Bravo Conchita. Bravo Austria.