Kultur | Salto Afternoon

Flussers Aussage

"Kunstwerke sind Vorschläge für zukünftiges Erleben." Eine mehrstimmige Reflexion über die Aussage des Philosophen Vilém Flusser ist demnächst im Kunsthaus Meran zu sehen
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Foto: Kunst Meran/o Arte

Am 16. August 1972 bezogen Vilém und Edith Flusser eine Dachwohnung im Meraner Stadtteil Obermais. Drei Jahre lang war dem Medienphilosoph und Kommunikationswissenschaftler diese Wohnung am Stadtrand mit Blick auf die Bergkette der Texelgruppe Wohnort, Ausgangspunkt für Reisen in Europa und Schreibstube für das Verfassen seiner Schriften. Meran stellte für Edith und Vilém Flusser einen Übergang zwischen dem Abschied aus Brasilien und der Rückkehr nach Europa dar, es war Ort des Rückzugs und Engagements zugleich.

Flusser plädierte dafür, Kitsch als angenehm und vertraut zu erklären, während Schönheit als ein neuer Vorschlag erst zu lernen sei und daher unangenehm ist.

In einem Brief an die befreundete Künstlerin Regina Klaber Thusek, die – wie Flusser jüdischer Abstammung – in den 1930er-Jahren vor den Nationalsozialisten nach London geflüchtet war und schließlich von den Faschisten nach Meran konfiniert worden ist, schrieb Flusser am 23. Januar 1976: "Kunstwerke sind Vorschläge für zukünftiges Erleben." Der Satz war Teil eines Dialoges, den die beiden schon länger über das Verhältnis von Schönheit und Kitsch führten. Flusser plädierte dafür, Kitsch als angenehm und vertraut zu erklären, während Schönheit als ein neuer Vorschlag erst zu lernen sei und daher unangenehm ist.
Dieses Zitat, das in unmittelbarem Zusammenhang mit jüngeren Kulturgeschichte Merans steht, bildet nun – 45 Jahre nach dessen Formulierung – den Ausgangspunkt für die Ausstellung KUNST IST.


Der Aufenthalt Vilém Flussers in Meran war für seine Theorien der 1970er und 1980er Jahre wesentlich. Land und Stadt, Berg und Ebene sind Gegensätze, die in Flussers Begriffspaar Dialog und Diskurs von zunehmender Bedeutung sein werden. Auch hat Flusser die Vielfalt immer gegenüber der Einheit bevorzugt. Zahlreiche Ansätze seiner Theorien lassen sich mit den Fragestellungen von Themenausstellungen bei Kunst Meran, dem aktuellen Kunstdiskurs und dem Selbstverständnis des Kunstvereins verknüpfen. Dass sein umfangreiches Schriftenwerk teilweise auch in Meran formuliert wurde, darf mit Freude an den Ausgangspunkt dieser Jubiläumsausstellung gestellt werden. Meran, eine internationale Kurstadt mitten in einer Region, die just in diesen Jahren – gebeutelt von zwei Weltkriegen und zwei totalitären Regimen – zu einer modellhaften Autonomie gelangte, hat Flusser durch seine Mehrsprachigkeit, wechselvolle Geschichte, Internationalität und geografische Lage inspiriert. Auch für den Kunstverein Kunst Meran war dieses Erbe stets Auftrag für ein ambitioniertes, interdisziplinäres Programm.
Nicht zuletzt unternimmt Kunst Meran mit dieser Ausstellung den Versuch, die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu reflektieren. Viele Jahre intensiver Zusammenarbeit mit Fachpersonen aus Kunst, Architektur und anderen Bereichen haben die Ausstellungstätigkeit der 20jährigen Institution geprägt. Dieser Aspekt wurde nun zur Form und zur Methode des Jubiläumsprojektes gleichermaßen und findet seinen Ausdruck in einem vielstimmen Ergebnis.

Die Kurator*innen Valerio Dehò, Luigi Fassi, Sabine Gamper, Günther Oberhollenzer, Andreas Kofler, Anne Schloen, Magdalene Schmidt und Susanne Waiz bringen vom 17. Juli bis 24. Oktober nun gemeinsam ihre Vorschläge für zukünftiges Erleben durch Kunst und Architektur ein.
Nach den pandemiebedingten restriktiven Maßnahmen für den Besuch von Ausstellungen und Museen, ist die Kunst im letzten Jahr nur vordergründig ins Abseits geraten. So fehlt ihre Stimme der Gesellschaft in zunehmendem Maß – ihre visionäre Kraft wird weiter dringend benötigt. Flussers Feststellung Kunstwerke sind Vorschläge für zukünftiges Erleben wird im Ausstellungstitel KUNST IST. komprimiert und postuliert deren gesellschaftlichen Wert.

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Greta Karlegger Mi., 14.07.2021 - 15:59

"Flusser plädierte dafür, Kitsch als angenehm und vertraut zu erklären, während Schönheit als ein neuer Vorschlag erst zu lernen sei und daher unangenehm ist."

Endlich mal ein guter Satz, über den nachzudenken sich lohnen könnte.

Mi., 14.07.2021 - 15:59 Permalink