Sport | Salto-Gespräch

„Mädchen waren im Verein nicht erlaubt“

Elisa Pfattner ist eines der erfolgreichsten Südtiroler Fußballtalente. Mit 18 Jahren spielt sie ihre zweite Saison in der ersten Damenmannschaft von Juventus Turin.
Pfattner, Elisa
Foto: Juventus
Salto.bz: Elisa, Sie haben es in Ihren jungen Jahren schon weit geschafft. Wie sind Sie zum Fußball gekommen?
 
Elisa Pfattner: Als ich acht Jahre alt war, habe ich angefangen, für einen Verein in Latzfons zu spielen. Vorher durfte ich leider nicht, Mädchen waren in dem Verein nicht erlaubt. Bis zur ersten Klasse Mittelschule habe ich mit den Jungs gespielt und dann habe ich nach Brixen ins Mädchenteam gewechselt. Bis ich 15 Jahre alt war haben wir damals gegen Jungs gespielt. Danach bin meine Cousine und ich in die Serie C aufgestiegen, dann ging alles sehr schnell: Im November haben wir beide ein Angebot von Inter und Juventus erhalten und wir sind zum Probetraining bei Juventus gegangen. Leider habe ich mich eine Woche später beim Knie verletzt und musste neun Monate aussetzen. Juventus wollte uns aber trotzdem haben, Inter sogar ohne Probetraining. Schlussendlich haben wir uns für Juve entschieden. Als ich mich endlich erholt hatte, zogen wir im August 2020 beide nach Turin, wo wir in der U17 anfangen konnten. Nach kurzer Zeit wurden wir in die U19 versetzt. Seit dem letzten Jahr darf ich mit der ersten Mannschaft trainieren.
 
Dann kann man also sagen, die Begeisterung für Fußball liegt in Ihrer Familie?
 
Auf jeden Fall. Mein Vater ist jetzt 55 Jahre alt und hat bis zum letzten Jahr Fußball gespielt. Ebenso mein Bruder und auch die ganze Familie meiner Cousine spielt Fußball oder hat früher gespielt.
 
Gleich zwei Spitzenteams haben euch beiden ein Angebot gemacht. Wieso habt ihr euch für Juventus entschieden und nicht für Inter?

Ich glaube Juve war zu der Zeit einfach schon besser entwickelt und besser ausgestattet, was Schule und Heim betrifft. Uns hat es hier wirklich an nichts gefehlt und das war natürlich wichtig in so einem jungen Alter. Jetzt hat sich auch Inter super entwickelt, momentan sind sie ja sogar auf dem ersten Platz in der Tabelle. Damals war es aber sicherlich die richtige Entscheidung.
 
 
 
Sie haben es gerade erwähnt: Sie gehen noch zur Schule. Wie lässt sich das alles zeitlich vereinbaren?
 
Diese Schule ist eigens für Juventus Spieler und Spielerinnen eingerichtet worden, es ist also keine öffentliche Schule. Sie heißt Juventus College. In meine Klasse gehen noch zwei andere Mädchen und acht Jungen, die bei Juventus in der U19 spielen. Eigentlich wäre das alles sehr gut aufgeteilt, denn U19- Mannschaften trainieren am Nachmittag. Allerdings trainiert die erste Damenmannschaft am Vormittag, das heißt wir können jeden Tag nur zwei Stunden in die Schule. Danach werden wir abgeholt und zum Training gefahren. Am Nachmittag muss ich dann alles nachholen, es ist anstrengend aber man nimmt es gerne in Kauf. Die Lehrer wissen ja, in welcher Situation wir uns befinden und verstehen uns. In diesem Schuljahr hatte ich erst zwei ganze Schultage. Jetzt bin ich seit zehn Tagen in Ungarn mit dem Nationalteam, da die Schule aber genau darauf spezialisiert ist, ist es kein Problem.
 
Wir können jeden Tag nur zwei Stunden in die Schule. Danach werden wir abgeholt und zum Training gefahren
 
Dass man bei Juventus Turin spielt, merkt man wahrscheinlich nicht nur auf dem Rasen...
 
Die Professionalität von diesem Team ist natürlich auf einem sehr hohen Level. Wir haben Autos und Busse, die wir anrufen können und uns dann überall hinbringen: vom Heim in die Schule oder zum Training beispielsweise. Keiner muss selbst kochen, wir leben in einem Apartmenthotel und können dort im Restaurant essen. Nach dem Training am Vormittag können wir in der Juve-Mensa zu Mittag essen. Die Gerichte werden auch mit den Ernährungsberatern abgesprochen. Diese Diätisten treffen wir einmal im Monat. Sie messen unsere Körperwerte und aufgrund dessen wird ein spezifischer Diätplan zusammengestellt. Der Verein kümmert sich sehr um seine Spieler und Spielerinnen.
 
Bekommt man ab und zu auch mal einen der richtig großen Fußballstars zu Gesicht?
 
Eigentlich nicht wirklich. Die Männer trainieren auf einem anderen Gelände. Die Covid-Situation hat das auch sehr eingebremst. Normalerweise gibt es nämlich öfters im Jahr Events, wo der ganze Verein zusammenkommt, das Weihnachtsessen zum Beispiel. Momentan gibt es wenig Interaktion, wenn, dann nur bei Fotoshootings. Ein schöner und besonderer Moment war, als wir alle zusammen Chiellini und Dybala im Allianz Stadium verabschiedet haben. Generell werden die Jugendteams, das Frauen- und das Männerteam aber ziemlich getrennt.
 
Was glauben Sie, ist der Grund dafür?
 
