Gesellschaft | Salto Gespräch

“Auch mal 20, 30 Jahre warten”

Manuel Niederkofler ist leidenschaftlicher Bonsaianer. Mit Salto.bz spricht er über die Kunst, warten zu können und die Zwergbäume in die richtige Richtung zu lenken.
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Foto: Privat

Fährt der Bonsai-Club Brixen zusammen zu einer Ausstellung oder Studienreise nach Augsburg, Neapel oder Japan, hat jedes Mitglied seinen oder seine Gießer*in des Vertrauens. Bei Manuel Niederkofler, dem 36-jährigen Bonsaikünstlers aus Olang, kümmert sich in solchen Fällen sein Vater ums Gießen. Der legt dann täglich knapp 50 Kilometer zurück, um die Zwergbäume seines Sohnes, der in Sand in Taufers mittlerweile mehr als 150 Bonsai-Bäume hält, zu versorgen. Eine Notwendigkeit, denn: Wird das Gießen auch nur einen Tag lang vergessen, riskiert man, die kleinen, jahrelang aufgezogenen Bäume, deren Wurzeln in winzigen Schalen feststecken, in kürzester Zeit zu verlieren.

Die Ablöse kommt aber nur ganz selten vor: Meist steht Manuel Niederkofler, Elektroniklehrer an der Technologischen Fachoberschule Bruneck und leidenschaftlicher Bonsaianer, selbst in seinem Garten. Diesen hat er nun für Salto.bz geöffnet, um uns einen Einblick in die japanische Baumkunst zu gewähren.

 

Salto.bz: Manuel, Du hast über einhundert Bonsai-Bäume in deinem Garten. Wie bist du auf dieses doch etwas skurrile Hobby gestoßen?

Manuel Niederkofler: Früher hat mich die Gartenarbeit überhaupt nicht interessiert - ich habe in Innsbruck Wirtschaft studiert, bin gerne ausgegangen und habe gezockt (lacht). Als ich wieder in Südtirol war, bin ich über meinen Großvater zu dieser Wohnung mit Garten gekommen; damit musste ich dann etwas anfangen. Anfangs hat mich die Gartenarbeit genervt, irgendwann ist sie aber zur Leidenschaft geworden. Und dann kam auch der erste Bonsai-Baum, ein Geschenk von einem Freund.

 

So ein Bonsai-Baum ist nicht ganz einfach zu halten. Wie war das bei deinem ersten Bonsai?

Der lebt heute leider auch nicht mehr. Das war einer dieser Ikea-Bäume, die bei den Bonsaianern ziemlich verpönt sind, weil sie meist extrem schnell und lieblos gezüchtet wurden. Irgendwann haben wir ihn zu viel zugeschnitten, das hat er nicht überlebt.

Also musstest du nochmals von vorne anfangen…

Genau! Später habe ich dann auch damit angefangen, meine eigenen Bäume aus Baumsamen aufzuziehen. Dabei habe ich vor allem heimische Sorten wie Fichten oder Lärchen gesetzt, einige wurden mir auch geschenkt. So bin ich auf den Bonsai-Club Brixen gestoßen, deren Mitglieder mich von Anfang an unterstützt und all meine Fragen beantwortet haben. Mit ihrer Hilfe habe ich es schätzen gelernt, ein Bäumchen von klein auf zu züchten und nicht einen beinahe fertig gestalteten Bonsai zu kaufen.

 

Ich habe die Zeit, auch 20, 30 Jahre lang auf einen Baum zu warten.

 

Trotzdem kaufen viele, die sich mit Bonsai-Bäumen beschäftigen, auch selbst Bäume ein. Du züchtest beinahe all deine Bäume aus Samen. Warum?

Ich habe keinen Stress! Verglichen mit vielen anderen Bonsaianern bin ich einer der Jüngeren. Ich habe also die Zeit, auch 20, 30 Jahre lang auf einen Baum zu warten. Das ist die Zeitspanne, die es braucht, damit der Baum nach etwas aussieht und vielleicht auch auf einer Ausstellung Platz finden kann. Wenn ich einen Baum kaufe, geht das natürlich viel schneller.

