Gesellschaft | Hingehört

Richtung Sicherheit

Die friedliche Vorweihnachtszeit hat die Jugendorganisation der SVP genutzt, um ein immer wieder aufflammendes Thema zu diskutieren: die Sicherheit im Land.
Gasse
Foto: Südtirolfoto/Marion Lafogler

Nein, Sicherheitsnotstand gibt es keinen im Land. Darüber ist man sich am Dienstag Abend im Bozner Kolpinghaus einig. Aber doch, irgendetwas ist anders: das Gefühl, sich an gewohnten Orten nicht mehr sicher zu fühlen, die Angst, nachts zu Fuß unterwegs zu sein, der Gedanke beim Fahrradkauf: “Welches Rad wird wohl am ehesten nicht gestohlen werden?” Diese Erfahrungen sind den Anwesenden, Frauen wie Männern, bestens bekannt. “Früher war das nicht so”, ist ein Satz, der fällt. Aber stimmt das? Das Gefühl, in seinem Lebensumfeld nicht sicher zu sein, hat statisch gesehen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Laut ASTAT fühlt sich etwa jeder dritte Südtiroler unsicher beziehungsweise sehr unsicher. Der Anteil jener, die sich sehr sicher oder sicher fühlen, ist von 79,8 Prozent im Jahr 2009 auf 75,2 Prozent 2013 auf 65,1 Prozent im Jahr 2015 gefallen. Soweit die Zahlen. Doch womit hängt das steigende Unsicherheitsgefühl zusammen? Im Laufe der Diskussion kommen gar einige Gründe auf den Tisch, darunter die zunehmende Kleinkriminalität, die mediale Berichterstattung und zusehends verrohende Gewalt, die sich im öffentlichen Raum abspielt.

Alles anders?

Lange und ausführlich wird letzteres Thema am Dienstag debattiert. Zur Veranstaltung “Sicheres Südtirol?!” geladen hat die Junge Generation in der SVP, dessen Vorsitzender Stefan Premstaller die Moderation des Abend übernimmt. Neben ihm Platz genommen haben Bildungs-, Kultur- und Integrationslandesrat Philipp Achammer und Lukas Schwienbacher vom Forum Prävention. “Ich selbst bin in einem Gasthaus aufgewachsen und habe dort viel brutale Gewalt miterlebt”, erinnert sich Philipp Achammer, “aber im Vergleich zu früher, so sehe ich das, haben sich die Formen der Gewalt geändert und die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, ist gesunken”. Ein Nicken bei Marco Buraschi, der in seiner Arbeit nicht selten selbst Gewalt erfährt. Als Geschäftsführer der STS-Security GmbH vermittelt er Sicherheitspersonal für verschiedenste Anlässe. Zu Buraschis Kunden gehören viele Südtiroler Nachtlokale, in und vor denen es mitunter zu heftigen gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt. “Es hat sich etwas geändert”, sagt auch Buraschi und berichtet davon, dass Gewalt beziehungsweise Bedrohungen häufig nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar seien: “Nach einem Gerangel mit anderen Lokalbesuchern entdeckt einer der Angegriffenen, dass ihm während des Handgemenges ein Messer in die Seite gerammt wurde. Ohne dass er es bemerkt hätte.” So etwas habe es früher nicht gegeben und inzwischen dazu geführt, dass seine Türsteher, wenn sie in der Landeshauptstadt arbeiten, einen Brustschutz anlegen. “Im Sarntal brauchen wir den nicht”, so Buraschi.

Lukas Schwienbacher, der sich im Forum Prävention unter anderem mit Gewaltprävention und Extremismus beschäftigt, bestätigt: “Die Wahrnehmung von verschiedenen Arten von Gewalt hat sich im Laufe der Jahre verändert.” Ursprünglich sei das Thema nicht als Tätigkeitsfeld des Forum Prävention vorgesehen gewesen. Ab 2005 seien dann aber erste Fragen aufgetaucht. Zunächst im Zusammenhang mit gewalttätigen Kindern und Jugendlichen, später im Rahmen der Festnahmen von jungen Männern, denen Nähe zu rechtsextremem Gedankengut vorgeworfen wurde. Neben körperlicher rückte vermehrt psychische Gewalt ins Zentrum, zum Beispiel Mobbing oder Cyber-Mobbing. “Nach 2010 begann die Diskussion über Gewalt im öffentlichen Kontext, speziell was das Nachtleben und den Konsum von illegalen Substanzen und Alkohol anbelangt. Seit 2014 hat sich diese Diskussion auf Kriminalität und Mehrfachtäter verlagert”, berichtet Schwienbacher. Und schließlich seien in den vergangenen Jahren immer wieder Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den Fokus gerückt. “Aber vergessen wir nicht, dass es ganz viel Gewalt gibt, die tabuisiert wird und die meiste Gewalt im häuslichen Kontext passiert.”

