Wirtschaft | Milchwirtschaft

Gebremster Turbo

Die Großbauern rund um die Biogasanlage in Sterzing sorgen für Stunk in Südtirols Milchwirtschaft. Können sie ausgebremst werden?
Kühe
Foto: upi

Offen verteufeln kann sie Arnold Schuler nicht: „Man muss zugestehen, dass die Biogasanlage Wipptal einen sehr innovativen Ansatz darstellt, ein bestehendes Problem zu lösen“, sagt der Landwirtschaftslandesrat. „Doch gleichzeitig stellt sich hier die Frage, wo Südtirols Viehwirtschaft hin will.“ Eine Frage, die sich besonders dringlich aufdrängte, als zu Beginn dieser Woche ein ehemaliger Landeshauptmann (Luis Durnwalder), ein ehemaliger SEL-Präsident (Klaus Stocker) samt Würdenträgern aus der EU-Kommission oder dem römischen Senat Lobeshymnen auf ein seit Beginn umstrittenes Unterfangen von 62 Wipptaler Bauern sangen: die seit einem Jahr aktive Biogasanlage in Wiesen/Pfitsch, mit der seit ihrer Inbetriebnahme schon über 30.000 Tonnen Gülle und Mist zu Biogas bzw. Strom sowie Naturdünger verarbeitet wurden.

Aus „Mist wird Gold“ lautete das euphorische Bild, das bei der offiziellen Eröffnungsfeier der mit EU-Mitteln geförderten Anlage bemüht wurde. Dass dabei so manchen Geladenen das Lächeln gefror, hat weniger mit den Leistungen der Biogasanlage selbst als mit der Tatsache zu tun,  dass sie einen Missstand zementiert, der von weiten Teilen der Südtiroler Milchwirtschaft als Bedrohung gesehen wird: eine - zumindest aus heimischer Perspektive - Massenproduktion, die nichts mit der flächenbezogenen und extensiven Landwirtschaft zu tun hat, für die in Südtirol auf Milchpackungen wie in Sonntagsreden geworben wird.

2,5 Großvieheinheiten pro Hektar Fläche dürfen Viehbauern in Südtirol bis zu einer Höhe von 1250 Metern halten; mit steigender Höhenlage sinken die Großvieheinheiten kontinuierlich auf 1,8. Mit diesen Vorgaben aus dem Gewässerschutz hat das Land zu Beginn dieser Legislaturperiode fast alle Förderungen im Landwirtschaftsbereich – „bis hin zum Wohnhaus“ - an den Viehbesatz gekoppelt, unterstreicht Schuler. Der Großteil der heimischen Viehbauern hält sich laut dem Landwirtschaftslandesrat auch daran, Doch wie sich besonders im Tälern wie dem Wipptal oder im unteren Pustertal zeigt, scheint so manchem Landwirt die Rechnung besser aufzugehen, wenn er auf Produktionsmaximierung statt auf Förderungen setzt.

Turbo-Bauern 

Als „Turbo-Bauern“ werden die Höfe mit 150 oder auch bis zu 200 Kühen gerne bezeichnet, die das ganze Jahr im Stall bleiben und aufgrund der fehlenden Flächen vor allem zugekauftes Futter fressen. Das sie dann klarerweise auch wieder in entsprechenden Mengen von sich geben. „Auch institutionelle Vertreter der Milch- und Viehwirtschaft verschließen die Augen vor der Realität, nämlich, dass die Belastung des Bodens, der Umwelt, des Gewässers durch Gülle und Mist ein riesiges Problem darstellt, das bewältigt werden muss“, wetterte Ex-SEL-Präsident Klaus Stocker als nunmehriger Präsident von Biogas Wipptal bei der Einweihungsfeier. Dass die bisherigen Güllemengen im Wipptal teils rund doppelt so hoch waren als erlaubt, wurde dort ohne falsche Scham vor laufender Kamera zugegeben.

"Diese Tiere könnren genauso gut in der Po-Ebene stehen"