Kostet aber auch entsprechend mehr. 

Ja, ein halbwegs brauchbarer Bonsai kostet auch mal 5.000 bis 10.000 Euro. Die meisten Bonsaianer verkaufen ihre Bäume aber nur, wenn sie es selbst nicht mehr schaffen, sich um die Bäume zu kümmern. Man hat sie ja jahrzehntelang aufgezogen… Da will man sich nicht von ihnen trennen.

 

Wenn du sagst, dass du 20 bis 30 Jahre auf einen Baum wartest - kann man da überhaupt noch von einem Hobby sprechen?

Deshalb haben die meisten ja nicht einen, sondern mehrere Hundert Bäume (lacht). Ich habe am Anfang tatsächlich darauf gewartet, dass der Baum wächst - das ist mir natürlich unglaublich auf die Nerven gegangen! Durch die Arbeit an den Bäumen bin ich aber ruhiger geworden, ich habe gelernt, mir Zeit zu nehmen, obwohl ich eigentlich überhaupt kein ruhiger Mensch bin.

Für die Bonsaizucht braucht es nicht nur Geduld, sondern auch einen gewissen Perfektionismus. Bist du ein perfektionistischer Mensch? 

Eigentlich nicht. Als Schüler habe ich nie auch nur einen Finger zu viel gerührt. Aber wenn es darum geht, bestimmte künstlerische Dinge genau zu machen, dann werde ich zum Perfektionisten. Bei den Bäumen zum Beispiel. Aber auch, wenn ich neue Töpfe für den Garten betoniere oder - aber das wissen die meisten gar nicht - beim Nägelstreichen. 

Nägelstreichen?

Das klingt jetzt vielleicht etwas komisch, aber ich habe vor ein paar Jahren damit angefangen, für meine Ex-Freundin Gel-Nägel zu kreieren. Mir macht’s Spaß - und mittlerweile kommen Kolleginnen und Bekannte auch tatsächlich zu mir, um sich die Nägel machen zu lassen (lacht).

 

Damit ein Baum wirklich wertvoll wird, muss er eine gewisse Ausstrahlung haben. Was versteht man darunter? Und wie stellt sich diese ein?

Ob man einen Baum schön findet oder nicht, ist jedem selbst überlassen. Es gibt natürlich einige Kriterien aus der japanischen Bonsai-Philosophie - beispielsweise, dass ein Baum immer auf den Betrachter zukommen soll - aber letztendlich musst du das machen, was dir gefällt. Du musst wissen, wohin du willst, und dann musst du auch mal zwei Jahre warten können oder 80 Prozent des Baumes wieder wegschneiden, weil dir die Form des Baumes nicht gefällt. Das ist am Anfang natürlich nicht so einfach.

Woran erkennst du, wie sich ein Baum am besten entwickeln kann?

Eine Richtung festzulegen, ist das Schwierigste am Ganzen. Das mach ich dann meist mit einigen Kollegen. Wir treffen uns einmal die Woche, jeder nimmt ein paar Bäume, eine Flasche Wein und ein paar Kekse mit und wir schneiden einige Stunden an den verschiedenen Bäumen herum, verdrahten die Äste und entscheiden zusammen, wohin sich ein Baum entwickeln soll. Die Brixner sind auch im europäischen Vergleich richtige Profis, von ihnen habe ich unglaublich viel über die Bonsai-Kunst gelernt! Zweimal im Monat treffen wir uns dann mit dem ganzen Club, wobei manchmal auch Bonsai-Meister aus Japan eingeflogen werden! Mit Übersetzerin und allem Drum und Dran. Die schauen sich deinen Baum dann an und sehen wieder ganz neue Richtungen, in die sich dein Baum entwickeln könnte - auch wenn das oft mit qualvollen Einschnitten oder ganz viel Geduld verbunden ist.