“Bei jungen Menschen geht es oft um Wertschätzung und Anerkennung. Wenn sie diese nicht unter positiven Vorzeichen bekommen, holen sie sie sich unter negativen Vorzeichen.”
(Lukas Schwienbacher)

Einziger Ausweg?

Und aufgepasst, vor “einfachen Antworten auf komplexe Fragestellungen wie jener nach der Ursache von Gewalt” warnt Schwienbacher ebenso wie Achammer vor dem lauten Schreien nach einem “Sicherheitsgipfel” jedes Mal wenn ein besonders brutaler Vorfall von Gewalt bekannt wird. Ebenso problematisch sei es, ergänzt Schwienbacher, das Thema undifferenziert anzugehen beziehungsweise abzubilden. Wie es zum Beispiel bei der Frage passieren kann, ob mit zunehmender Einwanderung die Kriminalitätsrate steigt. “Bei Menschen, die zu Gewalt oder illegalen Handlungen bereit sind, spielen nicht Herkunft oder Kultur eine Rolle, sondern ihre Perspektivlosigkeit”, startet Schwienbacher einen Erklärungsversuch: “Je mehr Menschen in ihrem Leben nichts mehr zu verlieren haben desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Gewalt oder Kriminalität zunimmt. Und wer sind aktuell die Gruppen, die am ehesten null Perspektiven haben? Menschen auf der Flucht, traumatisiert, häufig mit Kriegserfahrung. Wenn sie dann kein Asyl bekommen, ihr Recht auf Unterkunft verlieren und sowieso nicht arbeiten dürfen, verschwinden sie häufig in der Illegalität. Und dann können Probleme auftreten, bei denen Gewalt eine Rolle spielt. Hier herrscht höchste Alarmbereitschaft, denn wenn wir es als Gesellschaft nicht schaffen, allen Menschen eine Perspektive zu geben, dann kann das sehr problematisch werden.”

Perspektivlosigkeit – auch für Philipp Achammer “Gift und möglicher Nährboden für Gewalt”, speziell auch unter jungen Menschen. Als Integrationslandesrat weiß er, dass Jugendliche, die ohne Sprachkenntnisse nach Südtirol gelangen, häufig große Erwartungen haben, “die wir aber unmöglich bieten können solange die Sprachen nicht gelernt sind”, so Achammer. Wenn der Erfolg in der Schule ausbleibt und sich die Suche nach einem Arbeitsplatz hinzieht, kann das Stress, Druck und Frust erzeugen und bis hin zum Schulabbruch führen. “Wir haben das Problem, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund häufiger die Schule verlassen, ja”, gibt Achammer zu. Er will nichts schönreden, sondern “genau hinschauen und reagieren”. Zur Perspektivlosigkeit, die nach dem Schulabbruch nicht selten folgt, gesellen sich häufig schwierige familiäre Verhältnisse, Gewalterfahrungen und andere Faktoren, “die oft nicht sichtbar sind” wenn junge Menschen gewalttätig werden, so Schwienbacher. Es sei Aufgabe der Gesellschaft, diese ihre Mitglieder nicht fallen zu lassen, sondern an die Hand zu nehmen und Signale zu senden, dass Gewalt nicht toleriert wird. Neben der Gesellschaft sehen die Diskussionsteilnehmer im Kolping auch die Politik in der Pflicht, zu überlegen, wie man Gewalt begegnen und sie bestenfalls verhindern kann.

Was tun?

