Bühne | Gastspiel

Tanz den Surrealismus

„Bells and Spells“ will in 70 Minuten viel. Ein bisschen Tango, ein bisschen (romantische) Komödie, ein bisschen Zaubershow, ein bisschen Surrealismus. Ist das zu viel?
Bells and Spells
Foto: Richard Haughton
  • Es ist voll auf der Bühne, Bauteile für Illusionen und wandelbare, kleine skizzenhafte Szenen aus dem Leben einer Taschendiebin, gespielt von Aurélia Thierrée, rollen auf und ab. Es wird an unsichtbaren Fäden gezogen, mit der Perspektive einer Schaukasten-Bühne gespielt, damit Dinge oder Personen verschwinden, oder etwa der Kopf eines Mopses auf einen Frauenkörper wandert und der eines Mannes auf den Mopskörper. Nicht alles davon hat einen tieferen Sinn, die Mission des Stücks scheint zuoberst zu sein, uns zu unterhalten.

    „Bells and Spells“ ist zu großen Teilen das Liebeskind Victoria Thierrée Chaplins, der Mutter der Hauptdarstellerin und siebenten Tochter eines berühmten Charlie, die neben ihrer Tochter, die Regie, die ursprüngliche Idee, das Bühnenbild und Kostüme sowie, gemeinsam mit Armando Santin, die Choreografie zum Projekt beisteuert. Auch Victoria Thierrée Chaplins Erfahrung in der Welt des Zirkus fließt sichtlich in den Abend ein und kann dabei zum allgemeinen Spektakel noch beitragen. Das Stück, das mit einer Choreographie für fünf Personen und vier Wartesaal-Stühlen beginnt und anfangs noch offenlässt, wie tanzhaft der Abend wird, öffnet sich schnell dem Surrealen. Dieses bricht in den Bühnenraum ein als sich eine der Lumpengestalten, die stoisch warten, als wunderschöne Frau entpuppt, im „Roaring Twenties“ Glamour-Kleid, durch ein Loch in der Wand steigt und verschwindet. Das Charisma Aurélia Thierrées ist dabei fast ausreichend um bei uns die Schwierigkeiten an der Aufführung, die schwer zu kategorisieren wäre, zu erwecken.

    Rasch begegnet sie ihrem männlichen Gegenspieler, der im Gegensatz zu den übrigen Statisten etwas mehr Bühnenraum einnehmen darf: Jaime Martinez darf als Tango-Partner mit aufs Plakat und bestimmt auftreten, während er sich von der charmanten Taschendiebin den Kopf verdrehen und sich ausrauben lässt. Schade, dass bei dieser Untergrabung der traditionellen Rollenverteilung im Tanz nicht noch tiefer geschürft wurde, da man durchaus kurz zu spannendem Tanz findet. Als die Szene in einen Wald aus hölzernen Garderobenständern verlegt wird lässt man uns daran denken, wie auch mit Stepptanzelementen Gene Kelly im Film „Singin’ in the Rain“ Straßenlaternen besungen und betanzt hat.

  • Bells and Spells: Von solchen Tango- oder tangohaften Einlagen gibt es gefühlt zu wenige im Stück. Foto: Richard Haughton
  • Abgesehen von einer Klammer, die sich mit der Wartezimmer-Wand am Ende des Stücks wieder schließt, hat das Potpourri an Szenen und Sketches dabei keinen rechten Handlungsbogen. Es gilt von Moment zu Moment zu unterhalten und nicht viel Leerlauf zwischen einem Lacher, einem beeindruckenden Bild oder einem Fitzelchen an Handlung vergehen zu lassen. 

    Immer wieder fallen am Abend auch einzelne Sätze zwischen den Darstellern, die etwas von einer Krücke haben, da es nicht ausreicht, um hier von Dialogen sprechen zu können. Bei allem visuellen Einfallsreichtum auf der Bühne, fällt es schwer sich vorzustellen, dass es sich bei diesen Restworten um die bestmögliche Art handelt, dem Zuschauer Informationen zu vermitteln.

    Das Spiel mit Publikumserwartungen fällt am Abend so aus, dass im eigentlichen Handlungsverlauf zwar keine Überraschungen zu erwarten sind, dafür aber in den einzelnen Bildern, die aus Perspektive, Personal und Requisite gewoben werden. Die Elemente aus der Zaubershow unterhalten uns dann gut, wenn sich etwa Arme hinter einem Ständer mit einem Dutzend Kleidern zu einer absurd weiten Umarmung ausweiten, wenn das Gemälde einer Schlacht in Bewegung kommt und zu bluten beginnt, wenn ein überlebensgroßes Monster aus Garderobenständern auf der Bühne vorbeischaut oder der x-te Gegenstand von unserer Taschendiebin auf besonders dreiste Weise eingesteckt wird.

    „Bells and Spells“ ist eine Sammlung schöner Momente, die gegen Ende anfängt, formulaisch zu wirken und so, als hätte dem Stück neben der Unterhaltung ein weiteres Ziel gefehlt. Das schmälert am Ende auch jene Momente, in denen „Bells and Spells“ unleugbar eine große Produktion mit vielen, zum Teil ganz neuen und einprägsamen visuellen Ansätzen ist. Ein wenig ist der Abend so, wie die von Aurélia Thierrée gespielte Diebin: Die Beweggründe der Handlung gehen über ein traumhaftes Ineinanderfließen nicht hinaus, was ein launiges Stück auch launisch und zu sprunghaft macht und dadurch allzu leichtfertig mit dem großen Talent umgeht, das ihm zur Verfügung steht.

  • Bells and Spells wird noch heute Abend, 19 Uhr sowie morgen Nachmittag, 16 Uhr im Bozner Stadttheater gezeigt.