Warum bei solchen Überschreitung der Gewässerschutz-Bestimmungen offenbar großzügig hinweggeschaut wurde, ist nun nicht mehr die dringlichste Frage. Denn durch die Entsorgung bzw. Weiterverarbeitung der überschüssigen Gülle in der Biogasanlage haben die betreffenden Bauern dieses Problem gelöst. Statt ihren Viehbestand abbauen oder weitere Flächen dazu pachten zu müssen, hängen sie sich jetzt mit ihrer Anlage gar ein grünes Mäntelchen um, wie Klaus Stocker am Montag vorführte. Doch obwohl offiziell noch wenig durchdringt, ist absehbar, dass das Kapital damit noch lange nicht abgeschlossen ist. Denn die Verantwortlichen der Südtiroler Milchwirtschaft scheinen nicht gewillt zu sein, solch pragmatische Lösungen widerstandslos hinzunehmen. Schließlich wird auch die Milch der Turbo-Produzenten als Südtiroler Qualitätsmilch vermarktet – in diesem Fall sogar großteils vom besonders hochwertig positionierten Sterzinger Milchhof, der seinen Mitgliedern immer noch traumhafte Auszahlungspreise von fast 60 Cent bietet. Sind die für Milch von Betrieben gerechtfertigt, die sich kaum von Massenbetrieben in Dänemark, Deutschland oder Frankreich unterscheiden? „Diese Tiere könnten genauso gut in der Po-Ebene stehen, von wo auch ihr Futter kommt“, heißt es unter Milchvermarktern. Für das mühsam aufgebaute Image der Südtiroler Milchprodukte sicherlich kein Aushängeschild. Und für viele klein strukturierte Betriebe, die zum selben oder niedrigeren Auszahlungspreisen unter weit aufwändigeren und naturnäheren Bedingungen wirtschaften, eine Watsche ins Gesicht.

Intensive Diskussionen

Auch deshalb könnte in Südtirols Milchwirtschaft in näherer Zukunft noch so mancher gerichtlicher Krach bevorstehen. Offiziell spricht Landesrat Schuler nur von „intensiven Diskussionen“. „Man kann davon ausgehen, dass wir das Ziel einer flächenbezogenen und nachhaltigen Berglandwirtschaft weiter verfolgen werden“, meint Sennereiverbands-Obmann Joachim Rainalter.  Entlocken lässt er sich allerdings nur, dass Südtirols Milchhöfe derzeit an einer Art Nachhaltigkeitvereinbarung arbeiten, die den Kurs für die kommenden zehn bis 15 Jahre vorgeben soll. Insbesondere was die Qualitätskriterien betrifft, müsse man dabei eine Lösung finden, die für alle Milchhöfe gut geht und von allen umgesetzt werden kann, sagt der Obmann der Bergmilch und des Sennereiverbandes. Hört man sich dazu in der Branche um, wird erzält, dass sich die Milchhöfe in einer Klausur im Juni darauf eingeschworen haben, nun gemeinsam durchzuboxen, was einzelne Verarbeiter wie die Bergmilch bereits vorexerzieren: Dort erhalten Mitglieder, die ihre Produktionsmenge steigern, laut Reinalter bereits das zweite Jahr für Mehrmengen nur mehr den Versandmilchpreis. Solche Kriterien plant man nun offensichtlich gemeinsam auszubauen – bis hin zum Lieferstopp für Mitglieder, die komplett von Flächen entkoppelt arbeiten. Dass das nicht widerstandslos hingenommen werden wird, zeigt sich bereits in Sterzing, wo dem Milchhof laut Gerüchten auf entsprechende Versuche bereits mit Klagedrohungen geantwortet wurde. Geschäftsführer Günther Seidner war für eine Stellungnahme dazu für salto.bz nicht erreichbar. Es liegt jedoch auf der Hand, dass es leichter sein wird, neue Qualitätskriterien und Mengenbeschränkungen südtirolweit statt als einzelner Milchhof durchsetzen. Noch dazu, wenn die betroffenen Bauern gerade viel Geld in eine Anlage zur Lösung des Problems investiert haben – und promintente Fürsprecher wie den Ex-Landeshauptmann hinter sich haben.

Auch bei Landesrat Arnold Schuler versuchten Abgesandte der Biogasanlage am Dienstag Nachmittag in einem Treffen für Verständnis zu werben. „Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist ihre Position in weiten Teilen nachvollziehbar“, meinte er im Anschluss. Schließlich lohne es sich bei den Südtiroler Auszahlungspreisen große Mengen zu produzieren. Doch der Position einzelner Bauern stehe das große Ganze gegenüber. Und dort glaubt  auch Schuler voll an das Modell einer flächenbezogenen Viehwirtschaft. Ein Grund mehr, warum die Biogasanalge keinen Cent an Fördergeldern aus seinem Ressort erhalten hat. Primär müsse in dieser Diskussion jedoch die Wirtschaft zu einem Konsens finden. "Die Politik kann hier keine Lösung diktieren", sagt Schuler.  „Doch wir sollten uns noch einmal bewusst machen, dass Südtirol die enorme Krise des europäischen Milchmarktes nicht einmal mit einem blauem, sondern wirklich nur einem leicht blauen Auge überstanden hat – weil wir eben nicht in unmittelbarer Konkurrenz mit Großbetrieben stehen, die oft 500 bis 1000 Kühe haben.“