Gesellschaft | Auszeichnung

„Südtirol wachrütteln“

Die Politische Persönlichkeit des Jahres 2021 ist das Kollektiv Frauenmarsch – Donne in Marcia. Die Bewegung setzt sich für Gleichberechtigung ein und will laut bleiben.
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Foto: (Foto: salto.bz)

Die „Politische Persönlichkeit des Jahres 2021“ der Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft ist nicht eine Person, sondern das Kollektiv Frauenmarsch – Donne in Marcia. Passend zur feministischen Bewegung findet die feierliche Verkündung am 12. April im Meraner Frauenmuseum statt. In der anschließenden Podiumsdiskussion stellt die Südtiroler Gleichstellungsrätin Michela Morandini klar, dass die Baustellen noch immer dieselben und daher noch viel zu tun ist.  

 

 

 

„Der Preis geht heuer an ein Kollektiv, weil Fortschritt im Bereich der Gleichstellung nur gemeinsam erreicht werden kann. Unter dem Motto ‚Südtirol wachrütteln‘ setzen sie sich für Gleichberechtigung ein und holen auch die Männer ins Boot, weil auch Männer unter Geschlechterstereotypen leiden“, erklärt Katharina Crepaz in der Laudatio. Die Wissenschaftlerin vom Institut für Minderheitenrecht an der Eurac moderiert den Abend mit anschließender Podiumsdiskussion zum Thema Gleichberechtigung.

 

Forderungen ausgearbeitet

 

„Wir verstehen die Auszeichnung nicht nur als Anerkennung, sondern auch als Auftrag weiterzumachen“, sagt eine Stellvertreterin des Kollektivs. Baustellen gibt es genug: Das Kollektiv Frauenmarsch – Donne in Marcia hat seine Forderungen vergangenes Jahr in einem Manifest verschriftlicht und als Appell in mehreren Sprachen zusammengefasst. Sie sprechen sich unter anderem gegen toxische Männlichkeit, Femizide und die gesellschaftliche Entmündigung von Frauen und für Fairness (auch in der Berichterstattung), Freiheit über den eigenen Körper und eine Männerquote von bis zu 50 Prozent aus.

 

 

Die Gleichstellungsrätin der Autonomen Provinz Bozen, Michela Morandini, kommt in der Podiumsdiskussion auf den nötigen Kulturwandel zu sprechen, um Gleichberechtigung in den wesentlichen Bereichen von Bildung, Arbeit, Gesundheit und Politik zu erreichen.

 

Kulturwandel nötig

 

Wo Südtirol derzeit in Sachen Kulturwandel steht, bringt die freischaffende Journalistin Anita Rossi am Podium auf den Punkt: „Rai bringt bei Pro und Contra diese Woche die Diskussion zur Kleiderordnung in der Schule. Das ist Haare sträubend, denn eine Kleiderordnung schränkt die Entfaltung von Mädchen ein.“ Das Thema wurde durch den Protest von Schülerinnen an einer Brunecker Oberschule ins Rampenlicht gebracht, der Titel der Diskussionssendung lautet „Bauchfrei in die Schule?“.

 

Die Mutterschaft ist noch immer der Genickschuss für die Erwerbstätigkeit der Frauen - Michela Morandini

 

Für Morandini ist Südtirol eine christlich geprägte Region mit ländlichem Raum und kleinen Ballungszentren, der die starke Kultur der Meinungsäußerung in anderen Regionen Italiens fehlt. „Wir sind lange still“, sagt sie in Bezug darauf in der Podiumsdiskussion.

 

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

 

„Viele Frauen sind in den letzten Jahren ins Prekariat gerutscht und haben in der Pandemie ihren Job verloren. Zudem haben Frauen nach der Betreuungszeit ihrer Kinder schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt, hier braucht es gesetzliche Änderungen“, erklärt Matteo Borzaga, Beauftragter für Parität der Autonomen Provinz Trient am Podium im Frauenmuseum.

 

 

Dem stimmt Morandini zu: „Die Mutterschaft ist noch immer der Genickschuss für die Erwerbstätigkeit der Frauen.“ Damit spricht sie die schwierige Vereinbarung von Familie und Beruf an. „Wir haben noch immer das Bild von Mama, Papa und Kinder im Kopf und bauen darauf die Gesetze auf“, erklärt sie und fordert eine Neuausrichtung der Familienpolitik. Denn die meist von Frauen geleistete, unbezahlte Sorgearbeit sei im Grunde Ausbeutung.

Die nächste Aktion des Kollektivs Frauenmarsch – Donne in Marcia findet voraussichtlich am 11. Mai statt, um dem elften Jahrestag der Istanbul Konvention zu Gewalt gegen Frauen zu gedenken. Der völkerrechtliche Vertrag wurde am 11. Mai 2011 von 13 Mitgliedsstaaten des Europarates in Istanbul unterzeichnet und schreibt vor, die Gleichstellung der Geschlechter in der Verfassung zu verankern. Auch Italien hat den Vertrag unterzeichnet und ratifiziert.