Für Philipp Achammer sind Intervention und Prävention die beiden Felder, wo es anzusetzen gilt: “Bei der Intervention geht es darum, durch Präsenz von Sicherheitskräften, Abschreckung durch konsequente Bestrafung und Verhältnismäßigkeit bei den Sanktionen das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung zu gewährleisten. Leider sind unsere Kompetenzen als Land Südtirol in diesem Bereich sehr begrenzt, wobei ich persönlich überzeugt bin, dass es absolut notwendig wäre, eine direkte Möglichkeit zu haben, zuzugreifen, etwa über ausschließliche oder teilweise Zuständigkeit für die Polizei.” So begrenzt die Möglichkeiten der Politik bei der direkten Intervention sind – “Wir sind dabei auf die gute Zusammenarbeit mit der Quästur angewiesen”, so Achammer –, so wenig dürfe die Prävention unterschätzt werden, betont der Landesrat. Nichtsdestotrotz erachtet er es als sinnvoll, die aktuelle italienische Gesetzeslage zu überdenken und die Strafmaßnahmen unter anderem für Kleinkriminalität zu verschärfen. Denn für Mehrfachtäter, die nach einer begangenen Straftat häufig schon am nächsten Tag wieder auf freien Fuß gesetzt werden, gibt es in der Bevölkerung und auch am Montag Abend kein Verständnis. Aber die rechtlichen Instrumente seien beschränkt, unterstreicht Achammer – “wenn sogar der Quästor mir gegenüber zugibt, dass ihm teilweise die Hände gebunden sind”.

Anstatt nur von anderen zu fordern, selbst aktiv werden um dafür zu sorgen, dass man sich selbst, aber auch andere sich sicher(er) fühlen. Das ist die Botschaft, die an diesem Abend mehrmals deutlich wird. Mit offenen Augen durch die Welt gehen, Zivilcourage zeigen und sich für den Anderen interessieren, sind einige Denkanstöße, die die Teilnehmer mitnehmen können. Einen gibt es auch für die anwesenden Medienvertreter: “Es wird so viel darüber berichtet, was an Schlimmen passiert. Vielleicht wäre es angebracht, mehr darüber zu berichten, was Gutes passiert?”

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Martin B. Do., 15.12.2016 - 00:55

Einige Überlegungen.
"Gründe Unsicherheitsgefühl: zunehmende Kleinkriminalität, mediale Berichterstattung und verrohende Gewalt im öffentlichen Raum." ...................
Die wahren Hintergründe sind aber nicht diese, sondern eine Mischung aus gesellschaftlichen Entwicklungen:
................... a) im Westen die Huldigung von Individulismus und Kapitalismus mindestens seit dem 2. WK, welche nun deutlich sichtbar zu unempathischen Jugendlichen und auch Erwachsenen geführt hat, welche moralische Autorität mehr sehen: selbst die eigene Familie nicht, geschweige denn eine Gruppe (Kirchgemeinde, Dorfleben). Sowie "präkere" Kindheiten gepaart mit Neid und Hass auf scheinbar Bessergestellte.
................... b) die Zuwanderung von statistisch relevanten Zahlen von jungen Männern, welche "Ehrgefühlverletzungen" nicht mehr "nur" mit einer Rauferei lösen können, sondern sehr schnell und vor allem auch brutal in der Mehrzahl bewusst verletzend vorgehen.
................... c) die im Artikel angedeutete Ohnmacht der Exekutive gegenüber schweren Wiederholungstätern, welche sich scheinbar oft in eine Spirale der Gewalt hineinsteigern die zu oft tragisch für einen Beteiligten (Opfer oder auch Täter) endet. Dieses Ohnmachtsgefühl überträgt sich auf die Bevölkerung und ist Gift für die Resozialisierung dieser Täter und Toleranz ihnen gegenüber. Wenn solche Täter dann auch noch finanziell von der öffentlichen Hand leben und im bereitgestellten Wohnraum Nachbarn terrorisieren ist die Grenze zu Selbstjustiz und Anarchie verbal schon lang erreicht und real wohl auch nicht mehr undenkbar; leider.
..................."Wahrscheinlichkeit von Gewalt oder Kriminalität wenn null Perspektiven wie bei Menschen auf der Flucht, traumatisiert, häufig mit Kriegserfahrung."
Dem widersprechen Statistiken in Deutschland das Syrer markant unter während Nordafrikaner weit über dem Durchschnitt kriminell sind. Andere Gründe müssen entscheidender sein.

Do., 15.12.2016 - 00:55 Permalink