Kultur | Radio Tandem

98.400 - Einfach unkonventionell

Frei und unkonventionell: die Musik, die Sendungen und die Mitglieder. Seit 40 Jahren gilt Radio Tandem als Sprachrohr der links-alternativen Szene Bozens.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Legacoopbund

Ein Interview mit dem Vizepräsidenten der Genossenschaft Thomas Brancaglion.

Hörerzahlen interessieren hier niemanden. Es ist völlig egal wie viele Leute zwischen Salurn und Bozen die Sendungen von Radio Tandem hören. Werbung verkauft man eh nicht. Die Sendungen sind unkonventionell, teilweise skurril und extravagant. Jeder kann mitmachen. Alternative Musikrichtungen und satirische Sendungen haben hier ebenso Platz wie Evergreens oder Nachrichten.
Zum 40. Jubiläum haben wir bei Thomas Brancaglion, Mitglied und Vizepräsident der Genossenschaft, nachgefragt, wie es um Radio Tandem steht.

Mit dem neu erschienen Buch „40 anni di radiofonia e informazione fuori dal coro“ von Paolo Crazy Carnevale feiert Radio Tandem seinen 40. Geburtstag. Was zeichnet euch aus?
Thomas Brancaglion: Das kollektive Schaffen. In einer Gesellschaft wo sich alles nur um den Einzelnen dreht und jeder nur auf das eigene Wohl fokussiert ist, ist das Projekt von Radio Tandem eine Rarität. Wir bieten Platz für Diskussionen, bringen Menschen zusammen und schaffen Mehrwert für die Gemeinschaft.

Bei Radio Tandem gibt es keine Angestellten, nur ehrenamtliche Mitarbeiter. Wie viele seid ihr?
Die Genossenschaft zählt zirka 60 Mitglieder. Ungefähr 25 Leute arbeiten regelmäßig mit. Fünf davon sind in der Verwaltung tätig und 20 moderieren regelmäßig Sendungen.

Was für Sendungen?
Jeder kann frei entscheiden wie er seine Sendung gestalten möchte. Grundlegend ist, dass man Respekt vor dem Zuhörer zeigt und, falls Politiker eingeladen werden, gewisse Vorlagen einhält.
Berühmte Sendungen sind zum Beispiel „La Musica Dentro“, bei der Musiker als Gäste eingeladen werden, die satirische Sendung „Cuarta Classe“, bei der Künstler und Musiker ausgequatscht werden, oder die Sendung mit dem Deejay Mr. Alex „Rock Radio“.

Ein besonderes Projekt ist die Radiosendung „Interferenze in radio“.
Dank einer Zusammenarbeit mit dem Bozner Zentrum für psychische Gesundheit entstand die Idee, gemeinsam mit Menschen, die an seelischen Störungen leiden, eine Radiosendung zu gestalten. Das Sprechen im Radio eignet sich hervorragend als Therapie. Manche Patienten konnten dadurch sogar die Medikamente reduzieren.

Radio Tandem ist ein freies Radio. Was bedeutet das?
Wir sind unabhängig. Es gibt hier keinen Inhaber oder Herausgeber, der die Inhalte prägt oder beeinflusst. Wir haben auch keine kommerziellen Absichten. Wir müssen keine hohen Hörerzahlen aufweisen, um Werbung zu verkaufen. Unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter haben die Freiheit genau das zu senden, was sie möchten.

Keine Werbung also. Wie finanziert ihr euch?
Durch Feste und Veranstaltungen, so zum Beispiel die Volxfesta oder das Jazzfrühstück, Beiträge und andere Spenden. 

Euer Slogan lautet: Das Radio ist für jeden offen! Ist das wirklich so? Ist jeder willkommen?
Radio Tandem steht all jenen offen, die unsere Prinzipien teilen.

Welche Prinzipien?
Die Prinzipien unserer Genossenschaft: Wir sind demokratisch, antifaschistisch, antidiskriminierend und setzen uns für soziale Gerechtigkeit, ein werteorientiertes Handeln und Zusammenleben ein. Es sind dies Werte, die unser Radio von Anfang an geprägt haben.

Erzähl uns doch was über die ersten Jahre von Radio Tandem.
Radio Tandem, das damals noch Radio Popolare hieß, entstand als Stadtviertelradio. Im Bozner Viertel Oberau haben sich einige Familien, Jugendliche und Arbeiter zusammengeschlossen, um das Stadtleben zu bereichern. Mit der Liberalisierung des Hörfunks im Jahr 1976 entstand so die Idee eines Radios. Radio Popolare war eines der ersten freien Radios in Italien. Als am 24. Mai die Sendeanlage auf der Frequenz 98.400 in Betrieb genommen wurde, wurde ein Stromausfall ausgelöst und einige Häuser des Stadtviertels blieben drei Tage lang ohne Fernsehen und Radio. Wie einer der Gründer von Radio Popolare erzählt, stellte das Radio damals einiges auf den Kopf: „Die Bürger waren stinksauer. Für mich war es aber eine Genugtuung. Ich fragte mich welch interessante Sendungen die Leute wohl im Fernsehen verpassen würden. Wir mussten natürlich rasch eine Lösung finden, denn sonst wären wir womöglich im Knast gelandet …“.

Diese Aussage stellt gut die damalige Aufbruchsstimmung rund um Radio Popolare dar.
Das Radio wurde zu einem kulturellen Treffpunkt für Jugendliche und Unistudenten der linksgerichteten Bürgerrechtsbewegungen. Im Radio wurde viel diskutiert und eine neue Musikkultur verbreitet. Auch die damaligen Frauenbewegungen fanden bei Radio Tandem neue Möglichkeiten für die Verbreitung der eigenen Ideen und Ansichten.

Einer eurer bekanntesten Mitglieder war sicherlich Alexander Langer. Inwiefern hat er das Radio geprägt?
In den 80iger Jahren hat Alexander Langer Sendungen auf Radio Popolare moderiert. Sicherlich hat er die Idee der Mehr- und Vielsprachigkeit im Radio bestärkt; so wurde zum Beispiel Radio Popolare in Radio Tandem umgetauft. Jedoch sollte man aus Langer keine Ikone machen, er war einer von vielen.
Damals entstand auch eine Zusammenarbeit mit der deutschsprachigen Zeitung „Die Brücke“. Durch den starken Einfluss von Langer wurde letztere jedoch zu einem Medium der „neuen Linken“. Unsere Genossenschaft hat sich dagegen gewehrt und die politische Unabhängigkeit von Radio Tandem bekräftigt.

Ist also in eurem Radio kein Platz für Politik?
Unser Radio ist politisch, aber nicht parteipolitisch.

Radio Tandem wird jedoch als links ausgerichtetes Medium angesehen.
Ja, sicherlich. Aber wir haben und hatten auch Mitglieder und ehrenamtliche Mitarbeiter, die andere politische Ansichten vertreten. Bei uns ist Platz für alle.

Wie schaut es heutzutage aus. Kann Radio Tandem die Gemüter immer noch bewegen?
Heute sind ganz andere Zeiten. Es ist nicht mehr die Bewegungsfreude da wie damals. Jedoch haben wir unsere Ziele der Mehrsprachigkeit, der kulturellen Vielfalt und der nonkonformistischen Berichterstattung nicht aus den Augen verloren. Wir bringen weiterhin Menschen zusammen und sind Sprachrohr anderer Sichtweisen. Unser altes Radio hat auch im Internetzeitalter seinen jugendlichen und unkonventionellen Charakter beibehalten.