Ich glaube, da geht es, wie so oft, um den Stellenwert von Frauen und Männern: Wir sind hier noch nicht auf der gleichen Ebene angekommen. Wenn man sich ansieht, wie sehr sich Frauenfußball jetzt entwickelt,  glaube ich aber, dass das mit der Zeit noch kommt. Es gibt Frauenteams, die heutzutage vor ausverkauften Stadien spielen, das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen.
 
 
 
 
Wie sehen Sie diese Situation in Südtirol? Sieht man hierzulande eine Veränderung hinsichtlich des Stellenwertes von Frauenfußball?

Ich habe sehr gehofft, dass es auch in unserer Provinz eine positive Entwicklung geben wird, vor allem, weil ich das im restlichen Italien schon erkennen kann. Wenn ich sehe, dass sich in Brixen die erste Mannschaft aufgelöst hat, ist das wirklich ein Schlag ins Gesicht. Es ist kein schöner Gedanke, dass es jenes Team nicht mehr gibt, bei dem man früher selbst gespielt hat. Ich finde es sehr schade, dass sich die Leute in Südtirol noch nicht so sehr für Frauenfußball interessieren. In ganz Trentino-Südtirol gibt es zwei Teams, in denen Fußball auf einem dezenten Level gespielt wird. Ich glaube andere Regionen sind da schon viel weiter. Hierzulande braucht es auf jeden Fall noch Zeit. Es hat in Südtirol noch kein Spiel gegeben, das viele Menschen in ein Stadion gelockt hat. Bei Juventus war es beispielsweise Juventus gegen Fiorentina: Damals hat das Frauenteam vor fast ausverkauftem Stadion gespielt und natürlich auch sehr viele Fans dazugewonnen. So etwas würde auch Südtirol brauchen: Events, wo der Frauenfußball eine größere Reichweite bekommt und die Chance hat, beliebter zu werden. Auch, um mehr Mädchen für diesen Sport zu begeistern. Sie sollen sehen, dass es nicht nur ein Sport für Jungs ist, sondern genauso für sie und, dass auch sie weit damit kommen können.
Wenn ich sehe, dass sich in Brixen die erste Mannschaft aufgelöst hat, ist das wirklich ein Schlag ins Gesicht.
 
Könnte das fehlende Angebot eines Mädchenteams auch ein Grund sein, wieso sich bisher noch nicht so viele junge Mädchen für Fußball interessieren?

Auf jeden Fall. Ich bin davon überzeugt, dass mehr Mädchen Fußball spielen würden, wenn sie von klein auf in einem Mädchenteam spielen könnten. Aber ich finde nicht, dass es ein Nachteil ist, als Mädchen mit den Jungs zu spielen. Man wird dort sehr gefördert und körperlich auch sehr gefordert. Auf lange Sicht bringt das Vorteile. Alle Frauen, die im Nationalteam U19 spielen, haben mit Jungs angefangen und das sieht man. Ich habe mit einigen Frauen gespielt, die früher mit anderen Mädchen gespielt haben und das ist auch heute noch erkennbar.
 
In einem Fußballteam dieser Größenordnung gibt es viel Diversität. Viele Ihrer Mannschaftskolleginnen kommen aus anderen Ländern und haben schon viele Jahre Profifußball hinter sich.

Ja, ich finde es super, in so einem internationalen Verein zu spielen. Es gibt in unserem Team neben den Italienerinnen, Kanadierinnen, Französinnen, Schwedinnen oder auch Däninnen. Ich mag es sehr, die Mentalität und Kultur dieser Kolleginnen kennenzulernen. Wenn so viele Kulturen aufeinander treffen und sich jeder bemüht auf Englisch zu sprechen, ist das wirklich schön und es schweißt die Mannschaft sehr zusammen. Natürlich sieht man aufgrund des Altersunterschieds einen riesen Unterschied was Erfahrung und Können anbelangt. Ich bin 2004 geboren und die älteste Spielerin 1987. Persönlich empfinde ich das als einen großen Vorteil. Man kann von den anderen und älteren Mitspielerinnen so viel lernen: was Druck anbelangt zum Beispiel oder wie man gewisse Situationen aufnimmt und damit umgeht.
 
Als Sie damals anfingen in Latzfons Fußball zu spielen, hätten Sie sich erträumen lassen, einmal bei einem Verein wie Juventus Turin spielen zu können?

Das Lustige dabei ist, als ich damals acht oder neun Jahre alt war, habe ich mir selbst eine Email geschrieben mit einer Einladung für ein Probetraining beim FC Südtirol. Es war immer schon mein Traum, beim FC Südtirol spielen zu können. Dass ich jetzt hier in der Serie A bei Juventus Turin spiele, ist natürlich kaum zu glauben und macht mich sehr stolz und glücklich.
 
 
Als  ich damals acht oder neun Jahre alt war, habe ich mir selbst eine Email geschrieben mit einer Einladung für ein Probetraining beim FC Südtirol
 
Was soll als Nächstes kommen?
 
Wie es kommt, kommt’s. Ich will mir nicht zu viel Druck machen. Mein Ziel ist es, die Freude am Fußballspielen nie zu verlieren und so spielen zu können, wie ich das gerne mache. Solange ich Spaß habe, ist alles, so wie es sein soll. Ob das im Ausland oder in der Serie A sein wird, darüber will ich mir noch nicht zu viele Gedanken machen. Für diese Saison habe ich allerdings ein Ziel: die Serie A gewinnen und mit der Nationalmannschaft U19 ins Finale kommen. Was das Nationalteam anbelangt, kommt zuerst noch die U23 und in ein paar Jahren möchte ich dann gerne bei den Großen mitspielen.